Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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5018 Wetter
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Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 49. Wetter

Wetter Karten-Symbol

Gemeinde Wetter (Hessen), Landkreis Marburg-Biedenkopf — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1324

Location

35083 Wetter, An der Stadtmauer 29 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Die in einer Abschrift aus dem 12. Jahrhundert erwähnte, schon 850 belegte Siedlung des heutigen Wetter hatte vermutlich einen befestigten Königshof des 9. Jahrhunderts zum Ursprung. Die wahrscheinlich königliche Gründung eines Kanonissenstifts um 1015 auf dem heutigen Stiftgelände legte den Grundstein zu Stabilisierung und Ausbau des Ortes, der später Markt- und Stadtrecht erhielt. 1238 gehörte Wetter zur Zent der Battenberger Grafen, die zunächst Erbfolger der Gisonen waren, bevor die hessischen Landgrafen Eigentümer wurden. Gemeinsam mit dem Stift Mainz teilte sich ab 1238 der Landgraf die Zent in Wetter, das vermutlich seit 1239 Stadtrecht besaß. Seit 1464 lag die Ortsherrschaft allein bei der Landgrafschaft. Um 1387 war Wetter, Herrschafts- und Gerichtsort, auch Sitz der Amtsverwaltung. Zwischen 1867 und 1948 bestand im Ort ein Amtsgerichtssitz. Seit 1821 gehört Wetter zum Landkreis Marburg.

Durch den historischen Ortskern Wetter verlief der wichtige Nord-Süd-Fernhandelsweg zwischen Paderborn, Bremen, Lübeck und Frankfurt/M., die „Weinstraße“. Daher war die Sozialstruktur der Ortsbürger neben der Landwirtschaft, Weberei und Färber geprägt von zahlreichen durch die Handelsstraßenlage begünstigten Berufen (Handwerker, Gastwirte, Branntweinbrenner).

In das Jahr 1324 datieren die ersten schriftlichen Nachweise über Juden in Wetter im Zusammenhang mit steuerlichen Abgaben. Darüber hinaus liegen für die folgenden Jahrhunderte Belege über in Wetter lebende Juden aus jeweils etwa zwei bis vier Familien vor. Zum Teil ist Grundbesitz belegt. Die Jüdin Isentrud besaß 1444 eine Scheune, der Jude Simon 1484 einen Garten und der Jude Wigand im 16. Jahrhundert einen Acker.1 1858 lebten 31, 1861 24 und 1905 66 Juden in Wetter. Die Zahl der jüdischen Bevölkerung Wetters stieg bis 1925 auf 81 (5,4 Prozent an der Gesamtbevölkerung).2

Vor der Gründung einer eigenen Synagogengemeinde um 1880 bildeten die Wetteraner Juden gemeinsam mit denen im etwa vier Kilometer südöstlich gelegenen Goßfelden, denen aus dem ca. sechs Kilometer südwestlich gelegenen Sterzhausen sowie den Juden aus dem etwa 12 Kilometer südwestlich entfernten Caldern eine Synagogengemeinde mit Sitz und Betraum in Goßfelden (bis 1909 in Benutzung). 1863 war ihr Vorsitzender Josef Isenberg aus Caldern.3 Schon seit den 1860er Jahren gab es Trennungsbestrebungen zwischen den einzelnen Gemeindeteilen, die u.a. zunächst auf die geringe Größe des Betraums zurückgeführt wurden. Erst 20 Jahre später konnte die gewünschte Trennung vollzogen werden. 1896 war Levi Bachenheimer Vorsitzender der Gemeinde. 1905 hatte dieses Amt Liebmann Katz inne. Den Gemeindevorsitz hatte 1925 bis 1935 Hermann Strauß inne, der auch gleichzeitig der Gemeindeschochet war.4 Die Gemeinde wurde zwangsweise 1938 bzw. 1942 aufgelöst. Um 1935 besaß sie drei Thorarollen.

Schon für das Jahr 1627 ist die Tätigkeit des jüdischen Metzgers Hirz belegt. 1683 wohnt der jüdische Schulmeister Jacob von Friedberg im Haus des Juden Löw. Die Juden in Wetter lebten vom Handel mit Vieh, Kolonialwaren, Textilien und Branntwein. Daneben gab es jüdische Schuster, Lumpensammler, Schneider und Handwerker. Die Sozialstruktur der jüdischen Bevölkerung lag in der Mehrheit im unteren Einkommensbereich.

Die 83 um 1933 noch in Wetter lebenden Juden gerieten mit der Machtübergabe an Hitler zunehmend unter gesellschaftlichen und politischen Druck. Die frühe Auswanderung von Julius und Alfred Stern in die USA im Jahr 1934 markiert den Beginn des Erkennens um die Notwendigkeit einer Flucht. Bis 1939 waren 57 jüdische Wetteraner ins Exil in die USA oder nach Palästina ausgewandert oder in größere Städte weggezogen. Alle 26 in Wetter verbliebenen wurden 1941 und 1942 deportiert und in Ghettos und Konzentrationslagern ermordet.

Betsaal / Synagoge

Seit den 1880er Jahren hielten die Wetteraner Juden ihren Gottesdienst in einem Raum im Privathaus des Gemeindemitglieds Levi Hess, „Wasserloch“, ab; heute ist dies das Grundstück „An der Stadtmauer 19“. Dieses Haus befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Baugrundstück der später einige Meter weiter entfernt errichteten Synagoge. Levi Hess stellte es der jüdischen Gemeinde als Bauplatz zur Verfügung.5

Die ehemalige Synagoge, die in der Straße „An der Stadtmauer 29“, ehemals „Im Wasserloch 45“, steht, ist über einem fast quadratischen Grundriss von ca. 8 x 10 Metern errichtet. Der einzige Zugang liegt auf der Nordwestseite.6

Die Synagoge in Wetter wurde am 9. September 1897 durch den Provinzialrabbiner Leo Munk aus Marburg feierlich eingeweiht.

Das Gebäude lag zur Erbauungszeit, ähnlich wie heute, etwas abseits des Ortskerns, rund 150 Meter westlich vom Ortsmittelpunkt mit Markt und Kirche. Nur einige Meter entfernt verlief früher die Stadtmauer. Die besondere Erscheinungsform des kubischen Baukörpers, das auffallende Oktogon im Zentrum des Zeltdaches sowie die mit rund acht Metern im Vergleich zur Nachbarbebauung ungewöhnliche Traufhöhe der Synagoge dokumentiert den Gestaltungswillen der jüdischen Gemeinde Wetter, die nach jahrelangen Verhandlungen 1897 endlich die Genehmigung zur Errichtung eines eigenen Gotteshauses erhalten hatte. Abgesehen davon passte sich die Fachwerkarchitektur des Gebäudes harmonisch in die es umgebende fachwerkdominierte kleinbäuerliche Wohnumgebung ein. Die Ortslage ist nach wie vor geprägt von schmalen Gassen mit kleinflächigen Wohn- und Nutzgartenparzellen.

Die ehemalige Synagoge ist ein zweigeschossiges Fachwerkgebäude mit roter Ziegelsteinausfachung. Bauzeitliche Originalsubstanz ist heute nur noch an der hölzernen Struktur der Fachwerkwände und dem niedrigen, zur Straße im Westen hin auf etwa einen Meter ansteigenden Sandsteinquadersockel abzulesen. Die Verzimmerung in Rähmbauweise mit Andreaskreuzstreben an markanten Bereichen spiegelt den Zeitgeschmack um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Entgegen der bei vergleichbaren Synagogenbauten angestrebten West-Ost-Ausrichtung, bei der die Wand, vor der der Thoraschrein steht, nach Osten weist, steht die Wetteraner Synagoge in NW-SO-Richtung, also leicht gedreht zur West-Ost-Achse. Dies war möglicherweise durch den Zuschnitt des Baugrundstücks nicht anders zu lösen.7

Das heutige Erscheinungsbild des restaurierten ehemaligen Synagogengebäudes ähnelt dem ursprünglichen Bau.8 Die Synagoge könnte zur Errichtungszeit wie folgt ausgesehen haben:

Das äußere Erscheinungsbild des Fachwerkbaus zeigt einen symmetrisch angelegten Aufbau der sich jeweils gegenüberliegenden Traufseiten. Die Gefache sind mit rotem Ziegelstein ausgemauert. Die Südost- und Südwestwand sind voll verschiefert.

Während im Nordwesten das um vier Stufen erhöht liegende zweiflüglige Eingangsportal die Mittelachse betont, besitzt die Südostseite eine geschlossene Wand im Untergeschoss. Im Obergeschoss sind in die Fassadenwände in beiden vierten Gefachen von außen je zwei Segmentbogensprossenfenster eingebaut. Auf der Eingangsseite flankieren sie eine in einer Achse mit der Eingangstür eingesetzte Fensterrose; mit farbigem Glas gestaltet und das Auge Gottes symbolisierend.9 Die Mittelachse mit Haupteingang und Rundfenster exponiert die Hauptfassade optisch. Im Südosten deuten die Fenster indirekt auf den innen liegenden Standort des aufwendig gearbeiteten Aron Hakodesch zwischen ihnen. Er steht erhöht auf einem Podest in der Mittelachse vor der Südostwand.

Drei Fensterachsen im Südwesten und Nordosten gliedern die Wände in beiden Geschossen in der Vertikalen. So ergeben sich insgesamt je sechs Fenster im Südwesten und Nordosten.10 Die zweiflügeligen segmentbogigen Sprossenfenster besitzen ein Oberlicht mit Fächergliederung und sind mit grün getöntem Glas geschlossen.11 Die Brüstungsfelder und die zwischen den Fenstern liegenden Gefache sind mit Andreaskreuzstreben optisch hervorgehoben.

Ein mit ca. zwei Metern Höhe flach ansteigendes, schiefergedecktes Zeltdach, wird von einem vier Meter hohen, oktogonalen Dachreiter mit abgesetztem, spitz zulaufendem Zeltdach optisch betont. Dies und ein bekrönender Davidstern hebt die Synagoge von der Nachbarbebauung ab.

Im Inneren führt im Erdgeschoss auf der Nordwestseite die halbgewendelte einläufige Holztreppe ins Obergeschoss zur Frauenempore. Im Südwesten befindet sich ein etwa 10 Quadratmeter kleiner Raum, in dem der Lehrer wohnt. Durch eine Fachwerkwand bzw. einen Windfang vom Eingangsbereich abgetrennt, folgt nach Osten der ca. 6,50 Meter hohe Betsaal. Mit rund 50 Quadratmetern nimmt er mehr als zwei Drittel der Grundfläche ein. Der historische Thoraschrein, in dem drei Thorarollen aufbewahrt werden, steht vor der Südostwand, zwischen den Fenstern. Davor ist ein oktogonales Vorlesepult platziert, das die Form des Dachreiters aufnimmt. Die Bänke mit Ablagepulten für Männer sind nach Südosten ausgerichtet.

Im Obergeschoss liegt im Nordwesten oberhalb der Lehrerwohnung der Schulraum, den Rest des Geschosses nimmt die dreiseitig umlaufende Frauenempore ein. Die Empore wird jeweils im Unter- und Obergeschoss durch vier gefaste, mit Basis und Kapitelzone versehene Holzstützen getragen, von segmentbogigen Querbalken auf Abstand gehalten. Im Obergeschoss dienen sie zudem als Unterzüge zur Unterstützung der Flachdecke.

Die während der bauhistorischen Untersuchung gewonnenen Farbbefunde an Decke und Wänden belegen eine umfangreiche, in farbiger Ornamentierung angelegte Ausschmückung des Innenraumes. Die ansonsten in hellem Ocker getünchte Flachdecke besaß einen in Schablonenmalerei aufgebrachten, im Rotton gehaltenen und an den Ecken mit Rankenmotiven bemalten Spiegel.

1918 erhielt die Synagoge elektrische Beleuchtung. Hierfür gewährte die politische Gemeinde einen Zuschuss von 150 Reichsmark.12

Während der Pogromnacht am 10.11.1938 wurden alle Fenster zerschlagen, der Innenraum zerstört und das komplette Mobiliar demoliert. Die Thorarollen wurden zerrissen und auf die Straße geworfen, der Dachreiter vom Dach geholt und zerstört.

1939 wurde die Synagoge an eine Privatperson, die in der Nachbarschaft wohnte, verkauft. 1945 wurde die Synagoge Opfer eines Bombenangriffs. Es entstand Schaden an Dach und Wänden. Nachdem Fred Buchheim 1947 wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt war, beantragte er erfolgreich die Rückübertragung des Gebäudes. 1954 bot Buchheim das zerfallene Gebäude der politischen Gemeinde zum Kauf. Die Gemeinde Wetter veräußerte es 1955 an eine in der Nachbarschaft wohnende Familie, die es als Scheune nutzte. 1985 wurde das Dach auf Gemeindekosten neu gedeckt. 1990 erhielt der Dachreiter einen Wetterhahn. Um 1993 gelangte die ehemalige Synagoge in den Besitz der politischen Gemeinde. Im Dezember 2004 wurde ein Träger- und Förderverein für die Synagoge Wetter gegründet. Auf dessen Initiative geht u.a. die Durchführung unterschiedlichster kultureller Veranstaltungen zurück. Am 14.6.2006 wurde für die gelungene Restaurierung der ehemaligen Synagoge der 21. Hessische Denkmalschutzpreis verliehen. Heute stellt sich die ehemalige Synagoge komplett saniert dar.

Eine bronzene Gedenktafel, die an die jüdischen Opfer des nationalsozialistischen Terrors erinnert, ist am Rathaus angebracht.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Das Vorhandensein eines rituellen Tauchbades in Wetter ist nicht bekannt. Einer der ersten Entwurfspläne zur Synagoge sah die Einrichtung einer Mikwe vor. Dieser Plan wurde allerdings nicht umgesetzt. Nach mündlicher Überlieferung soll es in dem Privathaus von Eliser Baum, Mönchtor 13, ehem. 199, eine Kellermikwe gegeben haben.13

Schule

Es gab einen kleinen Raum für den Religionsunterricht in der Synagoge. Um 1905 war Lehrer Popper von der Kultusgemeinde angestellt. Bis um 1915 wurden die jüdischen Kinder von dem Religionslehrer Abraham Gans, der sich 1915 das Leben nahm, unterrichtet. Er wohnte in der Synagoge. Nach 1915 wurden neun Kinder von Marburg aus mit entsprechenden Lehrern versorgt.

Cemetery

Der umzäunte jüdische Friedhof von Wetter ist 2.080 Quadratmeter groß und liegt „Am Wollenberg“, Flur 15, Flurstücksnummer 98/1. Etwa drei Kilometer südwestlich außerhalb Wetters angelegt, heute in einem Waldgebiet gelegen, diente er spätestens um Mitte des 18. Jahrhunderts als Sammelfriedhof für die verstorbenen Juden der näheren Umgebung. Ein Katasterplan von 1752 belegt die Begräbnisstätte für die Juden aus Caldern, Goßfelden, Sterzhausen und Wetter.14 1940 wurde er auf Verordnung des Regierungspräsidiums geschlossen. 1989 wurde die Totenruhe massiv gestört. 22 Grabsteine wurden umgeworfen, etliche andere beschädigt und mit Runen beschmiert.

Wetter, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Boerma, Jüdische Bewohner, S. 171-220
  2. Arnsberg, Jüdischen Gemeinden 2, S. 363 f.; Ortsartikel Wetter auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  3. Boerma, 100 Jahre Synagoge in Wetter, S. 19-27
  4. Ortsartikel Wetter auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  5. Da sehr wenige bauzeitliche Archivalien (z. B. Baupläne) überliefert sind, kann eine Beschreibung des Gebäudes überwiegend nur anhand einer 1992/93 durchgeführten bauhistorischen Untersuchung erfolgen.
  6. Zu bauhistorischen Details vgl: Gerschlauer/Klein, S. 128-138
  7. Die ursprüngliche Planung von 1896/97 sah einen in die West-Ost-Achse um etwa 90° gedrehten Bau vor. Vgl. Boerma, 100 Jahre Synagoge in Wetter, S. 20
  8. Die Restaurierung wurde um 1997 nach Plänen der 1992/93 durchgeführten bauhistorischen Untersuchung, historischen Fotos und Zeitzeugenangaben begonnen. Zuständig für die Sanierungsplanung und Bauüberwachung war das Architekturbüro Schneider-Lange, Marburg.
  9. Boerma, 100 Jahre Synagoge in Wetter, S. 21
  10. Dabei ist es möglich, dass es im Nordosten Blendfenster gab. Wegen enger Bebauung waren die Durchgänge im Nordosten und Südwesten sehr schmal, so dass hier ohnehin wenig Lichteinfall zu erwarten war. Möglicherweise sparte sich die Gemeinde hier das ein oder andere Fenster und schmückte die Fassade mithilfe eines Blendfensters.
  11. Boerma, 100 Jahre Synagoge in Wetter, S. 21
  12. Boerma, 100 Jahre Synagoge in Wetter, S. 22
  13. Boerma, 100 Jahre Synagoge in Wetter, S. 22
  14. Boerma, Jüdische Bewohner, S. 177
Recommended Citation
„Wetter (Landkreis Marburg-Biedenkopf)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/175> (Stand: 18.10.2023)