Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 50. Rosenthal

Wohra Karten-Symbol

Gemeinde Wohratal, Landkreis Marburg-Biedenkopf — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1742

Location

35288 Wohratal, Ortsteil Wohra, Biegenstraße 4 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Jahr des Verlusts

1992

Art des Verlusts

Abbruch und Translokation

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Im 13. Jahrhundert übten Hersfelder und Fuldische Vögte in Wohra die Gerichtshoheit als Lehnsnehmer für die Grafen von Ziegenhain aus. Auch im 14. Jahrhundert gehörte Wohra als Teil von Burg und Stadt Rauschenberg zum Ziegenhainschen Besitz. Mit dem Aussterben des Grafengeschlechts ging ihr Besitz 1450 an die hessischen Grafen über. Bis 1813 gehörte Wohra zunächst zum Gericht, später zu Amt und Kanton Rauschenberg, bevor es, kurhessisch, 1821 dem Kreis Kirchhain und 1932 dem Landkreis Marburg, später Marburg-Biedenkopf zugeteilt wurde. Seit 1971 gehört Wohra zur Gemeinde Wohratal mit Verwaltungssitz in Wohra.1

In enger Nachbarschaft zum Postort Halsdorf profitierte Wohra möglicherweise von dessen günstiger Lage, bis die modernen Hauptverkehrswege diese traditionellen Wegeachsen im 19. Jahrhundert unbedeutend werden ließen. Haupterwerbsquelle war bis in das 20. Jahrhundert für die Mehrheit der Dorfbewohner die Land- und Forstwirtschaft.

Erste Nachweise zu in Wohra lebenden Juden stammen von 1742.2 Seit dem 18. Jahrhundert bestand wahrscheinlich bereits eine ausreichende Anzahl jüdischer Männer für einen Minjan. Aufgrund der später immer wieder schwankenden Mitgliederzahl bildete die jüdische Bevölkerung von Wohra gemeinsam mit den Juden im etwa zwei Kilometer südlich benachbarten Halsdorf und denen aus dem ca. sechs Kilometer östlich gelegenen Josbach eine Synagogengemeinde mit Sitz in Halsdorf. Zeitweise besuchten auch die wenigen in Ernsthausen und Wolferode lebenden Juden den Gottesdienst dort. Um 1924 war M. Katten I. Vorsteher der jüdischen Gemeinde.3 Der letzte Vorsitzende der Kultusgemeinde war Meier Katten II. Er ging 1940 ins amerikanische Exil.4

Um 1835 betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung mit 11 Personen keine zwei Prozent, 1861 waren es mit 44 in sechs Familien bereits rund sechs Prozent und 1925 lebten 49 jüdische Wohraer im Ort, damit etwa acht Prozent aller Einwohner.5

Die Wohraer Juden waren Kaufleute und Viehhändler. Es gab zudem einen jüdischen Metzger sowie einen Schuster.6

Durch zunehmende politische und gesellschaftliche Repressalien zogen einige der 37 noch 1933 im Ort wohnenden Jüdinnen und Juden in größere Städte um. Manchen gelang bis 1941 das Exil, unter anderem in die USA.7 Die zwischen 19 und 358 nach 1941 noch in Wohra lebenden Jüdinnen und Juden wurden nach ihrer Deportation in Konzentrationslager und Ghettos Polens dort qualvoll ermordet bzw. verstarben durch unmenschliche Lebensbedingungen.

Betsaal / Synagoge

Die Wohraer, Halsdorfer und Josbacher Juden sowie die Juden aus weiteren Orten besuchten offiziell die Gottesdienste im etwa 12 Kilometer südlich von Wohra gelegenen Rauschenberg.9 Die Nutzungsgeschichte der Beträume bzw. Synagogen in den benachbarten Orten Wohra10, Halsdorf und Josbach ist eng miteinander verknüpft, allerdings teilweise nicht vollständig dokumentiert oder überliefert. So kann nur vermutet werden, dass spätestens mit der gesetzlichen Neuordnung der Rechte und Pflichten der jüdischen Gemeinden in Kurhessen, 1823, die Juden dieser Orte eigene Beträume in Privathäusern eingerichtet hatten. Ein langjährig anhaltender Streit um die Lage des Synagogenhauptortes der Kultusgemeinde führte vermutlich dazu, dass jeder Ort einen eigenen kleinen Betraum unterhielt.11 Die Genehmigung einer dann offenbar gemeinsam beantragten und finanzierten Synagoge bzw. eines Betraums in Halsdorf12, die um 1855 eingerichtet wurde, belegt die gefundene Einigung.

In Wohra richtete sich die Nutzung des Gebäudes bis zu dessen Aufgabe 1941 vermutlich nach der Anzahl der zu einem Minjan notwendigen Männer sowie nach Witterungsverhältnissen. Wobei im kalten Winter wahrscheinlich einem kleinen Betraum in einem Privathaus der Vorzug gegeben wurde.13 Die Synagoge der Gesamtgemeinde in Halsdorf diente als Hauptsynagoge, zumal hier 1897 in einem Nachbargebäude ein neuer, größerer Schulraum für die Kinder der jüdischen Kultusgemeinde eingerichtet worden war, der die hergebrachten engen Verhältnisse deutlich verbesserte. Aber auch ein vorhandener Betraum in Josbach14 konnte je nach Umständen genutzt werden.15

Um 1852 ließ die jüdische Bevölkerung Wohras – möglicherweise inoffiziell, da weder durch das Marburger Rabbinat noch durch das zuständige Kreisamt gestattet16 - einen kleinen Synagogenbau errichten. Das Haus lag am östlichen Ortsrand, in der Biegenstraße 4, ehemals im Froschwasserweg, nahe der Wohra, rund 250 Meter nordöstlich der Dorfkirche auf dem Gelände einer Hofreite.17 Dadurch war es außerhalb der direkten Wahrnehmung der Dorfbevölkerung angesiedelt.18 Das über dem Grundriss von ca. 7,70 Metern x 5,80 Metern ausgeführte Fachwerkgebäude besaß eine Grundfläche von etwa 45 Quadratmetern. Es hatte ein ziegelgedecktes Walmdach, dessen südliches Firstende ein metallener Aufsatz, vielleicht zunächst mit einem bekrönenden Davidstern, zierte. Dieser verwies auch später, dieses vermuteten Attributs der Synagoge beraubt, auf eine ehemals herausgehobene Nutzung.

Um 1876 besaß der Kaufmann Josef (Mendel) Kugelmann die Hofreite, auf deren Gelände die Synagoge stand. Durch eine Versetzung des Gebäudes um einige Meter nach hinten, zwischen 1895 und 1905, deren Motiv vermutlich in Querungsfragen über das Grundstück zu suchen ist, erfuhr es wohl eine erste bauliche Umgestaltung und Sanierung. Möglicherweise wurde in diesem Zusammenhang der hohe Sandsteinquadersockel neu errichtet.19

Das Gebäude wurde vor einem Umbau 1924 zunächst durch einen Haupteingang von Nordosten her erschlossen. Die Frauen erreichten die - vielleicht erst um 1895 ff. eingebaute - dreiseitig umlaufende Empore über eine hölzerne Treppe im Innern. Der Thoraschrein stand vermutlich vor der Südostwand.

Während einer offenbar dringend benötigten Renovierung um 1924 wurde die kleine Synagoge von Grund auf umgebaut. So wurde beispielsweise die Lage des Männereingangs von Nordosten nach Südosten verlegt und eine hölzerne Außentreppe an der Nordwestseite des Gebäudes angebaut. Hierüber gelangten die Gottesdienstbesucherinnen auf die nach dem Umbau nur noch zweiseitig verlaufende Frauenempore. Der Thoraschrein war jetzt vor der Nordostwand platziert.

Der Haupteingang bestand aus einer einfachen einflügeligen Tür in der Mittelachse der Südostfassade. Die Eingangstür zur Frauenempore im Nordwesten bestand ebenfalls aus einer einfachen einflügeligen Tür.20 Dem Innenraum boten je ein bis zwei einfache hochrechteckige Sprossenfenster Licht.

Informationen über die nutzungszeitliche Innengestaltung der Synagoge liegen nur spärlich vor. Noch 1991 vorhandene Reste der Innenbemalung wiesen den zeittypischen Geschmack der Umbauzeit in den 1920er Jahren aus Gliederungselementen mit überwiegend geometrischen Elementen auf.21 Rekonstruiert ist die Decken- und Wandbemalung noch heute in der 1995 nach Translozierung wieder eingeweihten Synagoge der jüdischen Gemeinde Gießen zu sehen. In den Deckenhintergrund aus vier rechteckigen hellblauen Feldern sind stilisierte Blüten in hellem, gelblichem Ocker aufgetragen. Je ein etwa ein Meter breites weißes Band in den beiden Mittelachsen, von Begleitern in gelblichem Ocker flankiert, gliedert die Decke. Im Kreuzungsrechteck dieser Bänder bestimmt ein Feld aus schwarzen und weißen, in der Diagonalen gestoßenen Rechtecken die Deckenmitte. Umrahmt wird es von den gelbfarbenen Begleitern der Deckenbänder, in deren dunkelbraun gehaltenen quadratischen Schnittflächen goldene Davidsterne eingeschrieben sind. In der Deckenmitte war der Kronleuchter aufgehängt.22 Die die Raumdecke strukturierenden Begleiter der Bänder setzten sich an den Wänden als mit floralen Mustern ornamentierte zierliche aufgemalte Säulchen fort.

Während der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge stark beschädigt. Das Haus stand danach leer und verfiel zunehmend. 1991 erwarb es die jüdische Gemeinde Gießen, ließ es sachverständig demontieren und nach erfolgter Komplettsanierung in Gießen als Bestandteil des jüdischen Gemeindezentrums in einer der Örtlichkeit angepassten Form wieder aufbauen.23 Das jüdische Gemeindezentrum Gießen wurde 1995 feierlich eingeweiht. Heute dient die ehemalige Synagoge Wohra als Synagoge der jüdischen Gemeinde in Gießen.

Ein Gedenkstein mit bronzener Texttafel am Ortseingang erinnert seit 1994 an die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Diktatur.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Im Keller eines Privathauses gab es nach Angaben von Zeitzeugenberichten eine Mikwe.24

Schule

Religionsunterricht wurde in Halsdorf erteilt.

Cemetery

Beisetzungen verstorbener jüdischer Wohraer erfolgten seit seiner Neuanlage 1903 auf dem jüdischen Friedhof in Halsdorf, der etwa 301 Quadratmeter groß ist. Er befindet sich in der Lage „Am Wehr“, Flur 7, Flurstücksnummer 121/78. Zuvor beerdigten die Wohraer ihre Angehörigen auf dem alten Sammelfriedhof in Hatzbach.

Halsdorf, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Hatzbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Halsdorf, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Ziegenhain, Grafen von · Hessen, Grafen von · Katten I., M. · Katten II, Meier · Kugelmann, Josef (Mendel)

Places

Rauschenberg · Rauschenberg, Burg · Halsdorf · Josbach · Ernsthausen · Wolferode · Polen · Gießen · Stadtallendorf · Hatzbach

Sachbegriffe Geschichte

Hessen, Kurfürstentum · Translozierungen · Gedenksteine

Sachbegriffe Ausstattung

Thoraschreine · Kronleuchter

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkbauten · Walmdächer · Davidsterne · Emporen · Außentreppen · Sprossenfenster · Wandbemalungen

Fußnoten
  1. Ortsartikel Wohra in LAGIS, Historisches Ortslexikon (siehe Link oben)
  2. Schneider, Jüdische Familien, S. 369
  3. Ortsartikel Wohra auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  4. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 318
  5. Schneider, Jüdische Familien, S. 369
  6. Schneider, Jüdische Familien, S. 370
  7. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 318; Ortsartikel Wohra auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  8. Gedenkstätte Yad Vashem (s. Weblink); Gedenkbuch des Bundesarchivs (s. Weblink); Ortsartikel Halsdorf auf Alemannia Judaica (s. Weblink). Die Zahlen differieren.
  9. Schneider, Jüdische Familien, S. 167, 169, 237, 370
  10. Zur Nutzungs- und Baugeschichte der Wohraer Synagoge vgl.: Gerschlauer / Klein, Synagogen im Landkreis Marburg-Biedenkopf, S. 30-44
  11. Die Auseinandersetzungen basierten vermutlich auf dem zahlenmäßig fast ausgewogenen Anteil von Wohraer und Halsdorfer Juden um diese Zeit.
  12. Details zu Synagoge und Schulraum in Halsdorf vgl. Gerschlauer / Klein, Synagogen im Landkreis Marburg-Biedenkopf, S. 30-44, S. 141 sowie Altaras, S. 236 f.
  13. Schneider, Jüdische Familien, S. 371, berichtet von einem um 1900 eingerichteten Betraum im Haus von Mendel Buchheim, der bis 1924 benutzt wurde.
  14. Händler-Lachmann/Händler /Schütt, Purim, Purim, S. 19
  15. Handbuch Jüdische Gemeindeverwaltung, S. 101; Schneider, Jüdische Familien, S. 371
  16. Zu Genehmigungsfragen sind keine Dokumente überliefert bzw. bisher bekannt.
  17. Gerschlauer/Klein, Synagogen im Landkreis Marburg-Biedenkopf, S. 140 f.
  18. Angaben zu bauzeitlichem Aussehen sowie den bis zur erzwungenen Aufgabe der Synagoge 1941 erfolgten baulichen Veränderungen differieren stark. Zum Teil interpretieren die beiden auf die Baugeschichte der Synagoge bezogenen Publikationen, Altaras, Synagogen, S. 248-251 und Gerschlauer/Klein, Synagogen im Landkreis Marburg-Biedenkopf, S. 140-151 vorgefundene bzw. dokumentierte Befunde sehr unterschiedlich.
  19. Details: Gerschlauer/Klein, Synagogen im Landkreis Marburg-Biedenkopf, S. 141
  20. Schneider, Jüdische Familien, S. 371
  21. Vgl. dazu Altaras, Stätten der Juden in Gießen, S. 42-49
  22. Altaras, Synagogen, S. 88 f.
  23. Altaras, Synagogen, S. 95 ff., 271
  24. Händler-Lachmann, Juden in Wohratal, S. 115-137, 128
Recommended Citation
„Wohra (Landkreis Marburg-Biedenkopf)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/141> (Stand: 29.11.2022)