Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources


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↑ Wenz zu Niederlahnstein, Kämpfe des Hessischen Leibgarde-Infanterie-Regiments Nr. 115 aus Darmstadt bei Verdun, 1916

Abschnitt 3: Erfolgloser Kampf um Beaumont mit großen Verlusten

[222-224]
„Einzeln zurückkriechen bis an das Ende der Hecke, dann im Marsch, Marsch hinter die Höhe!" schrie ich den um mich herumliegenden Mannschaften zu; da nun jeder der erste hinter dem Hang sein wollte, sprangen wir ungeachtet der Gefahr alle zusammen auf und rannten auf Leben und Tod zurück. Atemlos hinter dem Hang angekommen, fanden wir dort die ganze Kompagnie an diesem angeschmiegt [S. 223] vor. Sofort mußte mit dem Ausheben eines Schützengrabens begonnen werden, denn wir konnten während der Nacht mit einem Gegenstoß aus dem naheliegenden stark befestigten Beaumont heraus rechnen. Das Maschinengewehr stellte ich in der Mitte der Kompagnie auf, den rechten Flügel ließ ich durch zwei Gruppen verstärken und umbiegen und übertrug ihm die Sicherung der Straße. Nicht ganz auf dem höchsten Punkte des Hanges liegend, waren wir vor Infanteriefeuer von Beaumont her geschützt; auf beiden Flügeln drohte auch keine Gefahr, da die Nachbartruppen, links unser II. Bataillon mit Anschluß an La Wavrille, rechts das Infanterie-Regiment 87 im Faywäldchen, sich auf gleicher Höhe eingruben. Da ich erfuhr, daß mein tollkühner Vizefeldwebel Thomae, der für seine Taten mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet wurde, bei dem Versuch, das Maschinengewehr am Südrand der Hecke an der großen Straße zu nehmen, durch einen Schuß durch beide Beine schwer verwundet unweit der Stelle lag, an der wir so tolle Minuten verbracht hatten, ließ ich ihn sofort durch Freiwillige in Sicherheit bringen. In dem knietief ausgehobenen Graben wachten wir die ganze Nacht, das schußbereite Gewehr im Arm, jeder auf meinen Signalpfiff die Feuereröffnung abwartend. Sie sollten es nur versuchen, uns zu überraschen, auf diesen Moment freuten wir uns schon im stillen, doch diese Sorge hatte die Wirkung unseres Artilleriefeuers von uns genommen. Wie froh war ich, daß ich mich nicht hinreißen ließ, im nächtlichen Sturm überraschend das stark befestigte Beaumont zu nehmen. Ein französischer Offizier, den wir gefangennahmen, urteilte wie folgt über Beaumont: „Alle unsere Stellungen schienen in Gefahr, wer hätte aber am Vorabend der deutschen Offensive geglaubt, daß die nördlichen Stellungen nicht standhalten würden? Man dachte nicht an die Möglichkeit eines deutschen Stoßes gegen Beaumont! Gerade dort waren wir am stärksten. Als wir das Ziel des Feindes erkannten — Douaumont —, da waren wir mehr erstaunt als beunruhigt. Sie packen den Stier an den Hörnern, sie gehen aufs Ganze, sagten wir uns. Nach reiflicher Überlegung der Lage kamen wir zu der Erkenntnis, daß die Deutschen den besten Weg gewählt hatten, wenn er auch der schwerste war." — Während der ganzen Nacht wurden wir von einem Fortgeschütz beschossen, alle 7 Minuten schlug eine schwere Granate einmal rechts, dann wieder links der Straße hinter uns ein; nur gut, daß der Richtkanonier nicht ein um 100 Meter kürzeres Visier nahm. Gegen Morgen, als noch dichter Bodennebel die Sicht aus etwa 20 Meter beschränkte, gewahrten wir plötzlich vor uns Gestalten. Schon hatte ich meine Signalpfeife an die Lippen gesetzt, als uns wohlbekannte Rufe: „Wir hier Ablösung!" und „Seid ihr 115er?" entgegenschallten. Es war die uns ablösende Kompagnie des Infanterie-Regiments 1171, welche auf der Straße vormarschiert war, uns verfehlend bis an das feindliche Hindernis gelangte und dort erst ihren Irrtum merkend von Beaumont her aus uns zustrebte. Ich übergab meinem Nachfolger, dem Leutnant von Borcke, einem alten Bekannten, die Stellung, wünschte ihm für „Beaumont" Hals- und Beinbruch und verschwand, meinen Getreuen folgend, im Nebel. — Da die letzten Tage an jeden von uns gewaltige Anforderungen gestellt hatten, waren wir froh, für kurze Zeit in unsere Ausgangsstellung in Ruhe zu kommen. Auf dem Rückwege traf ich am Rande des Caureswaldes den Regimentsstab, und unter Worten der Anerkennung für die Leistungen meiner [S. 224] tapferen Kompagnie drückte mir unser allseits hochverehrter Regimentskommandeur, Oberstleutnant Freiherr von Preuschen, stummbewegt die Hand.

In unserer Sturmstellung angelangt, traf ich als ersten meinen stets um das Wohl treu besorgten Kompagniefeldwebel L., und ich muß offen gestehen, die Tränen traten uns in die Augen, als wir die stark gelichteten Reihen unserer braven Stürmer überblickten. Hatte doch die Kompagnie 14 Tote verloren, darunter 1 Offizier und 4 Unteroffiziere, und 2 Offiziere, 8 Unteroffiziere und 37 Mann an Verwundeten. Über ein Drittel der Kompagnie hatte von Flabas bis Beaumont ihr Blut und Leben für die große Sache geopfert, doch waren diese Verluste nicht umsonst gebracht worden: Die Siegesbeute der Kompagnie bezifferte sich auf etwa 170 Gefangene, 4 Maschinengewehre, 4 Minenwerfer, ungezählte Beute an Waffen, Munition und Ausrüstungsgegenständen und einen Geländegewinn von 5 Kilometer Tiefe.


  1. Das zu Friedenszeiten in Mainz stationierte Infanterie-Leib-Regiment "Großherzogin" (3. Großherzoglich Hessisches) Nr. 117.

Persons: Wenz zu Niederlahnstein, Leutnant · Thomae, Vizefeldwebel · Borcke, von, Leutnant · Preuschen, Freiherr von
Places: Mainz · Beaumont · La Wavrille · Faywald · Douaumont · Caureswald · Flabas
Keywords: Hessische Leibgarde-Infanterie-Regiment Nr. 115 · Infanterie-Regiment Nr. 115 · Infanterie-Leib-Regiment "Großherzogin" (3. Großherzoglich Hessisches) Nr. 117 · Infanterie-Regiment Nr. 117 · Schützengräben · Maschinengewehre · Infanterie · Infanterie-Regiment Nr. 87 · Eisernes Kreuz · Verwundete · Kompagniefeldwebel · Offiziere · Unteroffiziere · Beutegut · Minenwerfer · Munition
Recommended Citation: „Wenz zu Niederlahnstein, Kämpfe des Hessischen Leibgarde-Infanterie-Regiments Nr. 115 aus Darmstadt bei Verdun, 1916, Abschnitt 3: Erfolgloser Kampf um Beaumont mit großen Verlusten“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/135-3> (aufgerufen am 26.04.2024)