Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Der Rückmarsch des 9. Rheinischen Infanterie-Regiments Nr.160 nach Hessen, 1918

Abschnitt 2: Letzte Kampfhandlungen und Waffenstillstand

[381] Der letzte Kriegstag brach an. Der denkwürdige 11. November 1918. Er begann mit Kampfgetöse, das nichts von naher Waffenruhe ahnen ließ. Beiderseits heftiges Artilleriefeuer; in der rechten Flanke M.-G.-Feuer, dann auch im Rücken in Richtung Damvillers1. 9.40 Uhr drang der telephonische Befehl durch: „11.45 Uhr vormittags Waffenruhe!" Der Kampf ging weiter bis zur letzten Minute. In den letzten Stunden des Krieges schossen die beiden Artillerien um die Wette. Am 11 Uhr erreichte das Feuer seinen Höhepunkt. I.R. 160 hatte noch drei Tote und zwei Verwundete zu beklagen. 11.45 Uhr schwieg die deutsche Artillerie; die feindliche schoß noch eine Viertelstunde länger, bis 12 Uhr, um dann allmählich zu verstummen. Und dann gingen beiderseits auf der ganzen Front Leuchtraketen hoch in allen Farben. Waffenstillstand — Friede! — — Wer will es gerade dem Frontkämpfer verargen, daß ganz spontan zunächst ein Gefühl der Freude sich regen wollte. Es ist menschlich verständlich, daß die Nachricht vom Abschluß des Waffenstillstandes alle, Offizier wie Musketier, zunächst aufatmen ließ. Zu schwer hatten die Kämpfe der beiden letzten Jahre auf der geringen Zahl der eigentlichen Streiter gelastet. Immer und immer wieder hatte sich gerade der Infanterist trotz aller Müdigkeit und Sehnsucht nach Ruhe opferbereit dem an Zahl und Material so überlegenen Feinde entgegengeworfen. Vier Jahre und mehr hatte er sein Leben in die Schanze geschlagen, ohne nach „Druckposten" und Etappe zu schielen. Freunde und Kameraden hatte er zur Rechten und zur Linken hinsinken sehen. Kann man es ihm verdenken, wenn nun auch bei ihm für einen Augenblick der Selbsterhaltungstrieb sich regte? Daß sich ein jeder zunächst einmal freute, noch das Leben zu haben? — Was leisteten diejenigen daheim, die den Krieg nicht mehr tragen zu können meinten? — Für I.R. 160 kam die Waffenruhe gerade im Augenblick der höchsten Not. Bereits knatterten die amerikanischen M.G. in der rechten Flanke und im Rücken von Damvillers her. Nur noch nach halblinks rückwärts stand die Rückzugsstraße offen. Ob es galt, sich dahin durchzuschlagen? Da kam das Signal: Das ganze Halt! — Noch war uns nicht bekannt, mit welchen Bedingungen der Waffenstillstand erkauft war. Erst aus Luxemburgischen Zeitungen wurde uns nach Tagen beim Durchmarsch nähere Kunde: Revolution in der Heimat, der Kaiser außer Landes, die Waffenstillstands-Bedingungen von unmenschlicher Härte. Da erfüllte dumpfe Wut die Herzen vieler Frontkämpfer und verdarb die Freude am geretteten Leben.


  1. Damvillers, Ort im französischen Département Meuse, nördlich Verdun.

Persons: Wilhelm II., Deutsches Reich, Kaiser
Places: Damvillers · Verdun
Keywords: 9. Rheinisches Infanterie-Regiment Nr. 160 · Infanterie-Regiment Nr. 160 · Artillerie · Maschinengewehre · Waffenstillstand · Gefallene · Verwundete · Leuchtraketen · Franzosen · Amerikaner · Zeitungen · Novemberrevolution
Recommended Citation: „Der Rückmarsch des 9. Rheinischen Infanterie-Regiments Nr.160 nach Hessen, 1918, Abschnitt 2: Letzte Kampfhandlungen und Waffenstillstand“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/114-2> (aufgerufen am 18.04.2024)