Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Karl Bickel, Kriegspredigt in der Marktkirche zu Wiesbaden, 1915

Abschnitt 2: Deutschland geeint in Liebe zum Vaterland

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Und so lasset uns denn heute einmal die Vaterlandsliebe zum Gegenstand unserer Betrachtung machen.

Möge der Herr selbst seinen Segen dazu geben!

Unser Text ist entnommen einem unserer schönsten Psalmen, in dem sich ein tief empfundenes Nationalgefühl ausspricht. Derselbe versetzt uns in die Zeit der babylonischen Gefangenschaft der Juden und beginnt mit dem rührenden Ausdruck der Trauer: ..An den Wassern (Flüssen) Babels saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten." Was sie so gerne besungen hätten, war den Verbannten verloren. Sie mögen keine Lieder Jehovas singen, während die Babylonier nur Freudenlieder begehrten. Vielmehr sagt der Dichter: ..Vergesse ich deiner, Jerusalem, so werde meiner Rechten [S. 5] vergessen", so soll meine Hand erlahmen, daß sie nicht mehr spielen kann und "meine Zunge am Gaumen kleben", daß sie nicht mehr singen kann. Und wenn wir bedenken, welche wunderbare Wege Gott unser deutsches Volk geführt und es gesegnet vor so vielen anderen, dürfen wir dann nicht auch an Stelle von Jerusalem, das des Sängers Heimat und Vaterland gewesen, unser deutsches Vaterland sehen und sagen: Vergesse ich deiner, du deutsches Land und Volk, so werde meiner vergessen? Dürfen wir nicht auch singen: "O mein Heimatland, o mein Vaterland, wie so innig, feurig lieb ich dich?" Wer wäre unter uns, der nicht sein Vaterland liebte und in dieser eisernen, über die Zukunft des deutschen Volkes entscheidenden Zeit seine Not mitfühlte?

Ja, Vaterland, du Heimatland, bist Gottes Land, bist heiliges Land, an das sich für uns unvergeßliche, heilige Erinnerungen knüpfen! Aus deinem Boden haben wir unser Leben gesogen. Und wenn auch Deutschland verschiedene deutsche Stämme und Länder umfaßt — und wir wollen uns des Reichtums und der Fülle dieser Verschiedenheiten freuen — das deutsche Volk war längst innerlich geeint, noch ehe das neue Deutsche Reich mit seiner Staatsordnung um alle ein festes Einheitsband geschlungen. Und daß wir ein einiges deutsches Vaterland haben, das haben wir spüren können beim Ausbruch dieses Krieges, als ein einziges gleiches Gefühl wie ein elektrischer Funke alle deutsche Stämme und Gauen ergriff und es blitzschnell aufflammte in heiliger Begeisterung von Bayern bis nach Schleswig-Holstein, vom Elsaß bis nach Ostpreußen: "Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr, wir wollen bauen auf den höchsten Gott und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen."

Aber es ist nicht bloß der heimatliche Boden, nicht bloß die landschaftliche Schönheit unserer deutschen [S. 6] Gauen, an denen unser Herz hängt, die uns immer wieder anheimeln, so oft wir aus der Fremde kommen und mit dem Dichter jubeln lassen:

Sei mir gegrüßt mein deutsches Land,
du schönstes Land von allen!


Persons: Bickel, Karl
Places: Wiesbaden
Keywords: Kriegspredigten · Vaterlandsliebe · Vaterland · Patriotismus · Nationalismus
Recommended Citation: „Karl Bickel, Kriegspredigt in der Marktkirche zu Wiesbaden, 1915, Abschnitt 2: Deutschland geeint in Liebe zum Vaterland“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/133-2> (aufgerufen am 18.04.2024)