Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Griesheim Karten-Symbol

Gemeinde Griesheim, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1658

Location

64347 Griesheim, Hintergasse, neben Haus Nr. 8 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1944

Art des Verlusts

Kriegshandlungen

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Der älteste Nachweis eines jüdischen Einwohners in Griesheim stammt aus dem Jahre 1658, als der Viehhändler Hertz sogenanntes Weidegeld zu entrichten hatte. Er besaß 1666 drei Paar Ochsen, zwei Stiere sowie Handelsvieh, das er auf der gemeindeeigenen Weide grasen ließ. Seit 1678 wird zudem Mosche auf der Weidegeldliste geführt.1 1691 trat Löw hinzu. In den folgenden Dekaden stieg die Zahl jüdischer Weidegeldzahler und lag 1736 bei sechs, die wohl alle mit ihren Familien im Ort wohnten.

Seit 1748 war Salomon Besitzer zweier Hofreiten in der heutigen Oberndorfer Straße. Möglicherweise wurde bereits hier Gottesdienst gefeiert.2

Bis 1772 stieg die Zahl der erwachsenen jüdischen Einwohner auf 40 Personen an und lag 1823 bei 110. Das entspricht rund fünf Prozent der Gesamtbevölkerung. 1830 lag die Einwohnerzahl bei 121, um 1853 mit 195 Seelen ihren zahlenmäßig höchsten Stand zu erreichen. Die jüdischen Griesheimer arbeiteten überwiegend als Händler, vielfach als Viehhändler.

Wir sehr sich einige der in Griesheimer lebenden Juden als Hessen empfanden, wird an einer Spende in Höhe von 30 Gulden für den Bau des Ludwigmonumentes in Darmstadt in den 1840er Jahren deutlich.

Auch Ende des 19. Jahrhunderts erwirtschafteten viele jüdische Einwohner ihr Einkommen aus Tätigkeiten als Händler und Kaufleute. So erbaute Elias Joseph ein Geschäftshaus Ecke Groß-Gerauer/Frankfurter Straße, Leopold Rosenberg unterhielt an der neu ausgebauten Straße nach Darmstadt ein Textilgeschäft, 1885 erwarb Joseph Elias II. die Brauerei Keller und betrieb darin ein Holzgeschäft. Zudem gab es einen jüdischen Uhrmacher, einen jüdischen Arzt, einen Seifenfabrikanten, einen Kohlenhändler, mindestens eine Metzgerei und eine Bäckerei. 1903/04 erbaute der Textilhändler Wolf Löb ein Kaufhaus in der Groß-Gerauer Straße 183. Es ist heute Teil des örtlichen Heimatmuseums.

17 jüdische Griesheimer dienten als Soldaten im Ersten Weltkrieg, sechs von ihnen fielen. Ihnen zu Ehren wurde in der Synagoge ein Gedenkstein errichtet. Dieser war rund 75 Zentimeter hoch, aus hellem Granit gefertigt und stand auf einem rund einen Meter hohen Zementsockel.4

1933 lebten noch 84 Juden in Griesheim. Zunehmender Druck, wirtschaftlicher Boykott und Repressalien veranlassten 37 von ihnen, den Ort zu verlassen. Sieben verstarben noch bis 1940 in Griesheim. Die anderen wurden zwangsweise umgesiedelt oder in Lager verschleppt und ermordet. Nur zwei Personen überlebten Auschwitz. Zwölf Schicksale sind unbekannt.

In der Pogromnacht überfielen Nazis auch das Kaufhaus Löb, zerstörten das Mobiliar und plünderten die Waren. Bereits im Juni 1938 hatte sich der Besitzer unter dem Druck durch die Nazis das Leben genommen.5

Im Mai 2010 wurden in Griesheim erstmals Stolpersteine verlegt.

Betsaal / Synagoge

Möglicherweise bestand in einer der beiden Hofreiten in der heutigen Oberndorfer Straße, die seit 1748 im Besitz von Salomon standen, ein Betsaal oder eine Synagoge.6 1781 war, wenn auch nur vorübergehend, Rabbi Hachenburg bei der Gemeinde angestellt7, ein deutlicher Hinweis auf das Vorhandensein einer Synagoge.

Seit 1799 sind in Griesheim Hochzeiten nachweisbar, so dass davon auszugehen ist, dass dort auch eine Synagoge bestand. Sicher nachweisbar ist sie seit dem Vorliegen des Häuserverzeichnisses 1822, in dem in der Hintergasse neben dem Haus mit der heutigen Nummer 8 eine „Judenschule“ geführt wird.

Das Fachwerkgebäude wurde 1902 umfassend saniert oder neu erbaut. In der südlichen Haushälfte befand sich der Betsaal mit Empore, in der nördlichen eine Wohnung und der Zugang zur Empore. Der Betsaal enthielt 57 Sitzplätze mit Pulten für Männer, 30 Plätze für Frauen, eine Garderobe mit 90 Einheiten, einen Thoraschrein mit Altaraufbau, ein Vorlesepult mit Wickelbank und zwei Leuchtern, einen Gedenkstein aus Granit für die jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkrieges, einen vielflammigen Kronleuchter, zwölf Seitenleuchter, zwei Leuchter am Thoraschrein, 20 Meter Läufer, einen Schrank für Kultgegenstände, ein Memorbuch und eine Ofenheizung. Allein die Kultgegenstände, darunter acht Thorarollen, hatten einen Wert in Höhe von 76.000 DM.8

Auch die Griesheimer Synagoge wurde in der Pogromnacht überfallen und die Inneneinrichtung zerstört. Im März 1939 erwarb die politische Gemeinde das Gebäude für 2.750 Reichsmark. 1950 hatte sie 850 Mark nachzuentrichten.9 Das Gebäude fiel allerdings zuvor einem alliierten Luftangriff im August 1944 zum Opfer.

Heute befindet sich an der Stelle der Synagoge ein Parkplatz. Seit 1984 erinnert eine Gedenktafel an ihren vormaligen Standort. Ihre Inschrift lautet: „Hier stand seit 1812 die Synagoge und Judenschule, 1938 durch Nationalsozialisten entweiht, die Einrichtung zerstört, 1944 durch Bombenangriff vernichtet.“

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

Seit 1823 bestand eine Chewra Kadischa.10

Mikwe

In Griesheim bestand eine Mikwe, die 1928 in einem Rechnungsbuch der Gemeinde geführt wird, über die aber bislang nichts Weiteres bekannt geworden ist.

Schule

Der 1781 bei der Gemeinde angestellte Rabbiner Hachenburg hat auch als Lehrer gewirkt11, folglich gab es zu dieser Zeit eine Schule. Es wird davon ausgegangen, dass seit etwa 1800 in der Hintergasse neben Haus Nr. 8 eine Synagoge bestand, in der auch Unterricht abgehalten wurde. Diese Schule bestand bis Anfang der 1930er Jahre.

Cemetery

Die Verstorbenen der Gemeinde Griesheim wurden auf dem Verbandsfriedhof in Groß-Gerau bestattet.

Groß-Gerau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Hertz · Löw · Mosche · Salomon · Joseph, Elias · Rosenberg, Leopold · Elias II, Joseph · Löb, Wolf · Hachenburg, Rabbiner

Places

Groß-Gerau · Darmstadt

Sachbegriffe Geschichte

Darmstadt, Ludwigsmonument · Erster Weltkrieg · Gedenksteine · Auschwitz, Vernichtungslager · Stolpersteine · Chewra Kadischa

Sachbegriffe Ausstattung

Pulte · Garderoben · Thoraschreine · Altaraufbauten · Vorlesepulte · Wickelbänke · Leuchter · Gedenksteine · Kronleuchter · Seitenleuchter · Läufer · Schränke · Thorarollen

Sachbegriffe Architektur

Emporen · Gedenktafeln

Fußnoten
  1. Hopp, 1960, S. 2.
  2. Hopp, 1960, S. 6.
  3. Hopp, 1960, S. 8.
  4. HHStAW 518, 1482.
  5. Jakowski, 2009, S. 30.
  6. Hopp, 1960, S. 6.
  7. Hopp, 1960, S. 5.
  8. HHStAW 518, 1482.
  9. HHStAW 503, 7380.
  10. Ortsartikel Griesheim auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  11. Hopp, 1960, S. 5.
Recommended Citation
„Griesheim (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/96> (Stand: 22.7.2022)