Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources


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↑ Wenz zu Niederlahnstein, Kämpfe des Hessischen Leibgarde-Infanterie-Regiments Nr. 115 aus Darmstadt bei Verdun, 1916

Abschnitt 1: Beginn des Sturms auf Beaumont nördlich von Verdun

[220-221]
Aufzeichnung des Leutnants von Wenz zu Niederlahnstein des hessischen Leibgarde- Infanterie-Regiments Nr. 115 (25. Infanterie-Division/ XVIII. Armeekorps)


23. Februar [1916]. Bis 3.30 Uhr vormittags herrschte im allgemeinen Ruhe; plötzlich ertönte der Ruf: „Gasalarm", worauf wir schlaftrunken aufsprangen, unsere Gasmasken anlegten und ins Freie eilten. Es war aber alles halb so schlimm, denn eine französische Batterie hatte es für nötig gefunden, uns durch einige Lagen Gasgranaten aus unserem Schlummer zu stören. Gegen 6 Uhr aber sandten uns die Franzosen erst ihre richtigen Morgengrüße, und Granate auf Granate schlug um uns herum ein. Schrapnells und Brennzünder, deren scharfkantige Splitter die Äste von den Bäumen rissen, forderten in unseren Reihen neben mehreren Verwundeten wieder vier Tote. In der Nähe des Blockhauses stand auf der Straße angespannt eine Batterie des 25. Feldartillerie-Regiments1. In wenigen Minuten bildete die ganze Bedienung und Bespannung durch mehrere Volltreffer einen wüsten Knäuel toter und verwundeter Mannschaften und Pferde. Gegen 7 Uhr aber kam die Vergeltung, und wie tagszuvor überschütteten unsere Batterien fünf Stunden lang den Gegner mit einem furchtbaren Eisenhagel. Am meisten wurde das befestigte Waldstück La Wavrille2 (nordöstlich Beaumont) von unseren schweren Granaten heimgesucht, und selbst sechs Einschläge unserer 42-Zentimeter-Mörser konnten wir wahrnehmen. Starke Bäume, Wurzeln, Steine und zuweilen auch [S. 221] menschliche Körperteile wirbelten dort haushoch in der Luft herum, man konnte das Waldstück mit einem feuerspeienden Vulkan vergleichen.

Für uns, die wir unbelästigt vom Gegner am Südrande des Caureswaldes hinter Bäumen gedeckt lagen, war dies ein schaurig-schönes Schauspiel. Da der Sturm auf Beaumont auf 1 Uhr festgesetzt worden war, ordnete ich meine drei Züge am Waldrand und gab dem rechten Flügel den Befehl, dicht längs der Straße Ville devant Chaumont—Louvemont vorzugehen. Dann sprach ich noch mit dem Kommandeur des Garde-Füsilier-Bataillons, Major Thilo von Westernhagen, der mir sagte: „Los, greifen Sie an, es ist doch schon 1.10 Uhr", worauf ich ihm entgegnete: „Herr Major, ich kann nicht allein mit meiner Kompagnie aus dem Wald hervorbrechen, zuerst müssen die uns flankierenden Waldstücke La Wavrille und der Faywald gesäubert sein, sonst bricht mein Angriff alsbald zusammen." Aber Befehl ist Befehl, und so rief ich meinen Unterführern zu: „Die Leibkompagnie greift an!" Da etwa 20 Meter hinter uns zwei Geschütze der Batterie Geppert aufgefahren waren, deren Geschützführer uns zuriefen: „Platzmachen vor den Geschützen!", so beeilten wir uns, möglichst schnell aus dem Walde herauszukommen. Ich habe es später nicht bereut, entgegen meiner Überzeugung angegriffen zu haben. Die Kompagnie mit ihren drei aufeinanderfolgenden Sturmwellen bot einen Anblick, wie er in Friedenszeiten auf dem Exerzierplatze nicht besser ausgeführt werden konnte. Wir hatten etwa 200 Meter zurückgelegt, als der Franzose, der auf diesen Augenblick nur gewartet haben mußte, plötzlich von allen Seiten ein mörderisches Feuer auf den Waldrand eröffnete. Platzende Granaten und Schrapnells auf uns und hinter uns, Maschinengewehrfeuer und Infanteriesalven aus beiden sanken und von Beaumont her bestätigten meine kurz vorher ausgesprochenen Ahnungen. Die Erde erbebte fortwährend, dichte Staubwolken und Pulverdampf lagerten über dem Angriffsfeld. Ich kann mich nur den Worten eines unserer Adjutanten anschließen: „Wir haben in jenen Stunden den Mann gesegnet, der die Granattrichter erfunden hat!" Was waren das auch für Trichter, durchweg Einschläge von 21-Zentimeter-Mörsern, Löcher, in denen bequem ein Gruppe Platz fand; und diese sollten jetzt unsere Rettung werden.


  1. Das 1. Großherzoglich Hessische Feldartillerie-Regiment Nr. 25 aus Darmstadt.
  2. Der Wald La Wavrille liegt etwa 12 km nördlich von Verdun.

Persons: Wenz zu Niederlahnstein, Leutnant · Westernhagen, Thilo von
Places: La Wavrille · Beaumont · Caureswald · Ville-devant-Chaumont · Louvemont · Faywald · Darmstadt · Verdun
Keywords: Hessische Leibgarde-Infanterie-Regiment Nr. 115 · Infanterie-Regiment Nr. 115 · 25. Infanterie-Division · XVIII. Armeekorps · Gasalarm · Gasmasken · Gasgranaten · Giftgas · Franzosen · Schrapnells · Brennzünder · Verwundete · Gefallene · Feldartillerie-Regiment Nr. 25 · Pferde · Granaten · Granattrichter · 42-Zentimeter-Mörser · Garde-FüsilierBataillon · Majore · Maschinengewehre · Infanterie
Recommended Citation: „Wenz zu Niederlahnstein, Kämpfe des Hessischen Leibgarde-Infanterie-Regiments Nr. 115 aus Darmstadt bei Verdun, 1916, Abschnitt 1: Beginn des Sturms auf Beaumont nördlich von Verdun“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/135-1> (aufgerufen am 26.04.2024)