Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919

Abschnitt 48: Quartier im Dorf Druzykowa

[131-132] Der letzte Oktobertag führte uns immer noch weiter nach Süden, vor wiegend durch sehr sandige Gegenden. Ich saß bei dem Fuhrmann Schmidt von Sinn, hatte an dem kranken Fuß nur eine Sandale, war in eine dicke Pferdedecke eingewickelt und fror trotz alledem bei dem eiskalten zügigen Wetter auf dem Bock gewaltig. Auch die immer wiederkehrenden lang gestreckten Dörfer mit den ewig gleichen armseligen Lehmhütten u. Srohdächern ermüdeten allmählich. An diesem Abend kamen wir nach Druzykowa und bekamen [S. 132] ausnehmender weise ein sauberes Quartier. Der Boden war wenigstens gedielt und die ganze Einrichtung war etwas mehr nach deutschem Muster. Wir erfuhren auch bald, dass der Besitzer des deutschen mächtig war, denn er hatte mehrere Jahre in Pommern auf einem Gut gearbeitet und hatte etwas Kultur mitgebracht. Ich fand hier auch ein polnisches Lesebuch, aus welchem der Vater den Kindern das Lesen lehrte. Im ganzen also eine sehr erfreulich Ausnahme in der polnischen Wirtschaft.

Der Bauer war (?) , denn er fuhr mit einem 2spännigen Wagen in den Wald u. holte eine Fuhre Holz. Ehe wir am andern Morgen ausrückten, trat die Kompagnie an u/ sang erst „Deutschland über alles“, was wir in Zukunft immer so hielten, und wobei wir immer alle abkömmlichen Dorfbewohner als Zuschauer u. Zuhörer hatten. Von Druzykowa ging der Weg am 1. Nov. Noch einStück nach Süden bis zu dem Städtchen Szczekociny, wo schon deutsche und österreichische Soldaten uns überholten. Dann bogen wir rechts ab und folgten dem Pilica(?)tälchen aufwärts. Dieses Flüsschen hat weiter abwärts im März des folgenden Jahres unserem Bataillon viele Opfer gekostet, doch heute wußte das noch niemand.

Es war wieder einmal Sonntag¸ doch müsste man das an den Fingern abzählen, denn auf dem Marsch gibt es weder Sonn – noch Feiertag. Nachmittags erreichten wir ein Kirchdorf, das hieß Pradla(?) und machten hier Halt. Gleich vorn im Dorf war links eine Schenke mit hoher Treppe davor, eine sehr seltene Erscheinung. Gegenüber lag ein etwas tief liegendes Gehöft. Dort suchten wir Unterkunft. Der Wohnraum war kleiner als wir von außen annahmen, da ein mächtiger Herd den größten Teil ausfüllte. Hinter dem Herd war der Hühnerstall, und dessen Bewohner trappelten lustig im Zimmer umher u. pickten überall. Unser Strohlager beguckten sie neugierig mit schiefem Kopf, gewöhnten sich aber schnell daran und fingen an in dem Stroh zu scharren/ „Wartet bis morgen“ rief ich ihnen zu „Dann werdet ihr schon Beute machen am hüpfenden und beißenden Getier/“ Unsere Verlausung hatte damals schon ein ziemlich hohes Stadium erreicht.


Recommended Citation: „Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919, Abschnitt 48: Quartier im Dorf Druzykowa“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/5-48> (aufgerufen am 05.05.2024)