Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918

Abschnitt 42: Gedicht "Zwölf gegen sechzig" (3)

[81-83] [S. 81]
Die Bombe springt
Und über Freund und Feindesarm
Springt hell ein Brünnlein rot und warm
Doch lieber mir [eingefügt: die] Hand zerfetzt
Als des Kameraden Haupt verletzt
Wer anders denkt, der komme nie
In uns're sechste Kompagnie
Dumpf kracht der Handgranatenschall
Und dumpf rollt Hall und Wiederhall
Von Waldrand, wo der Posten wacht,
Ein dreifach helles Echo kracht:
Eh' die zehn Russen sich's versehn
Ist alles aus - drei gegen zehn!
Der Leutnant schäumt u. schießt u haut
Unter der Erde wird es laut
Das poltert hier, und poltert dort.
(Als wär') das flitzt heraus und poltert fort,
Als wär' so poltert das genau -
Ein Frettchen im Karnickelbau
Aus allen Löchern bricht's heraus,
Als spie die Erde Russen aus.
Ein Rudel hier, ein Rudel dort,
Sie starren u. stutzen u. stürzen fort.
Der Leutnant, von höllischen Feuer durchbrannt
Wettert und droht mit blutiger Hand
Vom Pulverschwaden der Handgranate
Das Gesicht wie Speck und Schokolade.
Die Seinen schaudert's sie packt das Grauen,
Als ließe sich Beelzebub selber schauen.
[S. 82]
Der Leutnant flucht. Sie laufen, laufen - -
Fort stürmt der ganze Russenhaufen.
Doch weh, da liegen vor dem Wald
Zwei Mann u. sechs Helme im Hinterhalt!
Zwei Musketiere und sechs Helme
Pfeffern wie toll in die sechzig Schelme
Die brechen aus und schlagen Hacken,
Es fährt hinterdrein wie Bremsen und Schnaken,
Und wo nur ein Feind den Rücken zeigt,
Da wird ihm über den Bukel gegeigt.
Der Leutnant sieht's; Ihm flammt das Gesicht,
Aber fangen läßt er sich nicht!
Er stürmt davon, es stürmt hinterher,
Dem Leutnant wird sein Pelz zu schwer,
Er wirft ihn fort in weiten Bogen.
Schon hat sein Sergant ihn angezogen!
Der Leutnant im Rock, der Sergant im Flaus,
Brechen zur Rechten und Linken aus.
Der Sergant zur Rechten, der Leutnant zur Linken
Einen Musketier in die Arme sinken,
Der Leutnant kann nicht mehr eschappieren,
drum trottet er still mit der Musketieren
Ein Wolfspelz und ein Schafsgesicht,
Die passen zueinander nicht
Drum zieht den warmen Leutnantsflaus
Man den Serganten wieder aus.
Dann wird gesammelt und gezählt
Von eins bis zwölf und keinen fehlt.
Doch schließen sich dem Rückmarsch an
[S. 83]
Leutnant, Sergant u. drei Mann.
Ein Musketier geht stolz voraus,
Und trägt des Leutnants warmen Flaus.
Wie Jason einst das goldne Vließ,
Trägt er den Pelz am kurzen Spieß.
So kehrt die Schar mit gutem Glück
Zu ihrer Kompagnie zurück.
Der ganze Graben strömt herbei
Und macht ein wüßt' Triumphgeschrei!
Zwölf pakten Sechzig u. schlugen sie.
Brav meine 6. Kompagnie!


Personen: Wiedemann, Klaus · Flex, Walter · Beelzebub · Jason
Orte: Russland · Weißrussland · Naratsch-See · Narotsch-See
Sachbegriffe: Kriegslyrik · Schlacht am Naratsch-See · Handgranaten · Leutnant · Feinde · Musketiere · Goldenes Vlies · Kompanie
Empfohlene Zitierweise: „Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918, Abschnitt 42: Gedicht "Zwölf gegen sechzig" (3)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/13-42> (aufgerufen am 04.05.2024)