Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916

Abschnitt 5: Predigt 5: zu Jerem. 29, 11-14

[21-25]

Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über Euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, daß ich Euch gebe das Ende, des Ihr wartet. Ihr werdet mich suchen und finden. Denn so Ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von Euch finden lassen, spricht der Herr. Jerem. 29, 11-14.

Kameraden!

Aus dem gehörten Text weht etwas zu uns herüber, das uns bis in's tiefste Herz hinein wohl tut: ein Geist der Klarheit, der ruhigen Heftigkeit, weitausschauenden Gewißheit. Ein gefährlicher Feind für unsere innere Ruhe und den Frieden unserer Seele ist die Unsicherheit und Ungewißheit über das Kommende, wir kennen das alle aus mannigfacher Erfahrung: etwa beim Beginn eines neuen Zeitabschnitts, angesichts einer auftauchenden Sorge, einer beginnenden schweren Krankheit oder dgl. Dann geht dieses Fragen und Warten durch unsere Seele: „wenn ich nur wüßte"! — Wie oft haben wir während dieses Krieges schon gewünscht, in die Ferne blicken zu dürfen! Freilich auch die entgegengesetzte Empfindung ist uns nicht fremd; der Dank dafür, daß die Zukunft uns gnädig verhüllt ist; „gut daß wir's im Anfang nicht wußten, wie lange der Krieg dauern würde". Aber doch drängts uns immer wieder nach vorwärts, wie wird sich die äußere und innere Entwicklung unseres Volkes nach dieser schweren Zeit gestalten? Wird der Gewinn dem gewaltigen Einsatz entsprechen? Wie lange wird uns die Pflicht noch hier festhalten? Augenblicklich empfindet jeder einzelne Mann hier in unserer Division, daß [S. 22] nach langen Monaten größter Gleichmäßigkeit Neues, Unbekanntes, Großes für uns heraufkommt. Und immer zieht's uns wieder durch die Seele: wenn wir nur wüßten! — Das macht, wenn man ihm nachgibt, grüblerisch und untüchtig. Solches aussichtsloses Suchen und Fragen verbraucht unnützer Weise wertvolle innere Kräfte und lenkt von den gegenwärtigen Aufgaben ab, die volle Kraft und Sammlung erfordern.

Dahinein klingt aus unserem Text das ruhige, überlegene: „Ich weiß wohl", welch eine Wohltat ist's im Leben, sich bei eigener Unsicherheit, Unklarheit und Ratlosigkeit voll vertrauen an kundige, überlegene Persönlichkeiten wenden zu dürfen, wie dankbar und vertrauensvoll legt man in Krankheitszeiten ein teueres Leben in die Hände eines tüchtigen und bewährten Arztes! Mit welcher Hingebung folgen unsere Truppen ihren in manchem Kampf erprobten Führern! Auch jetzt, bei allem, was kommen mag: groß ist unser Vertrauen zu unserer obersten Heeresleitung. Mag kommen was kommen will, es wird schon recht werden. Das hilft gegen Grübeln und Fragen.

Über allen aber, die menschliches Vertrauen verdienen, steht der, der hier in unserem Text zu uns sagt: „Ich weiß wohl". Es ist der lebendige, allmächtige und allwissende Gott, der von Ewigkeit zu Ewigkeit waltet, während der Mensch Geschlechter auf Erden kommen und gehen, der oft scheint, sich zurückzuhalten, während die Völker toben und aufeinander schlagen- der aber doch beständig die Gedanken seiner Weisheit und seiner ewigen Gnade in all das bunte, oft so sinnlos und wirr erscheinende irdische Geschehen hineinwebt, verdient dieser Gott, den wir um Jesu Christi, unseres Heilandes, willen „unsern Vater" nennen dürfen, nicht unser Vertrauen, wenn er sagt: Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über Euch habe? Hat er nicht

oft genug wunderbar über uns gewaltet und uns über Bitten und verstehen weise und gnädig geführt? Hat er sich nicht in [S. 23] diesem Krieg voll zahlreicher, mächtiger Feinde bisher treulich und herrlich zu uns bekannt und die Bitte, mit der das deutsche Volk zu Kriegs-Beginn vor Ihn trat: „Vater, Du führe mich", mit dem Siegeszug beantwortet, den Er unseren Heeren geschenkt hat? Nun stehen die Kriegshandlungen still, und wir möchten wissen, wie es weiter gehen wird. Einzelheiten über irdische Vorgänge sagt uns Gott nicht, und wir müssen manche Einzel-Frage zum Schweigen bringen, wenn wir zu Ihm aufblicken. Aber das Ganze steht uns fest: Gott hat gute, gnädige Gedanken mit uns, auch wenn er uns lange hier draußen festhält und schwere Wege führt.

Seit Jesus wissen wir ein für alle mal, was Gott mit der Welt und den einzelnen Menschen will: Er will, daß ihnen allen geholfen werde und daß sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen; Er will uns zu sich ziehen aus lauter Güte. Seit Jesus und seinem Passionsweg wissen wir auch, welche heiligen, hohen Aufgaben das Leid in Gottes Plänen hat. Es kommt nicht zu uns, um uns zu quälen, sondern um uns zu segnen. Gott legt's uns nicht auf, weil Er Freude daran hätte, wenn wir darunter zucken und seufzen, sondern weil Er uns dadurch läutern und stählen will. Das ist Gottes Absicht auch mit diesem Krieg. „Gedanken des Friedens", — klingts nicht wie bitterer Spott angesichts der Kämpfe, die uns umtoben? „Nicht des Leides", — klingts nicht wie Hohn inmitten des tausendfachen Wehs, das die Seele unseres Volkes durchzittert? Und doch wird Gott recht behalten! Im Glauben halten wir's fest: „Gedanken des Friedens und nicht des Leides"! Viele, viele in unserem Volk wissen es jetzt schon, daß ihnen diese schwere Zeit mit ihren äußerlichen Verlusten inneren Segen gebracht hat, und viele andere werden es noch erfahren. —

„Daß ich Euch gebe — spricht Gott — das Ende, das Ihr wartet." Das Ende dieses großen Sterbens, das Ende unseres [S. 24] langen Fernseins von der Heimat, das Ende dieses ganzen furchtbaren Ringens, — ach, wie warten wir darauf; wie sehnen wir uns danach mit allen Fasern unserer Herzen! Vielleicht ist im einzelnen manches von dem, was wir mit dem Frieden erwarten, nicht richtig; vielleicht müssen wir manche von den hohen Erwartungen, mit denen wir in den Krieg gezogen sind, zurückstellen und bescheidener werden; vielleicht ist auch manches von der Art, wie wir warten, verkehrt; wir werden wohl noch viel geduldiger und tragfähiger werden müssen. Aber fest steht bei dem allen unsere Zuversicht, die wir uns durch nichts erschüttern lassen: daß der heilige, gerechte und barmherzige Gott mit uns ist und die Sache des deutschen Volkes in diesem Krieg nicht wird zu Schanden werden lassen. Mag Er noch manches Opfer von uns fordern, — wenn wir nur treu sind, dann wird der Sieg zuletzt unser sein!

Großes ist's, was wir damit erwarten. Aber es ist noch nicht das Größte. „Ihr werdet mich suchen — verheißt der Herr — und finden". Ein durch die Not schwerer Zeit zu seinem Gott geführtes Volk, das Ihn findet und sich Ihm in Buße, Glauben und Gehorsam unterwirft, das ist noch größer, als ein siegreiches Volk. Ach, daß das von unserem deutschen Volk gesagt werden könnte! Herrliche Anfänge sind gemacht. Gewaltig war die religiöse Bewegung, die zu Anfang des Krieges durch Deutschland hindurchflutete. Wie wird ihr Ende sein? Wird sie im Sande verlaufen? Wird sie emporführen zur Höhe lebendigen, reifen Christentums? An Gott liegts nicht, wenn das nicht geschieht. In heiligem Liebeswillen neigt er sich uns entgegen: „So Ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, will ich mich von Euch finden lassen". Gottlob, viele haben Ihn gefunden, weil sie Ihn im Donner der Schlachten suchten, und gar mancher von ihnen bezeugt das als sein größtes Glück und als einen unaussprechlichen Segen, wer das noch nicht aus eigner Erfahrung heraus sagen kann, [S. 25] soll es doch denen glauben, die es ihm in Ernst und Wahrheit versichern, und soll nicht müde werden im Suchen, damit auch er findet.

Ich weiß wohl, — Gedanken des Friedens, — suchen und finden, — starke Gottes-Kräfte wehen uns aus diesen Worten entgegen, Kameraden. Laßt sie uns aufs neue in unser Leben hineinfassen. Amen.


Personen: Eisenberg, Christian
Sachbegriffe: Feldpredigten · Feldgeistliche
Empfohlene Zitierweise: „Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916, Abschnitt 5: Predigt 5: zu Jerem. 29, 11-14“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/125-5> (aufgerufen am 01.05.2024)