Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916

Abschnitt 7: Predigt 7: zu 2. Cor. 6, 4 ff.

[29-33]

In allen Dingen beweisen wir uns als die Diener Gottes: in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Aengsten; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen.

2. Tor. 6, 4 ff.


Kameraden!

Seitdem wir zum letzten Mal Gottesdienst hatten1, haben wir alle viel erlebt. In rascher Folge haben sich die Ereignisse gedrängt. Wie ein Traum war's uns, als das lang Ersehnte zuletzt doch überraschend schnell über uns kam: Der Aufbruch aus unseren alten Stellungen und Gräben, die seit 16 Monaten unsere Heimat waren; jener frohe Abend, da wir ohne Kampf die französischen Gräben in Besitz nahmen; dann die Tage, an denen wir mit drinn standen in der bisher größten Schlacht aller Zeiten; die heißen Stunden, da unsere Regimenter im Sturm auf . . . ., . . . und . . . ihre Lorbeeren ernteten; danach — bis zu dieser Stunde — das Aushalten müssen in schwerem feindlichen Feuer, und nun wieder das neue Sich-Einrichten unmittelbar unter den feuerspeienden Rohren einer starken feindlichen Artillerie. Durch wessen Seele wären bei alle dem nicht schwere Erschütterungen gegangen? — Nun ist uns zuerst wieder eine ruhige Stunde geschenkt. Sie soll der Sammlung vor Gottes Angesicht dienen. Um so lieber nehmen wir sie, als ja heute Sonntag ist, und wir uns darum um so inniger im Geist mit unseren Lieben daheim vereinigt wissen, die jetzt wohl auch dort in ihren Kirchen Gottes Angesicht suchen. Was hat uns heute Gottes Wort zu sagen? [S. 30]

„In allen Dingen beweisen wir uns als die Diener Gottes". Das ist ein hohes, stolzes Wort des Apostels Paulus, wie Ruhmredigkeit würde es klingen, wenn wir nicht wüßten, wie wahr, wie gewissenhaft und wie demütig dieser Mann war. — Diener Gottes sind nicht nur die Apostel, Missionare und Pfarrer, sondern — nach evangelischem Bewußtsein — alle Christen, denen daran liegt, ihr Leben unter Gottes Augen und zu Seiner Ehre zu verbringen. So wird es auch von uns gelten dürfen, die wir das feldgraue Kleid tragen, wir dienen im deutschen Heer- wir sind aber zugleich Diener des lebendigen Gottes. Es ist der Ruhm der deutschen Soldaten, — in diesem Weltkrieg aufs neue tausendfach bewährt —, daß sie sich in allen Lagen zurecht finden und in alle Dinge schicken können, daß sie sich überall, wohin sie auch gestellt werden mögen, als treue, zuverlässige Männer erweisen, aus denen die Freude und das Wohlgefallen des Vaterlandes ruhen kann, wir wollen alle Zeit unsere Ehre darein setzen, Kameraden, uns in allen Dingen als solche treuen Diener unseres Kaisers und Vaterlandes zu erweisen. — Noch höher aber soll uns das Ziel stehen: daß das Wohlgefallen des heiligen Gottes auf uns, als auf seinen rechten Dienern, ruhen kann. Unser Text nennt uns einige der Hauptpunkte, auf die es dabei ankommt.

Diener Gottes erweisen sich als solche in großer Geduld, in Trübsal, in Nöten, in Ängsten, wie nötig die Geduld im Krieg ist, — wir wissen alle ein Lied davon zu singen. Im langen Schützengrabendienst hatten wir Zeit, uns darin zu üben. Wir dürfen auch sagen, daß wir etwas dabei gelernt haben. Nun tritt die Forderung der Geduld aufs neue an uns heran. Schreitet unsere Offensive nicht so rasch vorwärts, als wirs dachten und wünschten? Taucht die Möglichkeit vor uns auf, uns wieder in neuen Stellungen einrichten zu müssen? Geduld, Kameraden! Grade darin, in der zähen, ausharrenden Geduld erweist sich der Diener Gottes. Ein Christ ist und bleibt ein Mensch, der warten kann. — Trübsal, Nöte, Ängste — ach, wie viel gibt es davon auf Erden; wie manche schwere Stunde zieht über uns Menschen dahin. Aber weniges läßt sich mit dem vergleichen, was unter schwerem feindlichen Trommelfeuer auszuhalten ist. Ihr wißt es aus Erfahrung, Kameraden, habt Dank für Euere dabei bewährte Treue. Wir sind noch nicht am Ende. Es wird noch manche Stunde der Trübsal, Not und Angst, von innen und außen, zu ertragen sein; noch mancher Augenblick, in dem es heißt: „mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen"; noch manche Woche der Sehnsucht und des Getrennt-Seins von allen Lieben. Laßt uns darauf bedacht sein, daß wir uns in alle dem immer wieder bewähren und beweisen als die Diener Gottes, voll Geduld und Ausdauer, voll Kraft und Freudigkeit.

Als die Unbekannten, und doch bekannt. Wir gedenken an unsere Toten. Der Platz manches braven Kameraden ist leer geworden. Den Gefallenen ist die Ruhestätte bereitet worden, so sorgfältig und gewissenhaft, als es die Verhältnisse in jedem einzelnen Fall nur immer gestatteten. Und wenn der edle Friede gekommen ist, dann wird es den trauernden Angehörigen in der Heimat in den allermeisten Fällen nicht schwer werden, die Gräber ihrer gefallenen Gatten, Väter und Söhne zu finden, um an ihnen zu weinen und zu beten. Aber nicht alle haben begraben werden können; manchen haben die Granaten zermalmt und nicht alle Gräber können bewahrt bleiben, manches wird von der Kriegs-Furie hinweg gefegt. Das ist nicht zu ändern. Denkt an die gefallenen Helden unserer Marine, deren Leiber das weite Meer deckt. Es kommt ja für den Christen auch zuletzt nicht so viel darauf an, wo er ruht. Denn Gott kennt und sammelt sie ja alle, und Ihm sind und bleiben sie alle bekannt. In der Ewigkeit geht nichts verloren. Mag mancher Name auf Erden verwehen; wenn er nur in den Büchern des Lebens verzeichnet [S. 32] bleibt! Das mag Ruhe in traurige Herzen daheim bringen, und auch in die unsren, die wir nicht wissen, wie es mit uns werden mag.

Als die Sterbenden, und siehe, wir leben. Muß es uns nach all dem Erlebten nicht wie ein Wunder erscheinen, Kameraden, daß wir noch am Leben und gesund sind? So manchen haben wir rechts und links von uns fallen sehen, in so manchem Augenblick schien's uns gewiß, daß das unser letzter sein werde. „Es ist noch einmal gut gegangen", — sagt man dann wohl hinterher. Laßt uns lieber sprechen: „In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über mir Flügel gebreitet". Es ist Gnade, unbegreifliche, unverdiente Gnade von Gott, wenn er uns durch das alles hindurchbringt und uns das Leben erhält. Laßt es uns als neugeschenkt nach jeder solchen ernsten Zeit hinnehmen und uns dann darin bewähren als Diener Gottes. — Und wenn es doch einmal auch für uns hier draußen zum Sterben kommt, dann sind wir als Jünger des auferstandenen Heilands auch dann getrost „als die Sterbenden, und siehe, wir leben"!

Als die Traurigen, aber allezeit fröhlich. Inmitten des tiefen Ernstes, der einen hier umgibt, unter all den Schrecken, die oft an uns vorübergehen, ist's einem wohl dann und wann zu Mut, als könne man nie wieder recht froh werden und müsse das Lachen für immer verlernen. Und dann kann man sich doch wieder freuen! Gott Lob, daß es so ist! Gott hat ja selbst dieses tiefe Bedürfnis nach Freude in das Menschenherz gelegt. Unsere Aufgabe bleibts, darüber zu wachen, daß diese Freude rechter Art bleibt. Eine herrliche Gabe fürs Feld ist der Soldaten-Humor, der auch durch schwersten Druck nicht niederzuhalten ist, sondern immer wieder seine Fittiche regt, wir wollen ihn uns nicht verkümmern, wir wollen ihn aber auch nicht in Leichtfertigkeit und Rohheit ausarten lassen. Grade weil wir Christen sind, deren Lebensziel durch den Glauben sicher gestellt ist, wollen wir unseren weg gehen „als die Traurigen, aber allezeit fröhlich."

Als die Armen, aber die doch viele reich machen. Seit 19 Monaten liegt Ihr im Feld, Kameraden. Euere Habe hier draußen ist gering; Euer Haushalt ist Euer Tornister; unsere Entbehrungen, besonders an inneren Gütern, sind groß. Als „die Armen" kommen wir uns oft genug vor, wenn wir uns mit unserem früheren Leben vergleichen. Warum ertragen wir das alles gern? wem soll es zugut kommen? Unserer Heimat und allen unseren Lieben dort. Für das Vaterland kämpfen wir und für alles Hohe und Edle, das das Leben lebenswert macht. Wenn wir so viele „reich" machen dürfen, reich an Frieden, will's Gott, unsere Kinder und Kindes-Kinder, dann wollen wir gern, wenn es sein muß, noch weiter als „die Armen" hier draußen aushalten.

So wollen wir uns bewähren, Kameraden, als die Diener Gottes. Und Er selbst, auf den wir dabei unsere Zuversicht setzen, gebe uns dazu Kraft und Treue. Amen.


  1. Anmerkung Eisenberg: Wegen schwerer Kämpfe mußten die Gottesdienste während mehrerer Wochen ausfallen.

Personen: Eisenberg, Christian
Sachbegriffe: Feldpredigten · Feldgeistliche · Artillerie · Feldgrau · Kaiser · Schützengräben
Empfohlene Zitierweise: „Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916, Abschnitt 7: Predigt 7: zu 2. Cor. 6, 4 ff.“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/125-7> (aufgerufen am 01.05.2024)