Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Wetzlar Karten-Symbol

Gemeinde Wetzlar, Lahn-Dill-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

13. Jahrhundert

Location

35578 Wetzlar, Pfannenstielsgasse 8 | → Lage anzeigen

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1958

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Wetzlar ist die älteste Reichsstadt in der Wetterau und gehörte wie Frankfurt am Main, Friedberg und Gelnhausen dem Rheinischen Städtebund an. Von 1150 bis 1350 zählte es zu den reichen Handelsstädten, um in den folgenden Jahrhunderten zu verarmen. Erst mit der Verlegung des Reichskammergerichts 1693 von Speyer nach Wetzlar erhielt die Stadt wieder Bedeutung und nennenswerten Bevölkerungszuwachs auch der jüdischen Einwohner. Wirtschaftlicher Aufschwung setzte mit Eröffnung der Bahnlinien nach Koblenz und Köln und der Gründung erster Industriebetriebe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein.

Von 1803 bis 1813 gehörte die Stadt zum Großherzogtum Frankfurt, um 1815 Preußen zugesprochen zu werden. Dort wurde Wetzlar Sitz des gleichnamigen Kreises. Von 1866 bis 1932 bildete der Kreis eine Enklave in der preußischen Provinz Hessen-Nassau. Erst 1933 wurde er dem Regierungsbezirk Wiesbaden angeschlossen.1

Die jüdische Gemeinde in Wetzlar gilt als eine der ältesten in Südwestdeutschland. Infolge der liberalen Haltung der Grafen von Nassau und der Herren von Runkel sowie später des Königs Wenzel diente Wetzlar in schweren Zeiten mittelalterlicher Judenverfolgung als sogenannter Auffangplatz für verfolgte Juden.

Es wird davon ausgegangen, dass etwa seit 1200 Juden in der Stadt ansässig waren.2 Gesicherte Hinweise stammen allerdings erst von 1277 und 12963, als bereits eine jüdische Gemeinde erwähnt wurde. 1349 kam es erstmals zu einem Pogrom, während dessen die Juden ermordet oder vertrieben und ihre Häuser geplündert wurden. Bereits Ende des 14. Jahrhunderts, nach 1382, ließen sich abermals Juden in der Stadt nieder.4 1385 lebten Murschit, Calmann und Sampson in Wetzlar, 1514 wurden fünf selbstständige, steuerpflichtige Juden genannt. Nach kurzfristiger Vertreibung der Juden 1598 dürfte ihre Neuaufnahme bereits um 1600 eingesetzt haben. Während bis dahin die Zahl der jüdischen Einwohner zwischen fünf bis sechs im Jahr 1493 und 35 bis 45 in 1585 schwankte, stieg sie bis 1625 auf rund 15 Haushalte mit etwa 80 Bewohnern.5

1626 erließ die Stadt erstmals eine „Judenstättigung“, die 1726 mit nur geringen Änderungen erneuert wurde. Insgesamt 29, resp. 30 Artikel regelten vor allem den Handel und den Leihverkehr. Nur wenige nahmen Einfluss auf das gemeindliche Wesen. So wurde die Zahl der in der Stadt ansässigen jüdischen Ehepaare auf zwölf begrenzt, von denen sich jeweils nur ein verheiratetes Kind zu Lebzeiten der Eltern in der Stadt niederlassen durfte. Das Aufenthaltsrecht war auf neun Jahre befristet, nach dessen Ablauf sie eine Erneuerung beantragen konnten. Fremde Juden, dazu zählten auch Verwandte, durften ohne Anmeldung beim Bürgermeisteramt nur maximal drei Tage beherbergt werden. Trotz der zahlenmäßigen Beschränkung zählte die 1734 durch die Bürgerschaft erstelle „Specifikation derer in der Stadt Wetzlar allhier wohn- und seßhaften verheirateten Juden“ 27 jüdische Haushalte auf, was auf eine Einwohnerzahl von rund 100 Personen schließen lässt.6 In der Folgezeit nahm deren Zahl wieder etwas ab, denn 1766 besaßen die Witwen Wolf und Bacharach, Simon Liebmann, Marx Joseph, Löw Amschel, Simon Joseph, Leiser Heyem, Aron Löw und Gussil Simon einen Schutzbrief. Zusätzlich galten Löw Bamberger, Heyum Höchster, Jacob Buttge und Meyer Gerson als Judenbeisassen. Die Hälfte wohnte in eigenen Häusern in der Altstadt und war vorwiegend als Händler und Kaufleute tätig. Hinzu kam gerade im 18. Jahrhundert eine steigende Zahl sogenannter Betteljuden, die aus dem Osten vertrieben nach einer neuen Heimat suchten. Sie wurden aber zumeist sowohl von der christlichen Bürgerschaft als auch den ansässigen Schutzjuden abgelehnt und – wenn überhaupt - nur vorübergehend in der Stadt geduldet.7

Mit dem Übergang Wetzlars 1803 an den Reichsfreiherrn Karl von und zu Dalberg und der späteren Integration in das Großherzogtum Frankfurt, setzten auch in der Stadt erste Schritte einer beginnenden Emanzipation ein. So führte Dalberg umgehend die aus Frankreich übernommenen rechtlichen und politischen Reformen ein, zu den auch die Gleichstellung der Juden zählte. Damit einher ging die partielle Aufhebung der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Beschränkungen der Juden und ihre Eingliederung in den Staat.8 Als eine der ersten Einschränkung wurde 1804 der Leibzoll für Juden aufgehoben. 1807 wurde eine neue Judenstättigkeit erlassen, die viele ältere Belastungen aufhob und seit 1811 galt der Napoleonische Code Civil. Damit einher ging auch das Gesetz zur Annahme fester Familiennamen. Vielfach wurden dabei sogenannte Herkunftsnamen gewählt: Hamburger, Bamberger, Erlanger, Höchster, Landauer, Wetzlar, Schlesinger, Flörsheim, Fackenstein, Windecker oder Stadecker, seltener Stern, Löb oder Stiefel.

Nach Übergang Wetzlars an Preußen verbesserte sich die Situation der Juden sukzessive, aber erst die Verfassung vom 31. Januar 1850 bestätigte die Gleichstellung von Juden und Christen in bürgerlicher und staatspolitischer Hinsicht.9 Mit Einführung des Gesetzes über die Verhältnisse der Juden 1847 wurden weitere Gleichstellungen eingeführt und Wetzlar zum Sitz eines Synagogenbezirkes gemacht. Die dortige Gemeinde bildete nun den Mittelpunkt für die Filialgemeinden Wetzlar; Atzbach und Vetzberg, Hörnsheim, Hochelheim, Obersolms, Kröffelbach und Bonbaden, Braunsfels, Burgsolms, Oberndorf, Niederbiel und Tiefenbach, Biskirchen, Daubhausen, Edingen und Greifenstein, Aßlar, Werdorf, Kölschhausen, Ehringshausen und Katzenfurt sowie Hohensolms, Erda und Altenkirchen.10

Nach der Aufhebung des Reichskammergerichts und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Rückgang in der Stadt sank auch die Zahl der jüdischen Einwohner. Lag sie 1834 noch bei 94, sank sie bis Mitte des 19. Jahrhunderts auf 75, um 1910 bei 181 und 1925 bei 156 zu liegen.11 In dieser Zeit gab es in Wetzlar vier Warenhausbesitzer, zwei Ärzte, einen Rechtsanwalt und Notar, zwei Rossschlächter, einen Metzger, ein Lebensmittelgeschäft, zwei Manufakturwarenhandlungen, vier Viehhändler, drei Textil- und Bekleidungsgeschäfte, einen Schuster, mehrere Altwarenhändler, eine Holzhandlung, eine Eisenwarenhandlung, ein Geschäft für Landesprodukte, einen Handwerker (Metallschmelzer) sowie einen Synagogendiener und einen Prediger.12 Dabei war das Warenhaus Frankfurt mit bis zu 40 Angestellten sicherlich das größte jüdisch geführte Unternehmen in der Stadt.

Bereits in den 1920er Jahren standen nationalsozialistische oder dieser Richtung nahestehende Gruppen zur Wahl, auch wenn deren Ergebnisse zunächst noch dürftig waren. Gleichwohl kam es zu antisemitischen Übergriffen, beispielsweise als im Juli 1929 die Fenster der Synagoge mit Kot beschmiert und ein Hakenkreuz an die Wand gemalt wurden. Bei der Reichstagswahl im März 1933 erreichte die NSDAP mit 37,4 Prozent die Stimmenmehrheit vor der SPD mit 30,9 Prozent.13 Wenig später setzten Repressalien ein, beispielsweise als noch Ende März 1933 das Schächtbesteck beschlagnahmt wurde. Abermals nur wenig später begannen die systematischen und organisierten Boykotte. Das erste Todesopfer war Salomon Heldenmuth, der am 29. April 1933 tot in seiner Zelle gefunden wurde. Auch wenn es offiziell hieß, er habe in Schutzhaft den Freitod gewählt, bleibt offen, „ob man nachgeholfen hatte“14.

Ablösung- und Separationsbestrebungen seit der Jahrhundertwende hatten dazu geführt, dass 1930 nur noch Biskirchen, Münchholzhausen, Hohensolms, Hörnsheim, Ehringshausen, Katzenfurt und Kraftsolms zu Synagogengemeinde Wetzlar zählten. Sie alle wurden noch vor 1938 aufgelöst.15

Am 14. November 1938 wurde das Vermögen der jüdischen Gemeinde beschlagnahmt. Darunter befanden sich bei der Kreissparkasse Wetzlar „dreizehn Sparbücher der jüdischen Gemeinde gehörig im Gesamtwert von 4.916,35 RM […], die aus Stiftungen, Vermächtnissen und dem Verkauf der Synagoge zu Aßlar“16 stammten.

Im Zuge der Pogrome im November 1938 wurden 23 männliche jüdische Einwohner verhaftet und teilweise in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Einer von ihnen wurde dort ermordet, die übrigen kehrten in die Stadt zurück. 1939 lebten noch 53 Juden in Wetzlar. 1942 wurden 26 Menschen deportiert, von denen nur eine Person den Holocaust überlebte.17 Sieben weitere Deportationen erfolgten 1943, von denen abermals nur eine Person überlebte.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich Wetzlar zu einer Aufnahmestation für Displaced Persons. Für die Zeit bis Anfang der 1950er Jahre wird ihre Zahl auf insgesamt 4.000 bis 5.000 Menschen geschätzt. Bereits im Herbst 1945 hatten sich 20 Juden, vorwiegend Überlebende des Holocaust aus Osteuropa, in der Stadt niedergelassen und eine neue jüdische Gemeinde Wetzlar gegründet. Sie waren zunächst in den Gebäuden des Ruderclubs in der Inselstraße untergebracht. Später eröffneten sie ein Gemeindezentrum in der Nauborner Straße 51-53. Auf Veranlassung der amerikanischen Militärbehörde wurde die Synagoge wiederhergestellt und genutzt. Die überwiegende Mehrheit der Displaced Persons lebte in der Wetzlarer Kaserne. Diese Siedlung funktionierte im Wesentlichen in Selbstorganisation. Eine eigene jüdische Polizei, die an Schulen der US-Armee in Stuttgart und Regensburg ausgebildet worden war, sorgte für Sicherheit. Es gab eine eigene Schule, einen Kindergarten, eine Bibliothek und Werkstätten, in denen Jugendliche eine Ausbildung erhielten. Auch eine eigene Talmud-Thora Schule war eingerichtet. Hier erlernten 80 Jungen die Grundlagen des Judentums. Verschiedene Sportvereine, darunter Makabi Wetzlar, sorgten für Ablenkung.

Die meisten Mitglieder der neuen Gemeinde hatten Wetzlar bis zum Frühjahr 1949 nach Übersee oder Palästina verlassen. Anfang der 1950er Jahre löste sich die Gemeinde auf, im Februar 1951 zählte sie noch acht Mitglieder.18

Von 2009 bis März 2016 wurden insgesamt 25 Stolpersteine in der Stadt verlegt.

Persönlichkeiten

Mitglieder der 1734 erstmals in Wetzlar genannten Familie Budge verzogen später nach Frankfurt. Während der Familienzweig in Wetzlar den Namen Wetzlar annahm, nannte sich der Frankfurter Zweig dort wieder Budge. Hier wurde am 20. November 1840 Heinrich Budge geboren. Er wanderte 1866 nach New York aus und gründete dort das Bankgeschäft Budge, Schiff & Co. 1903 kehrte er nach Deutschland zurück und lebte bis zu seinem Tode in Hamburg. Anlässlich des 100. Geburtstages seines Vaters Moritz vermachte er der Stadt Wetzlar eine Stiftung in Höhe von zunächst 10.000 Mark, die er wenig später auf 20.000 Mark erhöhte. Der überwiegende Teil des Stiftungsgeldes fand für den Wiederaufbau eines 1909 teilweise abgebrannten Kinderheimes Verwendung. Später wurde davon ein eigenes Heim angekauft, das Henry und Emma Budge-Kindererholungsheim in Albshausen. Wesentlicher Bestandteil der Stiftung war es, das Geld für die Hilfe von Christen und Juden zu verwenden und nicht für religiöse Zwecke.19

In Wetzlar gibt es noch heute die Moritz-Budge-Straße.

1798 ließ sich die Familie Erlanger in der Stadt nieder, wo 1806 ihr Sohn Raphael geboren wurde. Er heiratete 1829 in Offenbach und war zunächst Wechselmakler, später Bankier und gleichzeitig Königlich Portugiesischer Generalkonsul und Königlich Schwedischer Konsul in Frankfurt. Dort wurde er durch Ratsbeschluss der Stadt 1860 als portugiesischer Baron und 1871 als österreichischer Freiherr anerkannt.20 Er vermachte der Stadt 1866 eine Stiftung in Höhe von 6.000 Talern. Die Zinsen in Höhe von 240 Talern sollten jährlich zu Weihnachten jeweils zur Hälfte an das Armenkolleg in Wetzlar und den Vorstand der dortigen jüdischen Gemeinde gehen, die den Betrag wiederum an christliche und jüdische Arme verteilen sollte.

1859 wurde in Wetzlar Carl Flörsheim als Sohn von Moses Flörsheim geboren. 1886 übernahm er gemeinsam mit seinem Bruder das Bankhaus seines Vaters und bekleidete mehrfach öffentliche Ämter. So war er Stadtverordneter, Schiedsmann, Kreistagsabgeordneter und zeitweise Schatzmeister der Handelskammer.21 1909 verzog er nach Wiesbaden, wo er 1914 verstarb. Aus seinem Nachlass vermachte er der jüdischen Gemeinde 20.000 Mark für den projektierten Synagogenneubau. Durch Ausbruch des Ersten Weltkrieges konnte über das Geld nicht verfügt werden, da es in England angelegt war. Weitere, große Teile seiner Hinterlassenschaft widmete er den Armen aller Konfessionen seiner Heimatstadt. Die Stadt Wetzlar errichtete ihm aus Dankbarkeit einen Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof.22

Betsaal / Synagoge

Bereits seit 1295 gab es in Wetzlar eine Synagoge in der Nähe der Steingasse und der Lahnstraße (heute: Bereich Eselsberg). 1535 mietete die Gemeinde einen Stall an einem Haus am Kornmarkt, um dort einen Betraum einzurichten. Dieser muss aber bis 1598 anderweitig genutzt worden sein, denn bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts unterhielt die Gemeinde verschiedene angemietete Räume in unterschiedlichen Privathäusern23, darunter 1734 im Haus von Löwel, wenig später bei dem Rabbiner Simon Höchster.24 Mit dem Verkauf dessen Hauses begann die Suche nach einer geeigneten neuen Synagoge, die zunächst am anhaltendem Widerstand des Stadtrats scheiterte. Erst 1754 erwarb die Gemeinde das Heilmann´sche Haus in der damaligen Rahmengasse, der heutigen Pfannenstielgasse, und ließ einen Umbauplan anfertigen. Dieser erfuhr aber durch den Stadtrat Abänderungen. Die Größe des Betsaals wurde analog zu den zuvor angemieteten Räumen auf 24 mal 24 Schuh Größe und 12 bis 13 Schuh Höhe beschränkt und die Fenster sollten keine Wölbungen oder Bögen aufweisen.25 Die eigentlich geplante Höhe von 22 Fuß und das Muldendach waren dem Einbau einer Frauenempore geschuldet. Am 20. Oktober 1754 beurteilte das Reichskammergericht schließlich die Höhe und den Einbau des gewölbten Daches als rechtens. Der erste Gottesdienst fand 1756 statt.

Die Synagoge, ein ehemaliges Färbhaus, bestand aus Fachwerk und trug ein Schieferdach. Im vorderen Bereich befand sich die Verwaltung, dahinter in einer bestehenden Halle der eigentliche Synagogenraum mit 5,7 Metern Höhe.26 Über dem Eingang befand sich eine Inschrift in hebräischen Buchstaben, die vermutlich aus dem Zitat erstes Buch Moses: „Dies ist nichts anderes als das Haus Gottes“ bestand.

1856 beschrieb man die Synagoge: „Die jüdische Gemeinde besitzt eine eigene baulich ziemlich gut geschaffene, ca. 100 Personen fassende Synagoge mit Empore, welche 50 Frauen fasst. Das Schullokal ist in der Synagoge, andere Gebäude zu Kultzwecken sind nicht vorhanden.“27

In der Synagoge sollen sich viele wertvolle antike Inventar- und Kultgegenstände befunden haben. Besonders bekannt war ein Waschgefäß aus Bronze aus dem 15. Jahrhundert, das dem Jüdischen Museum Frankfurt als Leihgabe überlassen worden war. Auch ein Beschneidungsstuhl aus dem 17. oder 18. Jahrhundert und zwölf teilweise aus dem Mittelalter stammende Thorarollen befanden sich darunter und machten die Synagoge zu einer Art Museum des Oberhessischen Judentums.28 Eine der Thorarollen aus dem 14. Jahrhundert soll von Rabbi David ben Joseph ben David in Sevilla geschrieben worden sein.29

Anfang des 20. Jahrhunderts kamen Überlegungen auf, eine neue Synagoge zu bauen, weil die alte fast vollständig vom Besitz einer Brauerei umgeben war. Zudem war sie wohl auch sanierungsbedürftig und für die Zahl der Gemeindemitglieder zu klein. 1914 spendete der in Wiesbaden wohnende und aus Wetzlar stammende Carl Flörsheim 20.000 Mark für den Neubau.30 Noch im gleichen Jahr verkaufte die Gemeinde ihr Grundstück an die benachbarte Brauerei. Allerdings wurde vereinbart, den Kaufpreis erst spätestens zum 1. April 1920 zu entrichten und den Verkauf von der Genehmigung der Koblenzer Regierungsbehörden abhängig zu machen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte aber die Realisierung. Am 20. Mai 1919 bat die Gemeinde den Regierungspräsidenten, den Kaufvertrag nicht zu genehmigen, weil sie die Mittel für einen Neubau nicht aufbringen konnten. Ein Teil der gestifteten Gelder war in England angelegt. Trotz Protestes der Brauerei einigte man sich schließlich auf ein eingetragenes Vorkaufsrecht,31 von dem die Brauerei erst später Gebrauch machte.

Im Juli 1923 wurde in die Synagoge eingebrochen und einige Ritualgegenstände gestohlen, die 1925 bei einem Hamburger Altwarenhändler wieder auftauchten. Im Sommer 1929 beschädigten Vandalen ein Fenster, beschmierten das Gebäude mit Kot und malten ein Hakenkreuz auf die Wand.32

Nach Auflösung der Filialgemeinden des Synagogenbezirkes wurden deren Kultgegenstände in die Wetzlarer Synagoge verbracht.

In der Pogromnacht überfielen Mitglieder der SA die Synagoge und warfen die Einrichtung aus dem Fenster. Von einer Brandschatzung wurde aufgrund der dichten Nachbarbebauung abgesehen.

Die Synagoge enthielt 50 Sitzplätze mit Pulten für Männer, 23 Sitzplätze für Frauen, eine Garderobenvorrichtung mit 75 Einheiten, einen spätbarocken geschnitzten Thoraschrein mit Altaraufbau, ein spätbarockes geschnitztes Almemor mit Vorlesepult und Wickelbank, ein spätbarockes geschnitztes Vorbeterpult, ein spätbarockes geschnitztes Predigerpult, eine Gedenktafel aus Marmor von 1755/56 mit Gründungsinschrift, eine Gefallenen-Gedenktafel ebenfalls aus Marmor, einen Kronleuchter, 20 Seitenleuchter, zwei Leuchter am Thoraschrein, 20 Meter Läufer, vier Schränke für Kultgeräte, zwei Wanduhren, einen Ofen und einen etwa 200 bis 300 Jahre alten Beschneidungsstuhl. Das Gemeindearchiv enthielt jahrhundertealte, wohl geordnete Gemeindeakten, das Familienregister, die Trauung- und Beerdigungsregister, Schutz- und Geleitbriefe, in antikes Leder gebundene und mit Silber beschlagene Protokollbücher mit Schließen sowie Rabbinatsentscheidungen. Allein der Wert des auf Pergament geschriebenen und illustrierten Memorbuches aus dem 17. Jahrhundert wurde auf 25.000 DM geschätzt.33

Das Sitzungszimmer des Vorstandes diente gleichzeitig als Wochentagssynagoge und lag im Vorbau. Hier befand sich ein langer Eichentisch, zwölf Stühle, zwei Bücherschränke, Beleuchtungskörper, ein Thoraschrank sowie Decken und Beerdigungsausrüstung.

Zu den Kultgeräten gehörten zwölf antike Thorarollen, teilweise aus dem 16. Jahrhundert, zehn weitere Thorarollen, zwei schwere handgetriebene silberne Thorakronen aus dem 18. Jahrhundert mit reicher Filigranarbeit, zwei Paar Thoraaufsätze mit Schellen aus schwerem Silber aus dem 18. Jahrhundert ebenfalls handgetrieben mit reicher Filigranarbeit; vier Thoraschilder aus schwerem Silber, 18. Jahrhundert, handgetrieben mit reicher Filigranarbeit; vier weitere Thoraschilder, ebenfalls handgetrieben mit reicher Filigranarbeit; 15 silberne Lesefinger, einer davon mit Löwenfigur, teilweise 300 Jahre alt; fünf weitere silberne Lesefinger; 22 antike Lesefinger aus Horn, 60 antike Thoramäntel mit reicher Goldstickerei, weitere 60 bestickte Thoramäntel. 300 von Hand bemalte oder goldbestickte antike Wimpel galten als wichtige Quelle für die Genealogie der Wetzlarer Juden. Des Weiteren besaß die Gemeinde zehn Garnituren, bestehend aus je einem Thoraschreinvorhang und je einer Decke für Vorbeter- und Vorleserpult sowie Predigerkanzel, deren Alter bis ins Mittelalter zurückreichte; zehn weitere Garnituren, bestehend aus je einem Thoraschreinvorhang sowie je einer Decke für Vorbeter- und Vorleserpult und Predigerkanzel; eine Ewige Lampe aus Bronze, zwei siebenarmige Leuchter aus Messing, einen barocken, 250 Jahre alten Channukahleuchter aus Silber, einen über 1.000 Jahre alten Channukahleuchter aus Ton, einen Jahrzeitleuchter, zwei vergoldete Weinbecher aus Silber, zwei vergoldete Pokale aus Silber, eine Hawdallahgarnitur, einen goldbestickten Trauhimmel aus Plüsch, ein pergamentbeschriebenes illustriertes Megillah aus dem Mittelalter, ein pergamentbeschriebenes Megillah mit Mantel, zwei Schofarhörner, einen mit Silber beschlagenen Gebetsmantel, 50 weitere Gebetsmäntel, 40 Paar Gebetsriemen, 100 Gebetbücher, 50 Sätze Festgebetbücher, 60 Bände Pentateuch; 20 Sätze Talmud und Mishna-Ausgaben, eine Bibelausgabe des 15. Jahrhunderts, eine äußerst seltene Inkunabel, zwei Sätze Aufrufplatten aus Silber, ein spätromanisches Priesterwaschbecken mit Kanne aus Bronze, ein Priesterwaschbecken mit Kanne aus Silber, eine vergoldete Ethrogbüchse aus Silber, 10 Trauergebetbücher, 10 Trauerschemel, zwei Almosenbüchsen und eine antike Almosenbüchse. Allein der Wert der Kultgegenstände wurde auf 691.000 DM taxiert.34 Ihr Verbleib ist nicht abschließend geklärt. Möglicherweise waren schon zuvor Teile in die Börnestraße nach Frankfurt verbracht und dort in der Pogromnacht zerstört.

Am 21. Februar 1939 erwarb die Brauerei das Synagogengrundstück mit aufstehendem Gebäude für 2.500 Reichsmark von der jüdischen Gemeinde. Was mit dem deutlich unter dem Verkehrswert liegenden Kaufpreis geschah, ist abschließend nicht geklärt. Im Zuge der Restitutionsverfahren zahlte die Brauerei 1952 10.000 DM an das Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung.35

Während des Zweiten Weltkrieges diente das Gebäude als Lager für französische Kriegsgefangene. Im Sommer 1945 wurde es auf Veranlassung der amerikanischen Militärregierung für über 13.500 RM durch die Stadt renoviert und diente bis 1949 Überlebenden des Holocaust als Andachtsraum. Der erste Gottesdienst fand am 18. Mai 1945 statt. Für etwa zehn Jahre war sie anschließend Lagerraum der benachbarten Brauerei. 1958 riss man sie wegen Baufälligkeit ab. Heute befindet sich einige Meter westlich dort eine kleine Gedenkstätte.36

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

Seit 1874 gab es in Wetzlar eine Chewra Kadischa.37

1878 wurde der Israelitische Frauenverein gegründet, der sich der Kinder- und Erholungsfürsorge annahm.

1899 gab es auch einen Synagogenchor.38

Mikwe

Die Angaben in einem städtischen Zinsregister von etwa 1372, denen zufolge die Keller an der Judenschule zwei Mark Einnahmen erbrachten, werden als Hinweis auf eine frühe Mikwe interpretiert.39. Sie stand vermutlich in Zusammenhang mit der Synagoge am Eselsberg.

Nach Einrichtung der neuen Synagoge 1756 in der späteren Pfannenstielgasse befand sich die Mikwe in deren Keller. Mit Schreiben des Israelitischen Konsistoriums Bonn vom 24. November 1828 an den Gemeindevorstand Jacob Budge in Wetzlar wurde dieser darüber informiert, dass das Bad „eines der vorzüglichsten Gesetze der israelitischen Religion“40 sei, man aber neuerdings aus gesundheitlichen Gründen das kalte Bad als schädlich betrachte. Daher riet das Konsistorium den Gemeinden, heizbare Bäder einzurichten, was wohl auch in Wetzlar geschah.

Die Reste der Mikwe wurden 1958 im Zuge des Gebäude Abriss und Neubau vollständig zerstört.41

Schule

Zunächst besuchten die Kinder die Schule in der Synagoge respektive den Beträumen und erhielten vereinzelt Unterricht von Privatlehrern. Nach Einführung der allgemeinen Schulpflicht 1825 besuchten sie in aller Regel die örtlichen Schulen und erhielten Religions- und Hebräischunterricht in der Synagoge.

Cemetery

Die Lage des Friedhofs der frühen jüdischen Gemeinde Wetzlar ist nicht abschließend geklärt. Seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und im gesamten 16. Jahrhundert wurden die Verstorbenen in Frankfurt bestattet.42 Der Friedhof im Zwinger wird bereits kurz nach 1626 angelegt worden sein, aber erst Ende des 17. Jahrhunderts nachgewiesen. Hier haben sich 56 Grabsteine erhalten. Die letzte Bestattung fand hier im Jahre 1900 statt.43 Während der Friedhof in der Pogromnacht nur mäßig beschädigt wurde, entstand 1943 auf einem Teil der Fläche ein privater Luftschutz-Splitterbunker. Dieser wurde 1989 abgerissen und der Friedhof wieder hergestellt.

Nachdem der Friedhof zu klein geworden war, erwarb die Gemeinde 1879 außerhalb der Mauern um die Altstadt zwei Grundstücke, legte sie zum neuen Friedhof zusammen und errichtete eine einfassende Bruchsteinmauer. Wenig später entstand auch die Totenhalle im Eingangsbereich. Die erste Beisetzung fand hier im November 1881 statt. In der Pogromnacht wurden die schmiedeeisernen Davidsterne des Eingangsportal entfernt und der dort eingebrachte Spruch aus Jesaias, Kapitel 26, Vers 19 abgeschlagen. Bis 1940 sind 138 Beisetzungen zu verzeichnen. Gegen Ende des Krieges erlitt der Friedhof Schäden durch Bombenangriffe. In der Folgezeit wurden Grabsteine zum Auffüllen eines Bombentrichters in der Hauptstraße verwendet. In der Zeit zwischen Frühjahr 1945 und März 1949, wurden weitere 55 Personen bestattet.

Seit 1989 steht hier ein Gedenkstein für die ehemaligen jüdischen Bürger aus Wetzlar.

Wetzlar, Neuer Jüdischer Friedhof (Bergstraße): Datensatz anzeigen
Wetzlar, Alter Jüdischer Friedhof (Steighausplatz): Datensatz anzeigen

Grabstätten

Wetzlar, Alter Jüdischer Friedhof (Steighausplatz): Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Nassau, Grafen von · Runkel, Herren von · Wenzel, König · Murschit · Calmann · Sampson · Wolf, Witwe · Bacharach, Witwe · Simon Liebmann · Marx Joseph · Löw Amschel · Simon Joseph · Leiser Heyem · Aron Löw · Gussil Simon · Löw Bamberger · Heyum Höchster · Jacob Buttge · Meyer Gerson · Dalberg, Reichsfreiherr Karl von und zu · Hamburger, Familie · Bamberger, Familie · Erlanger, Familie · Höchster, Familie · Landauer, Familie · Wetzlar, Familie · Schlesinger, Familie · Flörsheim, Familie · Fackenstein, Familie · Windecker, Familie · Stadecker, Familie · Stern, Familie · Löb, Familie · Stiefel, Familie · Heldenmuth, Salomon · Budge, Familie · Budge, Heinrich · Budge, Moritz · Erlanger, Raphael · Flörsheim, Carl · Flörsheim, Moses · David ben Joseph ben David, Rabbiner · Budge, Jacob

Places

Frankfurt am Main · Friedberg · Gelnhausen · Speyer · Koblenz · Köln · Frankreich · Atzbach · Vetzberg · Hörnsheim · Hochelheim · Obersolms · Kröffelbach · Bonbaden · Braunfels · Burgsolms · Oberndorf · Niederbiel · Tiefenbach · Biskirchen · Daubhausen · Edingen · Greifenstein · Aßlar · Werdorf · Kölschhausen · Ehringshausen · Katzenfurt · Hohensolms · Erda · Altenkirchen · Stuttgart · Regensburg · Palästina · New York · Hamburg · Albshausen · Offenbach am Main · Sevilla · Wiesbaden

Sachbegriffe Geschichte

Rheinischer Städtebund · Reichskammergericht · Frankfurt, Großherzogtum · Preußen · Hessen-Nassau · Pogrome · Schutzbriefe · Beisassen · Betteljuden · Leibzölle · Judenstättigkeit · Code Civil · Wetzlar, Warenhaus Frankfurt · NSDAP · SPD · Buchenwald, Konzentrationslager · Zweiter Weltkrieg · Displaced Persons · Holocaust · Makabi Wetzlar · Bankhaus Budge, Schiff & Co. · Henry und Emma Budge-Stiftung · Henry und Emma Budge-Kindererholungsheim · Erster Weltkrieg · Frankfurt, Jüdisches Museum · Wochentagssynagogen · Militärregierung · Wetzlar, Chewra Kadischa · Wetzlar, Israelitischer Frauenverein

Sachbegriffe Ausstattung

Waschgefäße · Beschneidungsstühle · Thorarollen · Garderoben · Thoraschreine · Altaraufbauten · Almemore · Vorlesepulte · Wickelbänke · Vorbeterpulte · Predigerpulte · Gedenktafeln · Kronleuchter · Seitenleuchter · Leuchter · Läufer · Schränke · Wanduhren · Öfen · Memorbücher · Thorakronen · Thoraaufsätze · Schellen · Thoraschilde · Lesefinger · Thoramäntel · Wimpel · Thoravorhänge · Decken · Ewige Lampen · Chanukkaleuchter · Jahrzeitleuchter · Weinbecher · Pokale · Hawdalah-Garnituren · Trauhimmel · Megillot · Schofarot · Gebetmäntel · Gebetriemen · Gebetbücher · Festgebetbücher · Trauergebetbücher · Pentateuch · Aufrufplatten · Priesterwaschbecken · Kannen · Etrogbüchsen · Trauerschemel · Almosenbüchsen

Sachbegriffe Architektur

Muldendächer · Frauenemporen · Fachwerk · Schieferdächer · Inschriften

Fußnoten
  1. Arnsberg, Jüdische Gemeinden, S. 366
  2. Watz, Jüdische Gemeinde Wetzlar, S. 15
  3. Meinl, Fahrkarte nach Palästina, S. 3
  4. Watz, Jüdische Gemeinde Wetzlar, S. 46
  5. Watz, Jüdische Gemeinde Wetzlar, S. 301
  6. Watz, Jüdische Gemeinde Wetzlar, S. 190
  7. Watz, Jüdische Gemeinde Wetzlar, S. 171
  8. Watz, Jüdische Gemeinde Wetzlar, S. 222
  9. Watz, Jüdische Gemeinde Wetzlar, S. 251
  10. Porezag, Wetzlar liebenswerte Stadt, S. 283
  11. Meinl, Fahrkarte nach Palästina, S. 3
  12. Meinl, Fahrkarte nach Palästina, S. 20
  13. Meinl, Fahrkarte nach Palästina, S. 63
  14. Meinl, Fahrkarte nach Palästina, S. 69
  15. Porezag, Steine, S. 60
  16. HHStAW 663, 310
  17. Kingreen, Die gewaltsame Verschleppung, S. 190
  18. www.hagalil.com/2014/01/wetzlar/
  19. Arnsberg, Jüdische Gemeinden, S. 373
  20. Ebertz, Jüdische Familien, S. 41
  21. Ebertz, Jüdische Familien, S. 50
  22. Arnsberg, Jüdische Gemeinden, S. 375
  23. Watz, Jüdische Gemeinde Wetzlar, S. 134
  24. Porezag, Steine reden, S. 27
  25. Watz, Jüdische Gemeinde Wetzlar, S. 285
  26. Porezag, Wetzlar liebenswerte Stadt, S. 283
  27. Zitiert nach Porezag, Wetzlar liebenswerte Stadt, S. 283 f.
  28. HHStAW 518, 1168
  29. Arnsberg, Jüdische Gemeinden, S. 369
  30. Porezag, Steine reden, S. 52
  31. Porezag, Steine reden, S. 56
  32. Meinl, Fahrkarte nach Palästina, S. 8
  33. HHStAW 518, 1168
  34. HHStAW 518, 1168
  35. HHStAW 518, 1168
  36. Porezag, Wetzlar liebenswerte Stadt, S. 285
  37. Porezag, Steine reden, S. 41
  38. Meinl, Fahrkarte nach Palästina, S.11
  39. Watz, Jüdische Gemeinde Wetzlar, S. 38
  40. HHStAW 423, 85
  41. Porezag, Steine reden, S. 91
  42. Watz, Jüdische Gemeinde Wetzlar, S. 52
  43. Porezag, Wetzlar liebenswerte Stadt, S. 314
Recommended Citation
„Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/497> (Stand: 29.11.2022)