Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Groß-Bieberau Karten-Symbol

Gemeinde Groß-Bieberau, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1623

Location

64401 Groß-Bieberau, Marktstraße 9 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1939

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Am 19. Juli 1312 erteilte Kaiser Heinrich dem Grafen Diether zu Katzenelnbogen das Recht, in seinen beiden Städten Lichtenberg und Bieberau jeweils zwölf Juden ansiedeln zu dürfen.1 Ob von diesem Recht in Bieberau auch Gebrauch gemacht wurde, ist zwar nahe liegend, aber nicht bewiesen.

Erst 1623 wird in einer Rechnung der landgräflichen Kammer Darmstadt ein Jude in Groß-Bieberau erwähnt, ohne ihn allerdings namentlich zu nennen.2

In dem von Pfarrer Frey erstellten Familienbuch der Judenfamilien zu Groß-Bieberau wird für das Jahr 1738 ausschließlich Jacob genannt. Er verstarb vor 1742, seine Witwe und der 1738 geborene Sohn Eli blieben im Ort. 1744 kamen Salomon Levi und seine Familie hinzu, Mitte des 18. Jahrhunderts zogen Moses Levi und Löw Isaac zu. Danach änderte sich Zahl jüdischer Einwohner bis Ende des Jahrhunderts nicht wesentlich. Sie stieg anschließend auf zehn steuerpflichtige Juden im Jahr 1828 an. Mit Annahme fester Namen hießen die Familien nun Bendheimer, Haas, Pauli, Meyer, Levy, Frey und Elsas.3

Etwa zu dieser Zeit, dem frühen 19. Jahrhundert, wird sich auch eine eigenständige Gemeinde gegründet haben. Ein erster Hinweis darauf ist einem Schreiben von 1834 zu entnehmen, aufgrund dessen in diesem Jahr auf Bitten der jüdischen Gemeinde das Judengeld aufgehoben wurde.4 Ursache für diese Bitte waren einerseits die sich verändernden sozialen und politischen Rahmenbedingungen, andererseits sicherlich aber auch die geringe wirtschaftliche Potenz der einzelnen Gemeindemitglieder.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts erwirtschaftete die Mehrzahl der jüdischen Bewohner ihr Einkommen aus dem Handel mit unterschiedlichen Waren. Die Integration schritt weiter fort und wie selbstverständlich nahmen auch Groß-Bieberauer Juden an den Kriegen 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg teil. Arthur Haas, Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg, wurde 1915 als Reservist wegen besonderer Tapferkeit im Felde zum Unteroffizier befördert.

Ende 1932 lebten noch etwa 50 Juden in Groß-Bieberau.5 Infolge zunehmender Repressalien und wirtschaftlicher Boykotte flohen nach der Machtübergabe viele von ihnen nach Übersee oder in nahe gelegene Großstädte. Als letzter meldete sich Siegfried Haas am 29. Dezember 1938 nach Frankfurt am Main ab. Trotz Deportation nach Buchenwald gelang ihm später die Ausreise nach Amerika.6

In der Pogromnacht wurden auch private Wohnungen überfallen und deren Bewohner misshandelt. Das Haus der Familie Levi brannte in Folge von Brandstiftung ab.

Betsaal / Synagoge

Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde vermutlich ein Betsaal in einem privaten Wohnhaus für Versammlungen und Gottesdienste genutzt. 1832 erwarb die Gemeinde eine Hofreite in der späteren Marktstraße und wandelte die Gebäude in eine Synagoge um. Diese wurde im Juli 1832 eingeweiht. 1873 wurde ein Neubau errichtet, es handelte sich um einen Ziegelfachwerkbau, der im Inneren auch eine Frauenempore barg. 1876 erfolgte der Anbau einer Mikwe. Die Synagoge lag dabei im hinteren Bereich der Hofreite. Zur Straße stand das Wohnhaus, in dem sich die Lehrerwohnung befand.

Zu den Einrichtungsgegenständen zählten Anfang der 1930er Jahre 34 Sitzplätze mit Pulten für Männer, 18 ebensolche für Frauen, ein Thoraschrein mit Altaraufbau, ein Vorlesepult mit Wickelbank, eine marmorne Gedenktafel, ein Kristalllüster, zwei Hängelampen, zehn Seitenleuchter, ein Läufer, ein Schrank für Kultgeräte und ein Ofen. Weiterhin gehörten vier Thorarollen, eine silberne Thorakrone, ein Paar silberne Thoraaufsätze mit Schellen, zwei silberne Thoraschilder, je ein silberner und ein hölzerner Zeigefinger, zwölf handbemalte und goldbestickte Thoramäntel, 100 ebenfalls handbemalte und goldbestickte Wimpel, drei Thoraschreinvorhänge aus weißem Brokat, roten Samt und blauem Plüsch mit reicher Goldbestickung, eine hölzerne Ewige Lampe, ein silberner siebenarmiger Leuchter, ein silberner Channukahleuchter, ein Jahreszeitleuchter, zwei silberne Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, eine Megillah mit silberner Hülse, ein Schofarhorn, ein Satz Aufrufplatten, ein Priesterwaschbecken aus Messing mit Kanne und eine silberne Ethrogbüchse zu ihrer Ausstattung. Alles zusammen hatte einen Wert von rund 39.500 DM.7

Ein Versuch, die Synagoge noch im November 1938 zu verkaufen, scheiterte.

In der Pogromnacht drangen Mitglieder des SA-Sturms Groß-Bieberau/Niedernhausen in die Synagoge ein und zerstörte die gesamte Inneneinrichtung.8 Auch das Gebäude selbst wurde zumindest stark beschädigt, wenn nicht sogar zerstört. Die Kultgegenstände waren kurz zuvor von Herrn Levi in sein Haus in der Bachgasse verbracht worden, das aber im Zuge der Exzesse ebenfalls abbrannte.

Nach dem Überfall erwarb im September 1939 das Ehepaar Speier, das bereits seit 1930 Mieter der Wohnung war, das Gebäude für 5.500 Reichsmark und ließ es noch im gleichen Jahr abbrechen. Nach dem Zweiten Weltkrieg zahlten sie im Zuge eines Vergleiches 7.000 DM an die JRSO nach.9

Seit 1986 erinnert ein Gedenkstein am früheren Standort an die Synagoge. Er trägt die Inschrift „An dieser Stelle stand die 1873 errichtete Synagoge der Jüdischen Gemeinde Groß-Bieberau. Zerstört am 9./10. November 1938. Zur Erinnerung an die jüdischen Einwohner, die der Gewaltherrschaft zum Opfer fielen. Gewidmet von der Stadt Groß-Bieberau 24.6.1986.“

Seit März 2011 werden in Groß-Bieberau Stolpersteine verlegt.

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

Es gab einen Israelitischen Männerverein und einen 1892 gegründeten Israelitischen Frauenverein.

Mikwe

Ein Hinweis auf eine Mikwe findet sich in den Gemeinderechnungen, als 1832 Gelder „fürs Frauenbad“ verausgabt wurden.10 1876 erfolgte ein Anbau an das Synagogengebäude, in dem eine Gemeindemikwe untergebracht war.

Schule

1825 wurde mit Pinkes Elias Elsas erstmals ein jüdischer Lehrer im Ort genannt, der in diesem Jahr von David Jakob Kahn abgelöst wurde.11 Bereits zwei Jahre zuvor war die allgemeine Schulpflicht auch auf jüdische Kinder ausgedehnt worden, die die örtlichen Volksschulen zu besuchen hatten. Insofern kann es sich bei den beiden vorgenannten nur um Religionslehrer gehandelt haben, die gleichzeitig als Kantor der Gemeinde fungierten.

1871 errichtete sich die Gemeinde ein eigenes Schulhaus.

Cemetery

Bis um 1890 wurden die Verstorbenen aus Groß-Bieberau auf dem Friedhof in Dieburg beigesetzt. In diesem Jahr plante die Gemeinde die Einrichtung eines eigenen, etwas mehr als 500 Quadratmeter großen Friedhofs. Er liegt heute nördlich des Ortes, westlich der Bundesstraße 38. Die erste Bestattung fand 1891 statt. Er diente den Juden aus Groß-Bieberau sowie Reinheim mit Spachbrücken und Georgenhausen als Begräbnisstätte und ist von einer hohen Mauer umgeben.12

Der zentral verlaufende Weg teilt das Areal in zwei gleich große Quadranten. Ausschließlich der westliche Teil ist mit sieben Reihen zu maximal zwölf Steinen belegt. Nur der älteste Stein ist aus rotem Sandstein hergestellt, die anderen aus dunklem Syenit. Insgesamt haben sich 64 Begräbnisstätten erhalten. Fast alle Inschriften sind in hebräischen Buchstaben abgefasst, die deutschen Inschriften beschränken sich in der Regel auf Namen, Geburts- und Sterbedatum und befinden sich zumeist auf der Rückseite.

Der Friedhof wurde im Zuge des Novemberpogroms, aber auch in der Nachkriegszeit mehrfach verwüstet.13

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Groß-Bieberau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. Merz: Geschichte der jüdischen Gemeinde Groß-Bieberau, S. 269
  2. HStAD O 61 Müller, in Nr. 5
  3. Merz: Geschichte der jüdischen Gemeinde Groß-Bieberau, S. 275
  4. Merz: Geschichte der jüdischen Gemeinde Groß-Bieberau, S. 275
  5. Merz: Geschichte der jüdischen Gemeinde Groß-Bieberau, S. 289
  6. Merz: Geschichte der jüdischen Gemeinde Groß-Bieberau, S. 291
  7. HHStAW 518, 1479
  8. Merz: Geschichte der jüdischen Gemeinde Groß-Bieberau, S. 300
  9. HHStAW 503, 7382
  10. Merz: Geschichte der jüdischen Gemeinde Groß-Bieberau, S. 280
  11. Merz: Geschichte der jüdischen Gemeinde Groß-Bieberau, S. 278
  12. Lötzsch/Lötzsch/Wittenberger: Der jüdische Friedhof in Groß-Bieberau, S. 91
  13. Lange: Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg, S. 136
Recommended Citation
„Groß-Bieberau (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/123> (Stand: 22.7.2022)