Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Braunfels

Gemeinde Braunfels, Lahn-Dill-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

nach 1614

Location

35619 Braunfels, Unterer Burgweg 107

preserved

nein

Jahr des Verlusts

ca. 1955

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Schloss und Stadt Braunfels wurden 1246 erstmals urkundlich erwähnt. Das Schloss war seit 1260 Wohnsitz der Herren und späteren Grafen von Solms-Braunfels. Seit 1803 im Besitz der Herzöge von Nassau, kam der Ort 1815 an Preußen. Wenig später begann der Ausbau zur Kurstadt, der 1961 in der Anerkennung als Luftkurort mündete.

Erste Nachweise über Juden in der Herrschaft bzw. im Amt Braunfels liegen aus dem frühen 16. Jahrhundert vor. 1563 durften sie sich in Hungen einen Friedhof einrichten. In der Stadt Braunfels sind gleich nach dem Fettmilchaufstand 1614 Juden nachweisbar, bei denen seit 1648 arme Christen an Feiertagen arbeiten durften. 1686 kam die Judenschaft des Amtes mit der Bitte ein, Schule halten zu dürfen. Dies dürfte als der älteste Hinweis auf eine Gemeinde gewertet werden, die sich aus Einwohnern des gesamten Amtes zusammensetzte. Tatsächlich wurde 1695 in Leun eine Synagoge eingerichtet, die 1776 als die älteste im Lande bezeichnet wurde.1 Das Gesuch, 1697 auch in Braunfels einen Betraum einrichten zu dürfen, unterzeichneten „Meyer zur weisen Rosen, Meyer, Jacob und Jessel Schlomm Gebrüder, sodann Daniel von Braunfels, item Gerson zu Bonbaden und Juda zu Burgsolms.“2 Von einem der beiden Schlomm-Brüder soll ein farblich gefasstes Holzstandbild in der Sakristei der Schlosskirche gestanden haben und dort noch 1868 bezeugt worden sein. Er soll 1676 die Stadt aus einer Feuersgefahr gerettet haben.3

Nur wenig später werden die Angaben zu den Schutzjuden in der Stadt noch konkreter. 1709, in dem Jahr, in dem erstmals eine Synagoge sicher nachweisbar ist, wohnten in Braunfels der Hofjude Wolff, der als recht bemittelt galt, Meyer Schlomm, der bereits in Braunfels geboren worden war, Abraham Gelnheuser, ein Bruder des verstorbenen Daniel, der als arm galt, Abraham, der die Tochter des verstorbenen Meyer zur weisen Rose geheiratet hatte und als Kramhändler tätig war, David Meyer, ebenfalls ein Kramhändler, Joseph, abermals ein Kramhändler und ein namentlich nicht genannter, im Dienste der Gemeinde stehender Schullehrer.4

Die Zahl der jüdischen Familien stieg im 18. Jahrhundert an, so dass die beiden fürstlichen Beamten Siegeln und Stock am 19. Januar 1765 berichteten: „Fürstliche Lande ist mit Juden allzu stark besetzet, die übermäßige Zahl schwächet selbsten die Judenschaft in ihrer Nahrung.“5 Die Zahl der jüdischen Familien stieg dennoch im Laufe des 18. Jahrhunderts an und lag 1788 bei 10.

Bemerkenswert ist, dass bereits 1798 Juden in der Grafschaft Braunfels Zugang zum Handwerk und zu den Zünften hatten.6

Anfang des 19. Jahrhunderts lebten in der Stadt mit Leckisch Bär, Löw Heyum, Wolf, Simon, Salomon Abraham, Hertz Löw, Abraham Gerson, Veist Heyum, Affron, Löw Meyer und Heynemann Isaac mindestens elf jüdische Familien. Die Zahl der Einzelpersonen stieg bis 1853 auf 69. Hinzu kamen weitere 15 in Bonbaden und 17 in Tiefenbach.

Besser zu fassen werden die Mitglieder der jüdischen Gemeinde nach 1845, als vererbbare bürgerliche Namen angenommen werden mussten. Insgesamt 19 Familien und Einzelpersonen werden in der entsprechenden Liste genannt. Sie nahmen die Namen Löw, Kleineibst, Heimann, Herz, Benedikt, Weil, Gerson, Salomon, Schlesinger und Wolf an.7 Allein der Name Salomon wurde acht Mal gewählt. Der Name Kleineibst geht vermutlich auf Marcus Seeligmann aus Kleineibstadt unweit von Neustadt/Saale zurück, der 1811 anlässlich seiner Hochzeit mit Marianne Josef seinen Schutzbrief erhielt und als Lehrer tätig war. Einschließlich der Ehefrauen und Kinder betrug die Gesamtzahl der jüdischen Einwohner 63 Personen.

Ende der 1840er Jahren wurden die Synagogenbezirke im Kreis Wetzlar neu gefasst. Nun gehörten auch die in Burgsolms, Oberndorf, Bonbaden und in dem nassauischen Philippstein wohnenden Juden zur Gemeinde Braunfels.

1835 lebten in Braunfels 68 Juden, 1865 erreichte diese Zahl mit 71 ihren höchsten Stand. 1910 waren es 50, 1925 25, 1933 47 und 1939 noch etwa fünf.8

Auch in Braunfels waren Juden aktive Bestandteile des gemeindlichen Lebens. So gehörten Jakob Heymann und Max Kleineibst 1894 zu den Gründen des Turnverein Braunfels, sieben jüdische Einwohner trugen sich bei der Gründungsversammlung des Verschönerungsvereins am 23. April 1897 ein. 1912 war Jakob Heymann zudem Mitglied des Stadtrates.9 Darüber hinaus gab es einen jüdischen Wohltätigkeitsverein.

Die Gemeinde wurde vor November 1938 aufgelöst und zumindest ein Teil der Kultgegenstände in die Synagoge nach Wetzlar gebracht.10

Betsaal / Synagoge

Wie in den meisten Gemeinden, so wurde auch in Braunfels Gottesdienst zunächst in angemieteten Räumen gehalten. Der älteste bekannte Betraum befand sich 1687 im Haus des Schlomm in der Borngasse,11 ohne dass dieses heute noch zu lokalisieren wäre. Wenig später bauten der Hoffaktor Wolff und dessen Ehefrau Scheinle ein Haus am Marktplatz. Es trägt die heutige Anschrift Am Kurpark 2. Bei einer Renovierung 1931 fand man in einem Raum im Obergeschoss Wandbemalungen und Sprüche in hebräischen Buchstaben. Ein noch 1931 zu lesender Spruchbalken führte die Inschrift: „Wolff Jud und Ehefrau Scheinle beide Eheleute, Gott behüte ihren Ausgang und ihren Eingang 1709“.

Im Laufe der Zeit muss dieser Raum zu klein geworden sein. Deswegen wurde 1725 die Genehmigung erteilt, einen passenderen Raum im Hintertal anzumieten. Wolff wurde verpflichtet, die Thora und die anderen Kultgegenstände dorthin zu überführen.12 Aber auch dieser Raum diente nur vorübergehend als Betstätte. Bis Ende des 18. Jahrhunderts muss auch er zu klein geworden sein. Zudem galt er als baufällig. Deshalb bat 1798 die Gemeinde um herrschaftliche Zuweisung einiger Stämme Bauholz, um eine neue Synagoge bauen zu können. Dieser Bitte wurde entsprochen und sie erhielt zwei große und vier kleine Stämme, mit deren Hilfe wohl auch gebaut wurde.13 In diesen Betraum wurde 1804 eingebrochen und Gegenstände im Wert von 121 Gulden gestohlen.

1852 richtete die Gemeinde die Synagoge in einer Scheune am Unteren Burgweg ein, die erst 1892 auch in Gemeindebesitz überging. Sie befand sich 1856 in gutem Zustand und verfügte im Inneren über eine Empore. Angeblich sollte sie 90 bis 100 Männer Sitzplätze umfasst haben, was aber angesichts der Größe des Gebäudes kaum vorstellbar ist.

1968 erinnerte sich jemand: Der Synagogenraum war 7 mal 5 Meter groß und zweigeteilt. „Unten nahmen die Männer, auf dem Überbau die Damen Platz. Es waren zwei Bankreihen eingerichtet, oben jedoch nur eine Reihe an der längeren Seite. Beim Betreten des unteren Teils befand sich links vom Eingang ein etwa 3 - 4 m hoher Eisenofen. Dahinter eine Garderobe. Anschließend waren noch einige Bankreihen angebaut. Ganz hinten ein Abstellraum für Reinigungsgeräte. Die Bankreihen waren sehr eng, also etwa für 3 - 4 Personen Platz. Mittig der Gang, etwa 2 m breit. Geradeaus vom Gang ein aus Eichenholz gebauter Altar, auf der oberen Seite eine dünne Marmorplatte. Der Altar selbst mit einer tiefblauen Decke überzogen, auf der Vorderseite ein großer in Gold gestickter David Stern mit den Buchstaben „Jahwe“ umgeben. Links neben dem Altar der Sitz des Rabbiners, er kam aus Wetzlar, rechts neben dem Altar der Sitz des Vorbeters. Vorbeter waren in Braunfels Herr Jakob Kahn und Herr Hermann Moses. Der Rabbiner, auch der Vorbeter, mussten nachweislich vom Stamme Davids bzw. vom Hauptstamme Levi abstammen. Während des Gottesdienstes behielten die Juden allgemein ihre Hüte auf den Köpfen. […] Die Fenster der Synagoge lagen in Bleieinfassung. Sie waren bunt, teils mit Sternen und Kerzen versehen. Hinter dem Altar waren zwei blaue Fahnen vorhanden mit einem aufgestickten Davidstern. Eine Toilette war in der Synagoge nicht vorhanden. Rechts hinter dem Vorbeter ein aus Stein vorhandener, für die Juden heiliger Samowar. Dieser Samowar war zu den Osterfeiertagen mit Wein gefüllt, aus dem der Rabbiner trank. […] Der Rabbiner allgemein im Talar wie der evangelische Geistliche. Die Vorbeter in langem schwarzen Rock an besonderen Feiertagen, sonst durchschnittlich in Zivil. Im Gottesdienst waren in Braunfels 20 bis 30 Personen anwesend. Die Gläubigen kamen überwiegend aus Braunfels, Burgsolms, Oberndorf, Leun und Bonbaden zusammen.“14

Lilienthal bezeichnet 1936 die Scheunensynagoge als sehenswert und zählt einige Ausstattungsgegenstände auf: Die Hauptthora war 1840 von dem Rabbiner Anschel Gans aus St. Goar geschrieben worden. Ein älteres Sefer stammte wohl noch von Hoffaktor Wolff und 1842 hatte Löb Jessel eine weitere Thora gestiftet.15

In der Pogromnacht wurde die Synagoge aufgebrochen und die Inneneinrichtung zerstört. Aufgrund der dichten Nachbarbebauung wurde von einer Brandschatzung abgesehen. Noch am folgenden Tag stahlen christliche Einwohner Kultgegenstände und Bücher.

Mit Auflösung der Gemeinde vor November 1938 waren einige Kultgegenstände in die Synagoge nach Wetzlar verbracht worden. Darunter befanden sich fünf Thorarollen, fünf Paar Thoraaufsätze aus Silber mit Schellen, fünf silberne Thoraschilder, fünf silberne Lesefinger, 20 durchschnittliche Thoramäntel, 30 Wimpel, vier Thoraschreinvorhänge, vier Decken für Vorlese- und Vorbeterpult, eine Ewige Lampe, ein siebenarmiger Leuchter, ein Channukahleuchter, 30 Seelenlichter, zwei silberne Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, ein Trauhimmel, eine Megillah, zwei Schofarhörner, zwölf Gebetsmäntel, fünf Paar Gebetriemen, 20 Gebetbücher, 20 Sätze Festgebetbücher, 20 Bände Pentateuch, ein Satz Aufrufplatten und eine silberne Etrogbüchse.16

Das Gebäude am Unteren Burgweg wurde in den 1950er Jahren wegen Baufälligkeit abgerissen. An seinem Standort befindet sich heute eine Gedenktafel.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Es ist davon auszugehen, dass sich in Braunfels auch eine Mikwe befand, über die jedoch nichts bekannt wurde.

Schule

Bereits in einer Liste der in Braunfels lebenden Schutzjuden von 1709 wird ein Schullehrer genannt, der die jüdischen Kinder unterrichtete und im Dienst der Gemeinde stand.17 Bis mindestens 1725 wurde Unterricht in dem Haus von Wolff gehalten, in dem sich auch der Betsaal befand. Als dieser in diesem Jahr aufgelöst wurde, verpflichtete sich Wolff, entweder einen seiner Räume weiterhin zur Verfügung zu stellen oder auf seine Kosten einen anderen anzumieten. Vor 1760 wurde der Unterricht in die Synagoge im Hintertal verlegt.

1776 besuchten diesen Unterricht der Sohn Hertz und der Stiefsohn Feist des Löw Hennel, Simon, Sohn von Abraham dem Älteren, Isaak, Bruder von Löb Heimann, Schlomm, Sohn von Wolf, die namentlich nicht genannten Söhne von Simon, Salomon Abraham dem Jüngeren und Abraham Gomprich. Weiterhin Mayer, Sohn des Gerson von Burgsolms, Isaak, Sohn des Salomon Heimann aus Oberndorf, Moses, Sohn des „10 Gebottschreiber“ Gompel aus Bonbaden und aus Oberbiel Isaak, Sohn des Leßmann.18

Auch in den Jahren bis zu ihrer Auflösung 1938 beschäftigte die Gemeinde Lehrer, bezahlte deren Wohnungen und unterhielt einen Unterrichtsraum.

Cemetery

Der Friedhof der Gemeinde Braunfels liegt im nahe gelegenen Burgsolms. Wann er eingerichtet wurde, ist unbekannt. Hier wurden 1853 die Verstorbenen aus Braunfels, Burgsolms, Oberndorf, Niederbiel, Tiefenbach, Nauborn, Griedelbach, Kröffelbach, Kraftsolms und Bonbaden bestattet. Die wohl letzte Bestattung war die von Max Kleineibst im Jahr 1942.

Burgsolms, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Burgsolms, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Solms-Braunfels, Herren von · Solms-Braunfels, Grafen von · Nassau, Herzöge von · Meyer zur weisen Rosen · Meyer · Jacob Schlomm · Jessel Schlomm · Daniel · Gerson · Juda · Wolff, Hofjude · Meyer Schlomm · Abraham Gelnheuser · Abraham · David Meyer · Joseph · Siegeln · Stock · Leckisch Bär · Löw Heyum · Wolf · Simon · Salomon Abraham · Hertz Löw · Abraham Gerson · Veist Heyum · Affron · Löw Meyer · Heynemann Isaac · Löw, Familie · Kleineibst, Max · Heymann, Jakob · Herz, Familie · Benedikt, Familie · Weil, Familie · Gerson, Familie · Salomon, Familie · Schlesinger, Familie · Wolf, Familie · Marcus Seeligmann · Marianne Josef · Scheinle, Ehefrau des Wolff · Kahn, Jakob · Moses, Hermann · Anschel Gans · Hertz · Feist · Löw Hennel · Simon · Abraham der Ältere · Isaak · Löb Heimann · Schlomm · Salomon Abraham der Jüngere · Abraham Gomprich · Mayer · Salomon Heimann · Moses · Gompel · Leßmann

Sachbegriffe Geschichte

Preußen · Braunfels, Herrschaft · Braunfels, Amt · Fettmilchaufstand · Schutzjuden · Braunfels, Grafschaft · Pogromnacht

Sachbegriffe Ausstattung

Garderoben · Eisenöfen · Altäre · Marmorplatten · Fahnen · Samoware · Sefer · Thora · Thorarollen · Thoraaufsätze · Thoraschilde · Lesefinger · Thoramäntel · Thoravorhänge · Vorlesepulte · Vorbeterpulte · Ewige Lampen · Leuchter · Chanukkaleuchter · Seelenlichter · Weinbecher · Hawdalah-Garnituren · Trauhimmel · Megillot · Schofarot · Gebetmäntel · Gebetriemen · Gebetbücher · Pentateuch · Aufrufplatten · Etrogbüchsen

Sachbegriffe Architektur

Emporen · Bleiglas · Gedenktafeln

Fußnoten
  1. Fitzler, Juden zu Braunfels, S. 265
  2. Fitzler, Juden zu Braunfels, S. 265
  3. Lilienthal, Jüdische Wanderungen, S. 60 f.
  4. Fitzler, Juden zu Braunfels, S. 265
  5. Zitiert nach Schellenberg, Braunfelser Chronik, S. 462
  6. Schellenberg, Braunfelser Chronik, S. 467
  7. http://www.a-h-b.de/AHB/Listen/Asslar.htm; 30.01.2017, 16:00 Uhr
  8. Fitzler, Juden zu Braunfels, S. 268
  9. Schellenberg, Braunfelser Chronik, S. 487
  10. HHStAW 503,1168
  11. Fitzler, Juden zu Braunfels, S. 265
  12. Schellenberg, Braunfelser Chronik, S. 472
  13. Das Gesuch ist veröffentlicht unter http://www.alemannia-judaica.de/braunfels_synagoge.htm#Zur%20Geschichte%20der%20Synagoge
  14. zitiert nach Schellenberg, Braunfelser Chronik, S. 474
  15. Lilienthal: Jüdische Wanderungen, S. 61
  16. HHStAW 503, 1168
  17. Fitzler, Juden zu Braunfels, S. 265
  18. Fitzler, Juden zu Braunfels, S. 265
Recommended Citation
„Braunfels (Lahn-Dill-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/134> (Stand: 22.7.2022)