Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Albert Schorn, Kriegs-Chronik der Stadt Camberg, 1914-1921

Abschnitt 3: Mobilmachung in Camberg, Bittgottesdienste

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Ein schöner warmer Sommertag war der 1. August des Jahres 1914. Man hatte mit der Ernte überall begonnen. Aber fröhliche Erntestimmung herrschte nirgends. Ein furchtbarer Alpdruck lag auf allen Gemütern, seitdem gestern der Kriegszustand erklärt worden war.

„Auf Befehl seiner Majestät des Kaisers wird für den Bezirk des 18. Armeekorps hierdurch der Kriegszustand erklärt. Die vollziehende Gewalt geht damit an mich, im Befehlsbereich der Festungen Mainz und Koblenz an den Gouverneur bzw. Kommandanten der Festung über. Die Zivilverwaltungen und Gemeindebehörden verbleiben in ihren Funktionen. Sie haben aber meinen Anordnungen und Aufträgen, im Befehlsbereich der Festungen Mainz und Koblenz denen des Gouverneurs bzw. Kommandanten der Festungen Folge zu leisten.

Der kommandierende General."

Der Abend nahte, langsam neigte sich die Sonne dem Untergang zu. Der Himmel, der den ganzen Tag über hell und klar gewesen war, bedeckte sich. Um 6 ½ Uhr brachte der Telegraph die erschütternde Nachricht: „Der Kaiser hat die Mobilmachung der gesamten deutschen Streitkräfte angeordnet. Der 2. August ist der erste Mobilmachungstag. Zugleich wird durch kaiserliche Verordnung in den Bezirken des 1. 2. 5. 6. 8. 9. 10. 14. 15. 16. 17. 18. 20. und 21. Armeekorps nach näherer Anordnung der zuständigen kommandierenden Generäle der Landsturm aufgerufen." Krieg! Das Wort eilte von Mund zu Mund, von Haus zu Haus, von Acker zu Acker. Alles geriet in größte Aufregung. Jedermann stellte die Arbeit ein. An den Straßenecken traten die Leute zusammen und unterhielten sich über das, was jetzt kommen werde. Lind sie standen noch dort, als sich die Sonne längst zur Ruhe begeben hatte. Aus den Wirtschaften [S. 7] schollen Kriegs- und Soldatenlieder. Nach einer schlaflosen Nacht konnte man schon in aller Frühe am Sonntag, den 2. August, die neuen Bekanntmachungen lesen. [S. 8]

Im Hochamt hielt der Jesuitenpater Lieber, ein Sohn unserer Stadt, der nach langjährigem Aufenthalt im Auslande seinen Lebensabend im hiesigen Hospital verbrachte und als Mensch wie als Priester allgemeine Verehrung genoß, die Abschiedspredigt für die ausziehenden Krieger.

In der folgende Woche war jeden Abend um 7 ½ Uhr in der katholischen Pfarrkirche Bittandacht mit sakr. Segen. Auch die evangelische und die jüdische Gemeinde hielten Bittgottesdienste ab.


Persons: Wilhelm II., Deutsches Reich, Kaiser · Lieber, Jesuitenpater
Places: Mainz · Koblenz · Camberg
Keywords: Erntearbeiten · XVIII. Armeekorps · Kriegszustand · Generäle · Mobilmachung · Armeekorps · Landsturm · Soldatenlieder · Patriotismus · Gottesdienste · Hospitäler · Bittandachten · Juden
Recommended Citation: „Albert Schorn, Kriegs-Chronik der Stadt Camberg, 1914-1921, Abschnitt 3: Mobilmachung in Camberg, Bittgottesdienste“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/34-3> (aufgerufen am 29.03.2024)