Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Karl Bickel, Kriegspredigt in der Marktkirche zu Wiesbaden, 1915

Abschnitt 4: Vaterlandsliebe wurzelt in Frömmigkeit

[8-9]
Wenn wir aber bedenken, was wir alles durch Gottes Gnade an unserem deutschen Vaterland haben, dann kann es uns nicht zweifelhaft sein, daß wahre Vaterlandsliebe in der Frömmigkeit wurzelt, ja von Gott selbst uns ins Herz gesenkt ist, und darum auch wir sprechen dürfen: Vergesse ich deiner, mein deutsches Volk und Vaterland, so werde meiner Rechten vergessen. Du sollst mein Stolz und meine Freude sein.

Oder soll ich uns noch erinnern an unseren Herrn Christus, in dem Frömmigkeit und Vaterlandsliebe aufs innigste verbunden gewesen, der, wenn auch seine erlösende Liebe der ganzen Welt gilt, doch zunächst und vor allem seine Heimat und sein Volk geliebt hat? Erinnern an seine herzbewegende Klage über Jerusalem, die prophetenmörderische Stadt: „Jerusalem, Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen wie eine Henne ihre Brut unter ihre Flügel und ihr habt nicht gewollt (Lc. 13, 34)." Daran erinnern, wie er auf seiner letzten Wanderung nach Jerusalem auf dem Ölberg über die zu seinen Füßen daliegende Stadt in Tränen ausbricht, weil sie nicht bedenken will, was zu ihrem Heil und Frieden dient? (Lc. 19, 42). Offenbart sich uns da nicht eine Größe der Vaterlandsliebe, von der die meisten Menschen nicht einmal eine Ahnung haben? Was für ein unaussprechliches Glück, was für einen himmlischen Frieden muß doch Jesus in seiner Brust getragen haben, wenn er darüber weinen kann, daß andere sein Glück und seinen Frieden nicht teilen wollen! Das ist der tiefe Schmerz des großen Patrioten über sein unglückliches Volk, das er nicht retten, nicht erlösen kann, weil es die Hand seines Erlösers von sich stößt. Soll ich uns weiter erinnern an Paulus, den großen Heidenapostel, der, Ob-[S. 9] wohl es für ihn in Christus weder Jude noch Grieche gibt, doch sein Volk so lieb gehabt, daß er, trotzdem es den Heiland der Welt nach Golgatha geschleppt und ihn selbst über die Maßen geschmäht und verfolgt hat, doch um seinetwillen das größte Opfer zu bringen bereit ist, ja sogar aus der Gemeinschaft mit Christus verbannt sein möchte, wenn er es damit erlösen könnte? Oder soll ich uns an unseren Luther erinnern, den religiösen Heros des deutschen Volkes, in dem Deutschtum und Christentum einen unauflöslichen Bund geschlossen? Erinnern an den Großen Kurfürsten und sein: ..Gedenke, daß du ein Deutscher bist?" Oder endlich noch erinnern an unseren Bismarck, der für uns die Verkörperung des Vaterlandes ist, dem das Wohl des Deutschen Reiches Kern und Stern seines ganzen Wirkens war? Doch genug. So viel ist uns gewiß, daß Christentum und Vaterlandsliebe sich nicht von einander trennen lassen, daß ein guter deutscher Christ auch ein guter Patriot sein muß.


Persons: Bickel, Karl · Luther, Martin · Bismarck, Otto von
Places: Wiesbaden
Keywords: Kriegspredigten · Nationalismus · Patriotismus · Frömmigkeit
Recommended Citation: „Karl Bickel, Kriegspredigt in der Marktkirche zu Wiesbaden, 1915, Abschnitt 4: Vaterlandsliebe wurzelt in Frömmigkeit“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/133-4> (aufgerufen am 23.04.2024)