Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Theodor Birt, Vor der Entscheidung! Lazarett-Ansprache, 1917

Abschnitt 3: Neid der europäischen Nachbarn gegenüber Deutschland

[7-9] Nur Italien und Deutschland leiden wirklich an Uebervölkerung und brauchen mehr freies Land zum Besiedeln. Es ist nicht leicht, so viel Hungrige, wie wir in Deutschland haben, zu ernähren. Aber es ging trotzdem bei uns, deshalb, weil alles gut organisiert war und alle Hände Arbeit fanden. Alle hatten zu tun. Unser Haus ist zwar eng, und es kann sich nicht [S. 8] ausdehnen; aber wir setzten gleichsam noch ein Stockwerk drauf, sodaß Deutschland wie ein einziger riesiger Bienenkorb wurde, in dem es den fleißigen Bienen ganz wohl war. Bienen sind friedlich; sie stechen nur, wenn man sie angreift und bei der Arbeit stört wie jetzt. Daß es bei uns auch Drohnen gab, das will ich nicht leugnen.

Aber die Nachbarn! „Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt", sagt Wilhelm Tell. Wir haben der Nachbarn zu viel. England liegt im Meer und hat gar keinen. Welch ein Vorteil! Um Deutschland herum dagegen wohnen Russen, Polen, Tschechen, Schweizer, Franzosen, Belgier, Holländer und Dänen, und hinter Belgien lauert England, hinter der Schweiz lauert Italien.

Als es uns zu gut ging, als wir durch unseren Fleiß, durch Industrie und Handel fast das ganze Ausland übertrafen, da fielen die bösen Nachbarn in Massen über uns her. Es ist ganz so wie auf der Schule unter den Schulbuben. Ein neuer Schüler kommt in die Klasse. Der ist ein Musterschüler, ist auch ein bischen tugendstolz. Er bekommt immer die besten Noten, überholt rasch alle anderen. Da werden die Mitschüler wütend und neidisch, fallen über den Musterknaben her und verhauen ihn, bis der Schulmeister schützend eingreift. [S. 9]

Solche Schule ist auch die große Völkerwelt, und der liebe Gott ist der große Schulmeister. Deutschland war der Musterschüler, den die anderen aus blassem Neid jetzt verhauen wollen. Aber gottlob, der Schüler ist nicht nur fleißig, er weiß sich auch zu wehren; ein paar Verbündete und gute Kameraden decken ihm den Rücken, und mit Gottes Hilfe, mit Hilfe des großen Schulmeisters, behält er den Sieg.

Die neidische Bande, die Erbärmlichen, sie haben sich, als sie uns anfaßten, arg die Finger verbrannt. Nun, da wir Deutschen im Vierbund an allen Fronten siegreich stehen und rasch vorstoßend überall im Feindesland festen Fuß gefaßt haben, nun schreien unsere Gegner über das Meer nach Amerika hinüber: wir Deutschen hätten angefangen, wir hätten angegriffen und wollten die Welt erobern. Wir die Welt? Das ist kein so übler Gedanke; aber wir müßten dann all die üblen Völker, die da wohnen, mit in Kauf nehmen. Wir denken nicht daran.


Personen: Birt, Theodor
Empfohlene Zitierweise: „Theodor Birt, Vor der Entscheidung! Lazarett-Ansprache, 1917, Abschnitt 3: Neid der europäischen Nachbarn gegenüber Deutschland“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/119-3> (aufgerufen am 29.03.2024)