Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Wenz zu Niederlahnstein, Kämpfe des Hessischen Leibgarde-Infanterie-Regiments Nr. 115 aus Darmstadt bei Verdun, 1916

Abschnitt 2: Verlustreiches Vorgehen in schwerem Gefecht

[221-222]
Was hatte ich doch stets meinen Leuten eingeschärft: „Bei Artilleriesperrfeuer raus aus der Deckung und nach vorne ausreißen!" Drum los denn auf Leben und Tod nach vorne. Es fing sogleich ein Vorwärtskriechen und Springen von Trichter zu Trichter an. Eine Granate schlug auf den Rand unseres Granattrichters, überschüttete meinen braven Burschen Franz Huber, der stets an meiner Seite geblieben war, und mich mit Steinen und Erde, ohne uns auch nur im geringsten zu verletzen. Vorwärts, nur vorwärts, rief eine innere Stimme. Mein unerschrockener Spielmann, Martin Schneider, mußte erkunden; sobald er ein Loch gefunden hatte, hob er sein Gewehr empor, und im Nu waren wir bei ihm. Oft saßen wir in Trichtern nur wenige Meter voneinander entfernt, ohne uns in dem tollen Lärm verständigen zu können; nur die Kugeln pfiffen über uns weg, und dazwischen dröhnten unaufhörlich die Granateinschläge. Einen Augenblick richtete ich mich auf und sah mich um — Donnerwetter, war das ein Sperrfeuer am Waldrand. In einen Granattrichter schlug eine schwere Granate ein und zerriß die Leute, die darin Deckung gefunden hatten; Teile menschlicher Körper und Gewehre wirbelten [S. 222] für einen Moment in der Luft herum. Am folgenden Tage konnte ich das Feld unseres Sturmes nochmals abgehen und mich von der Wirkung des französischen Sperrfeuers überzeugen. Nicht imstande bin ich, die Bilder wiederzugeben, die sich mir hier boten. Die verstümmelten Leichen vieler braver Leibgardisten boten einen grausigen Anblick. — Immer weiter vorwärtseilend erreichten wir eine Mulde, in der wir gegen Infanteriefeuer geschützt waren; dort sammelte ich zwei Züge, die mir inzwischen gefolgt waren, führte diese an den jenseitigen Hang heran, verteilte die Leute in die vielen Granattrichter und teilte die Züge neu ein. Mit der Front gegen den Caureswald in einem Granatloch sitzend, dem grausigen Spiel des Sperrfeuers zusehend, gewahrte ich den Major von Westernhagen in seinem neuen grauen Mantel, mit hochgeschlagenem roten Kragen, in der Rechten einen Stock haltend, in aller Ruhe über die Ebene auf uns zukommen. Er, ein passionierter Soldat und Draufgänger, schien ohne jede Begleitung immer noch die vordere Sturmlinie dem untätigen Liegen im Granatfeuer bei den Reserven vorzuziehen. Nach und nach kamen immer mehr Versprengte, selbst Leute des rechts der Straße von uns vorgehenden Infanterie-Regiments 871 stießen zu uns, so daß wir jetzt ein weiteres Vorgehen auf Beaumont wagen konnten. Von einer Gruppe begleitet erklomm ich den Hang, bog oben angekommen nach rechts ab, und wir pürschten uns gerade zwischen zwei Hecken, die am Rande des nach der Straße zu abfallenden Hanges standen, entlang, als uns plötzlich aus der rechten Flanke einsetzendes Maschinengewehrfeuer zu Boden zwang, wir lagen so flach auf der Erde, wie es eben ging, boten aber dem am vorderen Rande des Faywäldchens befindlichen Maschinengewehrschützen ein vortreffliches Ziel. Zum Graben war der nur aus Gestein bestehende Boden denkbar ungünstig. Vorsichtig wurden die mitgenommenen Sandsäcke aus des Vordermanns Sturmgepäck herausgezogen und mühsam — so gut es eben ging — mit Steinen und Erde gefüllt. Sobald sich nur einer von uns etwas aufrichtete, prasselte ein Hagel Geschosse an uns vorbei und über uns in die obere Hecke. Ich lag mit meinem Kopfe an die Seite meines Vordermannes geschmiegt, als eine Kugel, wahrscheinlich ein Querschläger, dessen Spatenstiel zertrümmerte. In diesem Augenblick sah ich nur den neben mir liegenden Offizierstellvertreter Nagel an, und wir verstanden uns. Was machen? Hier noch länger untätig liegenbleiben, sich totschießen lassen, dazu hatte keiner von uns Lust, vorwärts war uns der Weg durch ein dichtes Drahthindernis versperrt, rechts den Hang hinuntereilen, war gänzlich ausgeschlossen, also stand uns nur noch ein weg offen, und zwar derjenige, auf dem wir gekommen waren. Leicht gesagt, denn in dem Augenblick, als wir uns erhoben, eröffnete auf kurze Entfernung eine Batterie das Feuer, und in schneller Reihenfolge schlug Granate auf Granate hinter uns ein, den Rückweg versperrend. Sollte denn keiner von uns lebend diese Stelle mehr verlassen? Und doch, wie ein Wunder, kamen wir alle unverwundet aus dieser gefährlichen Lage heraus.


  1. Das in Mainz und Hanau stationiert 1. Nassauische Infanterie-Regiment Nr. 87.

Persons: Wenz zu Niederlahnstein, Leutnant · Huber, Franz · Schneider, Martin · Westernhagen, Thilo von · Nagel, Offizierstellvertreter
Places: Caureswald · Beaumont · Faywald · Mainz · Hanau
Keywords: Hessische Leibgarde-Infanterie-Regiment Nr. 115 · Infanterie-Regiment Nr. 115 · Artillerie · Granattrichter · Musiker · Granaten · Gefallene · Leichen · Infanterie · 1. Nassauisches Infanterie-Regiment Nr. 87 · Infanterie-Regiment Nr. 87 · Maschinengewehre
Recommended Citation: „Wenz zu Niederlahnstein, Kämpfe des Hessischen Leibgarde-Infanterie-Regiments Nr. 115 aus Darmstadt bei Verdun, 1916, Abschnitt 2: Verlustreiches Vorgehen in schwerem Gefecht“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/135-2> (aufgerufen am 19.04.2024)