Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources


Contents


Illustrations

Details

Großherzog Ernst Ludwig (3. von rechts) bei einem Frontbesuch in Frankreich, Januar 1916

↑ Ernst Ludwig Großherzog von Hessen und bei Rhein, Erinnertes, 1914-1918

Abschnitt 2: Frontbesuche und Konflikte mit Kommandeuren

[147-148]
Die Zeit an der Front war oft nicht leicht, da ich dem Korpskommando zugeteilt war und eigentlich nur als Zuschauer geduldet wurde. Wo es immer anging, bin ich bei meinen Truppen gewesen, oft bei Angriffen und Gefechten oder wenn die Verwundeten zurückbefördert wurden1. Dabei bleiben mir ihre Augen unvergeßlich, denn wenn man mit ihnen sprach, schienen sie einem kaum zu sehen, denn ihre Augen hatten den Tod gesehen, und ihre Seelen hatten Fürchterliches durchlebt, sodaß man sich ganz klein ihnen gegenüber fühlte. Ich ging auch in alle Lazarette, um, wenn möglich, moralisch mitzuhelfen. Die Freude der Leute, wenn sie mich erkannten, war oft rührend, daß man doch fühlte, daß man für Etwas von Nutzen hat sein können. Ich bin immer nur in der Nähe der Truppen geblieben, nicht wie die meisten Fürsten, welche die Gelegenheit benutzten, überall hinzufahren, um sich gegenseitig Besuche zu machen oder Städte anzusehen. Dazu war man nun doch nicht da. Ich fuhr weiter hinaus nur, wenn ein hessischer Truppenteil weiter ab eingesetzt worden war, oder das eine Mal nach Brügge2, um an der Meeresfront hessische Matrosen zu sehen und die Tapferkeitsmedaille3 zu verteilen4. [S. 148]

Nach dem Sommer 1915 bin ich viel zu Hause gewesen, denn ich fühlte wie äußerst nötig es war, daß die Heimat, welche so hart ohne Dank arbeiten mußte, so viel wie möglich moralisch hochzuhalten war, und daß die Regierung doch noch fest mit ihr verankert bleiben mußte5.

Es wurde einem oft schwer gemacht, weil alte pensionierte Generäle zu stellvertretenden Korpskommandeuren mit besonderer Vollmacht eingesetzt worden waren. Nun kamen übereilte Befehle von Berlin, welche sie als streng zu befolgen weitergaben. So der Befehl von Gail, daß die ganze Kirschenernte zu sammeln wäre und sofort nach Frankfurt zu schicken sei. Die Menschen waren ganz außer sich, weil schon so wenig Obst da war, und sie schimpften gegen die Regierung, die doch nur den Befehl auszuführen hatte. Nach ungefähr einer Woche kam wieder ein Befehl, wir sollten die Kirschen wieder abholen, man gebrauche sie nicht. Natürlich waren beinahe alle nicht mehr zu gebrauchen6.


  1. Anm. 180 (E.G.Franz): Ernst Ludwig war nach Ausweis des Kriegstagebuchs vom 15. August 1914 bis 30. März 1915 (mit kurzfristigen Unterbrechungen im November und in den Weihnachtstagen) durchgängig an der Front, ab Oktober zumeist in Moyencourt.
  2. Hauptstadt der belgischen Provinz Westflandern.
  3. Das 1843 gestiftete Hessische Ehrenzeichen wurde seit 1897 ausschließlich als Hessische Tapferkeitsmedaille verliehen.
  4. Anm. 181 (E.G.Franz): Die Reise nach Brügge und Zeebrügge am 26.-30. Juli wurde mit einem Besuch bei Prinz Rupprecht von Bayern in Lille (s. oben S. 106/08 mit Anm. 103) und der Besichtigung von Antwerpen und Brüssel verbunden; vgl. 2. Band des Kriegstagebuchs, StAD D 24 Nr. 32/7.
  5. Anm. 182 (E.G.Franz): Nach der Frontreise vom 12. Juli bis 4. August 1915 verzeichnete das Kriegstagebuch eine Kurz-Reise am 22.-27. Januar 1916, einen längeren Aufenthalt im Feld am 17. Februar bis 8. April 1916, dann kürzere Frontbesuche am 13.–18. November und 30. November bis 8. Dezember 1916, am 28. Februar bis 4. März und am 3.-7. Oktober 1917, sowie letztmals am 25. Februar bis 6. März 1918.
  6. Anm. 183 (E.G.Franz): In den Zeitungen Darmstadts und der Bergstraßen-Kreise Bensheim und Heppenheim fand sich trotz sorgfältiger Durchsicht der für die Kirschenernte in Frage kommenden Monate in den Kriegsjahren 1915-18 kein Hinweis auf diese militärbürokratische Glanztat.

Persons: Ernst Ludwig, Hessen und bei Rhein, Großherzog · Gail von · Bayern, Rupprecht von
Places: Brügge · Berlin · Frankfurt · Moyencourt · Zeebrügge · Lille · Antwerpen · Brüssel · Darmstadt · Bernsheim · Heppenheim
Keywords: Verwundete · Lazarette · Matrosen · Hessische Tapferkeitsmedaille · Obsternte · Frontbesuche
Recommended Citation: „Ernst Ludwig Großherzog von Hessen und bei Rhein, Erinnertes, 1914-1918, Abschnitt 2: Frontbesuche und Konflikte mit Kommandeuren“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/18-2> (aufgerufen am 26.04.2024)