Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916

Abschnitt 4: Predigt 4: zu 1. Petri 2, 17

[16-20]

Habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehret den König. 1. Petri 2,17.

Kameraden!

Zum 2. Mal erleben wir den Geburtstag unseres obersten Kriegsherrn, unseres geliebten Kaisers und Königs1, im Feld, wie im vorigen Jahr, so hat er auch dieses Mal gewünscht, daß nicht lautes Feiern den Tag ausfüllen möge; aber er hat hinzugesetzt, daß es ihm ein lieber Gedanke sein werde, zu wissen, daß heute viele aus seinem Volk in Liebe und Fürbitte seiner gedenken. Um das auch von uns aus zu tun, haben wir uns hier vor Gottes Angesicht versammelt. Aus dem verlesenen Gotteswort klingts uns dabei wie ein dreifacher Glocken-Klang entgegen, dem wir lauschen wollen: Habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehret den König!

Fürchtet Gott! Das steht in der Mitte, als der feste, tragende Grund für alles andere. Wenn das Neue Testament zur Gottesfurcht mahnt und erzieht, so wissen wir, daß dem nichts von knechtischer Furcht oder scheuem Sich-Ducken anhaftet, das des freien, starken deutschen Mannes unwürdig wäre. Schriftliche Gottesfurcht —, das ist vielmehr ein aus tiefster Überzeugung und eignem inneren Erleben heraus geborenes williges Sich-Beugen vor dem allmächtigen, heiligen Gott; etwas, das grade dem Mann erst seine volle Würde und seinen rechten Gehalt gibt, weil es ihn im Glauben an den Quell aller Reinheit und echten Kraft bindet. „Fürchtet Gott" — klingt uns dieser Glockenklang jetzt nicht tiefer und voller entgegen, als je zuvor? Das deutsche Volk [S. 17] vor dem Krieg war in Gefahr, daß ihm das nur noch wie ein verwehter, ferner Schall erscheinen wollte. Bismarcks herrliches Wort, daß der Deutsche Gott fürchte und sonst nichts auf der Welt, drohte zur unwahren Phrase zu werden. Der Krieg hat uns, Gottlob, wie für manches Andere, so auch für diesen Klang wieder hellhöriger gemacht. Groß und gewaltig ist's vielen wieder aufgegangen: wahrhaftig, es gibt einen lebendigen, ewigen Gott, wert, daß sich die Menschheit in Ehrfurcht vor ihm beugt; einen Gott, der über dem einzelnen Menschenleben waltet und auch im dichtesten Schlachten-Gewühl keinen aus dem Auge verliert, und der zugleich die Geschichte macht, unabhängig vom Zufall, von der rohen Gewalt des Stärkeren, wie den Instinkten der Masse, die sich um die besten Futterplätze drängt. Gott ist's, der durch das Labyrinth der Völker geht, mit der stillen Macht seines Geistes, und der in das Aufeinanderstoßen der Nationen die Gedanken seiner Vorsehung hineinwirkt. Gott macht die Geschichte; aber Er macht sie durch Männer, hell kam uns diese Erkenntnis aufs neue zum Bewußtsein, als wir beim Hohenzollern-Jubiläum vor wenigen Monaten die Geschichte unseres engeren Vaterlandes überblickten. Wie hat Gott darüber gewaltet; wie hat Er's nicht fehlen lassen an edeln und hohen Geistern aus diesem Geschlecht, die in Ehrfurcht und Gehorsam, in Liebe und Vertrauen zu Ihm emporblickten, die mit Seiner Hülfe und unter Seinem Segen emporsteigen durften vom Kurhut zur Kaiser-Krone.

Und nun ruht unser Auge auf dem Sproß dieses gottgesegneten Hauses, dem der heutige Tag gilt, auf Wilhelm II., dem Deutschen Kaiser, dem Mann, von dem man sagen darf, daß er — wie kein anderer — im Mittelpunkt dieses Weltkriegs steht. „Ehret den König", so klingt der 2. Glockenton uns nicht nur in's Ohr, sondern in's Herz, wie leicht wird es uns durch die ganze Persönlichkeit unseres Kaisers gemacht, diesem Gebot [S. 18] nachzukommen! Wie tief ist er hinein gewachsen in das Herz seines Volkes, vor allem seiner Soldaten, in deren Mitte er diesen langen Krieg verlebt, fern — wie wir alle — von denen, die ihm lieb sind. Wollen wir es recht ermessen, was wir Deutsche an unserem Kaiser haben, dann brauchen wir uns nur die Oberhäupter der feindlichen Völker zu vergegenwärtigen: die Könige von England und Italien, den Zaren von Rußland, den Präsidenten von Frankreich, die flüchtenden Könige von Belgien, Serbien, Montenegro,- und daneben — unseren Kaiser! Gewiß, auch er ist ein Mensch mit Schwächen und Fehlern. Aber doch: welch ein leuchtendes Vorbild an Gottesfurcht und Pflichttreue und restloser Hingabe im Dienst seines Volkes! Das alte Wort: „Große Gedanken und ein reines Herz, das ist's, was wir uns von Gott erbitten sollen", — bei ihm ist's Wahrheit und Wirklichkeit. Er hat einmal gesagt, daß die Krone, die er trage, eine Dornenkrone sei. Wie wahr ist das Wort! Drang ihm schon mancher ihrer Dornen vor dem Krieg tief in's Haupt, wenn er unter mancher Verkennung seiner besten Absicht und unter liebloser Kritik aus der Mitte seines Volkes heraus litt, wie viel mehr jetzt im Krieg! Seine lauteren Friedens-Absichten mit Füßen getreten; von der feindlichen Presse wie der gemeinste Verbrecher an den Pranger gestellt; tief enttäuscht von seinen Freunden und Verwandten auf den russischen und englischen Tronen [!], um deren Zuneigung er ehrlich geworben; der heiße Schmerz über seines Volkes Leid, das hohe Gefühl der Verantwortung auf den Schlachtfeldern und an den Massengräbern; — wahrlich: es ist eine Dornenkrone, die er trägt! Und dafür, daß er sie trägt, unerschrocken, willig, treu, dafür wollen wir ihn lieben - mehr: dafür wollen wir ihn ehren, für ihn einstehen mit Gut und Blut, ihm unser ungeschwächtes Vertrauen erhalten und seinen Befehlen bereit stehen bis zum letzten Atemzug. Haben vor dem Krieg viele nicht mehr recht gewußt, was eigentlich Vaterlandsliebe und Königstreue [S. 19] für hohe Güter sind, — jetzt sind sie wieder in Millionen von Herzen lebendig geworden, und wir wollen Gott im Himmel an diesem festlichen Tag bitten, daß Er diese heilige Glut selbst schüren und erhalten möge.

Je fester wir zu dem Haupt stehen, das uns Deutschen auf Erden gesetzt ist, desto treuer werden wir auch zu einander halten, „habt die Brüder lieb" —, dies der 3. Glocken-Klang, den wir hören. Siehe, wie fein und lieblich ist's, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen. Das gilt nicht nur von den Brüdern eines Hauses, sondern auch von denen eines Volkes. Der letzte Krieg, den unser Volk zu führen hatte, der von 1870/71, schloß mit der Aufrichtung des Deutschen Reiches und der Erneuerung der deutschen Kaiserwürde, und die deutsche Kaiser-Krone hat seitdem als das Wahrzeichen deutscher Einigkeit geleuchtet. Gottlob, daß sie sich als solches auch in diesem gewaltigen Krieg so glänzend bewährt hat. Wie ein Mann ist Deutschland im August 1914 aufgestanden, weil es einem jeden klar war, daß es dieses Mal um Kaiser und Reich, um Volk und Vaterland geht. Gewaltig braust das Lied vom deutschen Kaiser heute durch die deutschen Stämme, daheim und hier draußen, und — ob Nord oder Süd, ob Sachsen, Bayern oder Preußen: wir wissen, daß wir zusammen gehören, und daß nur die Einigkeit uns stark macht. — Auch im Inneren des Volkes, wie groß stand Deutschland beim Ausbruch des Krieges da, als seine Söhne aus allen Parteien und Ständen heraus sich über alle Schranken hinweg die Bruderhand reichten! Könnte das nicht so bleiben? wie fest gefügt steht unser Heer da in herrlicher Kameradschaft zwischen Hoch und Niedrig! Wollen wir das nicht mit hinübernehmen in den Frieden? Möglich wird das alles sein, wenn es auf dem starken gesunden Hintergrund lebendiger Gottesfurcht ruht; wenn der Gedanke vorherrscht : Zu viel hat Gott an uns getan, las daß wir das als daß wir das alles wieder vergessen könnten. [S. 20]

Groß ist die Not dieses Krieges; so groß, daß sie zum Himmel schreit und die in's Gericht fordert, die ihn zu verantworten haben. Aber größer noch soll sein Segen sein: die Festigung und Läuterung Deutschlands, damit es geschickt werde für seine weltweite Aufgabe, das Herz Europas zu werden. Es ist ein Kampf des Lichtes gegen die Finsternis, den wir führen. Darum gilt es: O Deutschland, hoch in Ehren2, Du heiliges Land der Treu! hell leuchte deines Ruhmes Glanz in Ost und West aufs neu! Dem teuren Lande Schirm und Schutz sei deutscher Arm bereit, Wir bieten jedem Feinde Trutz Und scheuen keinen Streit, haltet aus, haltet aus, Lasset hoch das Banner weh'n! Daß sich unsre alte Kraft erprobt, wenn der Schlachtruf uns entgegentobt, haltet aus im Sturmgebraus! Amen.


  1. Der Geburtstag Kaiser Wilhelms II. wurde am 27. Januar gefeiert.
  2. Die wiedergegebenen Zeilen stammen aus dem Soldatenlied "O Deutschland hoch in Ehren" von Ludwig Bauer (1832-1910), entstanden 1860, mit der Musik von Henry Hugo Pierson. In dem in der Predigt verwendeten Text sind Zeilen aus der 1., 3. und 2. Strophe gemischt und auf den Anlass bezogen verändert. So heißt es etwas statt "Zeiget stolz, zeigt der Welt, Daß wir treu zusammenstehn" jetzt: "Zeiget ihm, zeigt dem Feind, daß wir treu zusammen stehn.

Personen: Eisenberg, Christian · Wilhelm II., Deutsches Reich, Kaiser · Bismarck, Otto von · Bauer, Ludwig · Pierson, Henry Hugo
Orte: England · Frankreich · Russland · Belgien · Serbien · Montenegro · Bayern · Preußen
Sachbegriffe: Feldpredigten · Feldgeistliche · Kaisergeburtstag · Hohenzollernjubiläum · Zaren · Deutsch-Französischer Krieg von 1870-1871 · Kaiserkrone · Augusterlebnis · Parteien · O Deutschland hoch in Ehren
Empfohlene Zitierweise: „Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916, Abschnitt 4: Predigt 4: zu 1. Petri 2, 17“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/125-4> (aufgerufen am 01.05.2024)