Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Percy Graf von Bernstorff, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Kassel an den Kaiser, 1917-1918

Abschnitt 5: Bericht vom 25. Januar 1917 (5)

[952-953] Auch die Milch- und Butterversorgung war noch im allgemeinen bis zum Frühjahr 1916 günstig. Als dann die Notwendigkeit eintrat, auch die Fleischversorgung und den Butterverbrauch zu regeln, traten Schwierigkeiten ein, die gerade in den Bezirken, die von ihren Stadt- und Kreisbehörden bis dahin gut versorgt wurden, empfunden wurden, und manche Kritik wurde laut, daß nun nach Regelung durch das Reich erst der Mangel eintrat. Wenn auch die ersten Wochen nach Gründung des Viehhandelsverbandes Fleisch kaum zu haben war, so ertrug die Bevölkerung dies immer noch williger als die bald darauf eintretende Stockung in der Zufuhr von Butter und von Kartoffeln. Im Sommer 1916 fanden zum ersten Mal in den Städten Ansammlungen von Käufern vor den Verkaufsstellen für Butter und für Kartoffeln statt, und in dieser Zeit war die Stimmung der Bevölkerung nicht sehr gut. Indessen auch diese Unzuträglichkeiten sind im Laufe der letzten Monate leidlich gehoben. Wenn die Verteilung auch knapp und die dem Volke zugemutete Einschränkung groß ist, so finden keine Stockungen statt.

Am meisten empfunden wird der Mangel an Fetten. Die Durchführung der Verordnung über Speisefette war vielleicht die schwerste Aufgabe für die Behörden, weil sie bei allen Zwangsbefugnissen doch sehr auf den guten Willen der Erzeuger angewiesen waren. Es mußte deshalb eine eingehende Aufklärungsarbeit geleistet werden, um die Landwirte zu überzeugen, wie dringend notwendig es sei, der städtischen Bevölkerung Fette und sonstige Nahrungsmittel zuzuführen, damit insbesondere auch die Arbeiter der Rüstungsindustrie leistungsfähig erhalten bleiben, und in welchem Maße die glückliche Beendigung des Krieges hiervon abhänge. Meist unter meiner persönlichen Leitung wurden in den ländlichen Kreisen Besprechungen mit einsichtigen und angesehenen Männern aller Stände abgehalten, die ihrerseits wieder in ihrem engeren Bezirk ihren Einfluß geltend gemacht haben. Die letzten Nachrichten ergaben die erfreuliche Tatsache, daß in den letzten Wochen die Ablieferung von Butter ständig zunimmt. Auch hat die Abgabe von Speck bei jeder Hausschlachtung, die sogenannte Hindenburgspende, erfreuliche Ergebnisse gezeitigt. Im allgemeinen darf anerkannt werden, daß in der Landwirtschaft das Verständnis für die Not der Städte durch[aus] vorhanden ist, ebenso der gute Wille, sich selbst einzuschränken und alles Entbehrliche abzuliefem, trotz der von der sozialdemokratischen Presse fortgesetzt betriebenen Hetze gegen die Landwirte und trotz der vielen Eingriffe, die diese in ihrer Wirtschaftsführung erdulden müssen. So darf man hoffen, daß die Ernährung der Bevölkerung im allgemeinen, wenn auch knapp, doch ausreichend zum Durchhalten und ohne Stockungen vor sich gehen wird. Schwere Sorge macht nur der voraussichtlich im Frühjahr eintretende Mangel an Kartoffeln, wenn es nicht gelingt, Ersatznährmittel hierfür herbeizuschaffen.


Persons: Bernstorff, Percy Graf von
Keywords: Milch · Milchversorgung · Butter · Butterversorgung · Fleischversorgung · Viehhandelsverband · Kartoffeln · Speisefettmangel · Rüstungsindutrie · Arbeiter · Hausschlachtungen · Hindenburgspende · Sozialdemokraten · SPD · Presse
Recommended Citation: „Percy Graf von Bernstorff, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Kassel an den Kaiser, 1917-1918, Abschnitt 5: Bericht vom 25. Januar 1917 (5)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/26-5> (aufgerufen am 28.03.2024)