Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916

Abschnitt 8: Predigt 8: zu 1. Johannes 2, 17

[34-38]

Die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibet in Ewigkeit. I. Johannes 2, 17.


Liebe Kameraden!

Wir stehen in der Passionszeit. Sie soll uns nicht ganz untergehen im Kampfgetöse. Die heiligen Klänge, die wir sonst aus ihr heraushörten, sollen uns nicht ganz verweht werden vom Gekrach der Granaten. Auch von den blutigen Schlachtfeldern hier am Fuß der L., auch aus unseren Ruhequartieren hier in den mehr oder weniger verwüsteten Dörfern wollen wir aufblicken zu dem Haupt voll Blut und Wunden: gegrüßest seist Du uns! was hat uns hier draußen diese Zeit unter des Heilandes Kreuz zu sagen? Im Grund nichts anderes, als daheim. Sie will uns Ewigkeitsgedanken in alle Lust und alles Leid dieser Welt hineinweben; sie will uns inmitten all des großen, schweren Geschehens rings um uns her den festen Standort geben: daß uns werde klein das Kleine, und das Große groß erscheine. Ein Unterschied liegt nur darin, daß das alles unter dem, was uns hier umgibt, mehr Gestalt, tiefere Farben gewinnt, als früher.

Die Welt vergeht mit ihrer Lust, waren nicht vor dem Krieg viele im Begriff, das zu vergessen? Eine Welt-Trunkenheit, ein Vorwärts-Eilen in Arbeit und Genuß hielt die Völker im Bann, wie kaum je zuvor. Ein mächtiges Emporsteigen war besonders unserem deutschen Volk beschieden; ein unerwartet schneller Aufschwung zu Macht und Reichtum. Da brach der Weltkrieg herein und gebot all diesem Stürmen und Drängen ein mächtiges Halt. Es ist alles so anders geworden, als es vorher war. Unsere Hochschulen, viele große und kleine geschäftliche Betriebe, Komptoire und Werkstätten sind vereinsamt. Millionen von schaffenden Händen sind aus dem Volkskörper herausgezogen, wo jetzt daheim am fieberhaftesten gearbeitet wird, da gilt diese Arbeit der Herstellung von Mitteln der Vernichtung. Die Granatfabriken haben am meisten zu tun, und der Erfindungsgeist müht sich, immer Neues auf diesem Gebiet zu schaffen. Und wir hier draußen haben die Aufgabe, das alles gegen den Feind nutzbar zu machen. Seit langen Monaten sehen wir das Elend der zerstörten Dörfer; und doch werden wir immer aufs neue durch diese Bilder erschüttert. Mit Schauern des Grauens und der Begeisterung haben wir von den Höhen von H. aus in die tobende Schlacht hineingeschaut, und jetzt noch ziehts uns täglich hinaus zum Westausgang unseres Dorfes, um der verheerenden Wirkung unserer Granaten zu zu sehen, wie unendlich viel geht im Krieg verloren, was ist das für eine gewaltige predigt über den Text: „Die Welt vergeht mit ihrer Lust".

Aber nicht nur der Feind wird getroffen. Auch unsere Reihen lichten sich. So viele Kameraden fehlen uns. In den Lazaretten liegen sie, Bett an Bett; und so mancher in der kühlen Erde. Die meisten Gräber haben — auch im Drang heißer Kampfestage — von treuen Kameraden-Händen geschmückt und gesichert werden können. Manches aber ist verweht und vergessen, wie sagt Gottes Wort? „Wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr". Das ist des Krieges eindringliche Predigt über das Wort: „Die Welt vergeht mit ihrer Lust".

Und wozu das alles? Ist Untergang und Vernichtung das Ziel und der Weisheit letzter Schluß in diesem gewaltigen Trauerspiel? Eine Empfindung, die uns allen nicht fremd ist, mag uns beim Suchen nach einer Antwort auf diese Frage den Weg zeigen. [S. 36]

Wenn wir von unseren Gefallenen sprechen, setzen wir bei manchem Namen still hinzu: er war einer unserer Besten. Dabei empfinden wir ganz besonders die Bitterkeit des Todes und das herbe Leid dieser opferreichen Zeit, in der so viele ihr Leben lassen müssen für hohe, heilige Güter. Aber muß es dem nicht so sein, Kameraden, daß, wenn es an's Opfern geht, grade das Beste gut genug ist? War's nicht vor allem bei dem so, um den unser christliches Denken in dieser Passionszeit kreist, den wir unsern Meister nennen und als dessen Jünger wir unser Leben führen möchten? Jesus Christus, der Beste von allen, die je über diese Erde gingen, der Heilige und Reine, ist in den Tod gegangen, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir heil geworden. Gott im Himmel hat ja und amen dazu gesagt und dieses Opfer angenommen, wurde dabei das Leben dessen, der sich dort hingab, vernichtet? Ist Jesu Leben in Nacht und Tod untergegangen? Am Karfreitag schien es so zu sein. Ostern aber zeigt: ein nach dem willen Gottes gelebtes, in seinem Dienst dahingegebenes Leben ist nicht auszulöschen; es behält den Sieg, ob auch hier, im Wirrwarr dieser Erde, zunächst alles scheint, dagegen zu sprechen.

Von hier aus mag für uns Christen Licht auf so viel durch den Krieg vernichtetes teueres Leben fallen. Mit innerer Ergriffenheit haben wir in letzter Zeit vor vielen unserer Toten gestanden und in ihre still gewordenen Gesichter geschaut. Manches darunter war entstellt und grausam zerrissen, so daß man gern das Tuch oder die grünen Zweige darüber deckte. Über andern aber lag des Todes eherne, heilige Ruhe, und die stummen Lippen schienen zu uns zu sprechen: „Wir sind nicht vernichtet, sondern nach viel Mühe und heißer Arbeit schlafen gegangen, um in der Ruhe und im Licht zu erwachen; wir haben uns geopfert für des Vaterlandes Heil; als Samenkörner sind wir ausgesät, damit Frucht wächst aus unseren Gräbern; wir selbst sind in die Ewigkeit eingegangen, um nach diesem irdischen Leben voll Schwachheit um und an dort, im ungehemmten Tun des Willens Gottes, vollendet zu werden".

Der Krieg und der Wille Gottes;— wie verträgt sich das ungeheuere Töten und Vernichten in diesem Weltkrieg mit dem Glauben an einen gnädigen, barmherzigen Gott, der doch die Liebe und der Friede ist? Ach wie oft haben sich in diesen langen Monaten schon denkende Menschen an diesem Problem zerquält! Unendlich viel ist dazu geredet und geschrieben worden, wer möchte sagen, daß das letzte, lösende Wort schon dazu gesagt ist? Genug, daß wir das Eine im Glauben festhalten dürfen: Gottes ewigen Händen entfallen auch unter diesem Toben der Völker die Zügel der Weltregierung nicht; Er hat auch jetzt, bei dieser schweren Heimsuchung, Gedanken des Friedens mit seinen Menschenkindern; zuletzt wird auch aus dieser tausendfältigen Vernichtung neues, geheiligtes Leben erblühen müssen;- wohl aber dem Volk, das, während dieses furchtbare Ringen ausgefochten werden muß, in Demut und Wahrheit sagen darf: wir haben's nicht mutwillig auf uns genommen; wir waren von Anfang an dessen gewiß, daß Gottes Hand uns hineinwies. Dieser Krieg und der Wille Gottes- — was hat Gott mit den daran beteiligten Völkern im Sinn; — wie wird das Ende sein? Gott hat uns nicht zu seinen Ratgebern berufen,- wir kennen seine Pläne nicht, aber wir legen die Entscheidung voll Hoffnung und vertrauen in seine Hände. —

Der Krieg und der Wille Gottes; — laßt uns die Frage ein wenig anders wenden: ich, der ich im Krieg stehe, und der Wille Gottes. Was will mein Gott von mir in dieser schweren Zeit? Fragen wir so, dann liegt die Antwort hell und klar vor uns. Gott will, daß wir in täglicher, treuer Erfüllung unsere Pflicht tun,- daß wir gewissenhaft und mutig aushalten, solange es Ihm gefällt; daß auch hier im Feldleben Seine heiligen Gebote unseres Tuns Richtschnur bleiben und des Heilandes Gnade [S. 38] unseres Lebens Sonne und Schild. „Führ mich zum Siege, führ mich zum Tode; Herr, ich erkenne Deine Gebote; Herr, wie Du willst, so führe mich." Du deutsches Volk: die Welt vergeht mit ihrer Lust; es ist nicht das Höchste, reich und mächtig auf Erden zu werden; höher ist's, unter des heiligen Gottes Wohlgefallen zu stehen. Ihr deutschen Männer: wenn wir Leben und Gesundheit heimbringen dürfen aus diesem Krieg, dann wollen wir Gott dafür danken als für eine herrliche Gabe; mehr noch wäre es, wenn wir den tief im Herzen verankerten heiligen Entschluß mitbrächten: Deinen Will, Gott, tue ich gern. Denn wer den Willen Gottes tut, der bleibet in Ewigkeit. Amen.


Personen: Eisenberg, Christian
Sachbegriffe: Feldpredigten · Feldgeistliche · Granaten · Rüstungsfabriken · Zerstörungen · Lazarette · Gefallene
Empfohlene Zitierweise: „Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916, Abschnitt 8: Predigt 8: zu 1. Johannes 2, 17“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/125-8> (aufgerufen am 01.05.2024)