Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Theodor Birt, Vor der Entscheidung! Lazarett-Ansprache, 1917

Abschnitt 5: Kaiser Barbarossa und Kaiser Wilhelm II.

[12-14] Das Wort „Kaiser" bedeutete damals mehr als heute; es bedeutete den Weltbeherrscher mit dem Hoheitsrecht über die anderen Fürsten und Könige des weiten Abendlandes. Das war, was man Imperialismus nennt. Um das durchzusetzen, verbrauchten die Kaiser in auswärtigen Kriegen ihre Kraft und wurden dabei nicht Herr im eigenen Lande. Mächtige Kirchen und Dome hat das Mittelalter aufgebaut, die noch heute stehen, aber kein Kaiserschloß, das dauernd als [S. 13] Residenz im Reiche galt. Deutschland hatte keine Hauptstadt! Unstet ging das Kaisertum von einer Fürstenfamilie zur anderen über. Dagegen machten die kleinen Herren im Lande, die Herzöge und Markgrafen in Sachsen, in Bayern, in Brandenburg sich selbständig, lehnten sich dreist gegen dem Kaiser auf, führten gar Fehden untereinander; ihre Landeshoheit wurde erblich, und unser Vaterland zerfiel bald in hundert kleine Staaten. An dieser Zersplitterung ging Deutschland langsam zugrunde, tausend Jahre hat es zu seinem Verfall gebraucht; es wurde porös und bröckelig wie Sand, indessen Frankreich und England bald fest wie Zement standen. So gewöhnten sich unsere Nachbarn daran, uns zu mißhandeln. Deutschland wurde ein Spielball für ihren Uebermut.

Unser Kaiser heute denkt anders; er will nur deutsch sein, weiter nichts. „Kaiser" heißt er nur, um sich im Titel von den deutschen Königen in Bayern, Sachsen, von den Großherzögen und wie die Titel bei uns sonst lauten, irgendwie zu unterscheiden. Er ist nicht ihr Herr, aber ihr vollgültiger Vertreter vor der Gesamtheit.

In dieser Eigenschaft hat unser Kaiser die Führung im Reich, und er hat nun auch, wie die Kaiser des Mittelalters, eine Losung ausgegeben, die großartig in [S. 14] die Zukunft weist. Die Losung Friedrich Barbarossas war: Deutschlands Zukunft liegt jenseits der Berge, jenseits der Alpen, in Italien. Die Losung unseres Kaisers Wilhelm ist: Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser, liegt auf dem Meer. Mit den lateinischen Ausdrücken: nicht ultramontan, sondern ultramarin ist unsere Zukunft.


Personen: Birt, Theodor
Empfohlene Zitierweise: „Theodor Birt, Vor der Entscheidung! Lazarett-Ansprache, 1917, Abschnitt 5: Kaiser Barbarossa und Kaiser Wilhelm II.“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/119-5> (aufgerufen am 19.04.2024)