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Kontroverse über Andersch-Gedicht zum Radikalenerlass, 3. Januar 1976

Die in Frankfurt am Main erscheinende, überregional verbreitete Abonnement-Tageszeitung „Frankfurter Rundschau“ veröffentlicht ein Gedicht des deutschen Schriftstellers Alfred Andersch (1914–1980) mit dem Titel „Artikel 3“, in welchem der Autor scharfe Kritik an der Praxis des sogenannten Radikalenerlasses (eigentlich: „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“) und das aufgrund der darin gezogenen Vergleiche mit der Verfolgung Andersdenkender unter der NS-Herrschaft heftige Kontroversen in der Öffentlichkeit auslöst. Mehrere besonders drastische Formulierungen („Dreißig Jahre später / gibt es wieder / sagen wir / zehntausend / die verhören / die neue Gestapo / ... Das neue KZ / ist schon errichtet / ... Ein Geruch breitet sich aus / der Geruch einer Maschine / die Gas erzeugt.“) lösen in der Folge eine heftige Kontroverse in Politik, Medien und Öffentlichkeit aus. Unter anderem untersagt der zuständige Programmdirektor des Südwestdeutschen Fernsehens Dieter Stolte (geb. 1934) den Redakteuren des dort ausgestrahlten „Literaturmagazins“, Anderschs Gedicht in einer Sendung vorzutragen, da es sich dabei nach seiner Meinung um eine „gehässige Schmähschrift auf die Bundesrepublik“ handele.1

In dem am 28. Januar 1972 auf Vorschlag der Innenministerkonferenz durch die Regierungschefs der Bundesländer und den amtierenden Bundeskanzler Willy Brandt (1913–1992) gefassten Beschluss trafen Bund und Länder eine förmliche Absprache zur Frage der Einstellung von Personen in den öffentlichen Dienst, bei denen begründete Zweifel an ihrer Verfassungstreue besteht. Bewerber, die als Anhänger von verfassungsfeindliche Ziele verfolgenden Organisationen begründete Zweifel daran ließen, ob sie uneingeschränkt für die freiheitliche und demokratische Grundordnung der Bundesrepublik eintreten, konnten daraufhin abgelehnt werden. Die später auch als „Extremistenbeschluss“ bekannte Vereinbarung, die sich in der Praxis vor allem gegen Mitglieder kommunistischer und anderer linker Organisationen richtet,2 zieht anfangs bei Bewerbungen im öffentlichen Dienst eine Regelanfrage beim Bundesamt für Verfassungsschutz nach sich und wird als undemokratische Umsetzung eines faktischen Berufsverbots für politisch in linken Organisationen aktive Personen kritisiert.
(KU)


  1. Vgl. DER SPIEGEL, 26.1.1976, S. 112: TV-Affären: Stolte stoppt Andersch-Gedicht.
  2. So zum Beispiel gegen Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei DKP, die 1968 als Nachfolgeeinrichtung der verbotenen KPD gegründet worden war. Einstellungsverbote wurden aber auch gegen Angehörige anderer nicht ausdrücklich kommunistischer Organisationen ausgesprochen, so unter anderem gegen Anhänger der Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK), der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ).
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Kontroverse über Andersch-Gedicht zum Radikalenerlass, 3. Januar 1976“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/2656> (Stand: 3.1.2023)
Ereignisse im Dezember 1975 | Januar 1976 | Februar 1976
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