Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Weiskirchen Karten-Symbol

Gemeinde Rodgau, Landkreis Offenbach — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

um 1766

Location

63110 Rodgau, Stadtteil Weiskirchen, Hauptstraße 57 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Bezirksrabbinat Offenbach

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

1287 wurde Weiskirchen erstmals urkundlich erwähnt. Landesherren waren die späteren Herren von Eppstein, die den Ort 1524 an den Erzbischof von Mainz verkauften. 1803 kam er an die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Seit 1852 gehört Weiskirchen zum Kreis Offenbach und bildet seit dem 1. Januar 1977 gemeinsam mit fünf weiteren Orten die Gemeinde Rodgau.

Die Herren von Eppstein hatten 1335 das kaiserliche Privileg erhalten, in Steinheim Juden ansiedeln zu dürfen. Ob sich seinerzeit auch in Weiskirchen, das zu diesem Amt gehörte, Juden niederließen, ist nicht bekannt. Erst aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg gibt es Hinweise auf jüdische Einwohner, die zum Unterhalt des Pfarrers beitragen mussten. Um 1766 erhielt ein in Weiskirchen wohnender Jude Geld für geliefertes Wachs. Hierbei wird es sich mit großer Wahrscheinlich um den erst 1793 erstmals namentlich bekannt gewordenen Gideon gehandelt haben. Er bat in diesem Jahr darum, in seinem Haus „statt Synagoge eine sogenannte Schul zu Haltung des Gottesdienstes“1 einrichten zu können. Seit 28 Jahren, so schreibe er weiter, besuchten er und seine Familie den Gottesdienst in Nieder-Roden, nun war die Zahl der im Ort und der Umgebung wohnenden Juden so weit angestiegen, dass regelmäßig die notwendigen zehn männlichen Personen zusammen kommen könnten. Trotz des Protestes aus Nieder-Roden, dessen Gemeinde bei einem Austritt der genannten Mitglieder den Minjan nicht mehr einhalten konnte, wurde diesem Gesuch nicht zuletzt nach Befürwortung durch den Pfarrer Johann Joseph Müller stattgegeben. Dieses Jahr dürfte mit der Gründung einer eigenen Gemeinde in Weiskirchen und der Einrichtung eines Betsaals gleich gesetzt werden. Zu der Gemeinde gehörten auch die in Dudenhofen, Hainhausen und Jügesheim lebenden Juden.

1821 lebten in Weiskirchen die Familien der Schutzjuden Kalmann Schönberg, Marodäus Meyer, Abraham Schönberg und Aron Schönberg.2 Nach Einführung der Hessischen Verfassung und Abschaffung des Schutzjudenstandes zogen weitere Familien zu. So lebten um 1830 16 Juden in Weißkirchen. Die Zahl jüdischer Einwohner erreichte mit 51 im Jahre 1871 ihren höchsten Stand, was etwa 7 Prozent der Gesamteinwohnerschaft ausmachte. In den folgenden Dekaden sank die Zahl wieder und pendelte sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bei 30 bis 36 ein. Um 1930 lag sie einschließlich der Filialorte bei etwa 40.3

Die überwiegende Mehrzahl der Familien erwirtschaftete ihr Einkommen aus dem Einzelhandel. Daneben gab es zwei jüdische Metzger, einen Sattler und den Gastwirt des Darmstädter Hofes, Karl Meyer. Viele von ihnen brachten sich auch aktiv in das Leben der bürgerlichen Gemeinde ein. So war Karl Meyer zeitweise Mitglied des Gemeinderates, 1911 wurde auf Vorschlag von Pfarrer Eich Dr. Wolf in das Ehrenkomitee gewählt, das bei der Grundsteinlegung der neuen katholischen Kirche gebildet worden war. Der Darmstädter Hof diente mehreren Vereinen als Sitz und Treffpunkt. Am Ende des Ersten Weltkrieges hatte die Gemeinde zwei Gefallene zu beklagen: Samuel und Gustav Meyer.

Um 1933 lebten elf jüdische Familien mit 37 Personen im Ort. Vier Familien besaßen ein Manufakturwarengeschäft, eine weitere betrieb eine Gastwirtschaft, zwei Familien führten eine Rindermetzgerei, eine eine Sattlerei, die übrigen waren als Kaufleute tätig.4

Schon kurz nach der Machtübergabe registrierten Mitglieder der SA, wer das Gasthaus besuchte. Nachdem der Wirt, Karl Mayer, erkrankt und am 25. Juni 1933 verstorben war, wurde die Teilnahme an seiner Beerdigung in Heusenstamm verboten. Im Zuge des Novemberpogroms wurde das Haushaltswarengeschäft von Seligmann Meyer geplündert und die Einrichtung zerstört. 1938/39 löste sich nach der Emigration vieler Mitglieder die Gemeinde auf. Die letzten verbliebenen Juden wurden im Herbst 1942 deportiert, acht von ihnen im Holocaust ermordet.

Seit 2011 werden in Weiskirchen Stolpersteine verlegt.

Betsaal / Synagoge

Nur wenige Dekaden nach der ersten Nennung von Gideon als Schutzjuden in Weiskirchen, bat dieser 1793 um die Erlaubnis, in seinem Privathaus einen Betraum einrichten zu dürfen. Auch wegen der unterstützenden Befürwortung durch den Pfarrer Johann Joseph Müller wurde diesem Gesuch stattgegeben.

Nach dem Anwachsen der Zahl der Gemeindemitglieder im Laufe des 19. Jahrhunderts war eine größere Synagoge notwendig geworden. Deswegen ließ die Gemeinde das Haus mit dem Betsaal entsprechend umbauen und dem straßenseitigen Giebel eine Backsteinwand vorblenden. Am 29. Juli 1882 fand die feierliche Einweihung statt.

Es handelte sich um ein kleines eingeschossiges Fachwerkhaus, das vollständig verputzt war. Dem der Straße abgewandten Ostgiebel springt der Thoraschrein vor, eine bei Fachwerksynagogen seltene Konstruktion. Er wird von zwei runden und zwei rechteckigen Fenstern flankiert. Der Zugang erfolgte über einen kleinen Vorhof vor der Südseite. Auf den Ecken des straßenseitigen Schildgiebels ruhten zwei Steinkugeln, zwischen denen sich ein mächtiger Rundbogen erhob, der auch das Satteldach des Gebäudes überragte. Ecklisenen betonten die Gebäudekanten. Drei hochrechteckige Rundbogenfenster bestimmten die Fassade.5 Da das Gebäude für eine Empore zu flach war, bestand das Frauenabteil aus einem erhöht gelegenen Bereich im Erdgeschoss.6

1911 fanden umfangreiche Sanierungsarbeiten statt, ohne dass bislang bekannt wurde, was genau dabei erneuert wurde.

Nach Auflösung der Gemeinde wurden die Kultgegenstände in die Synagoge nach Offenbach verbracht, wo sie in der Pogromnacht zerstört wurden.

Die Synagoge in Weiskirchen blieb dagegen verschont, weil sie bereits am 24. Oktober 1938 von Emanuel Fuld und Michael Mayer an Alois Adam Wolf verkauft worden war. Zu den nach Offenbach verbrachten Gegenständen zählten einer späteren Zeugenaussage zufolge vier Thorarollen, zwei Paar Thoraaufsätze mit Schellen aus Silber, drei Lesefinger aus Silber, acht Thoramäntel, zwei Thoraschreinvorhänge, drei Decken für das kombinierte Vorbeter- und Vorlesepult, ein silberner Weinbecher, ein auf Pergament geschriebenes Magillah mit Mantel, ein Schofarhorn, ein Gebetbuch, ein Band Pentateuch. Der Gesamtwert wurde 1960 auf zusammen 27.965 Mark geschätzt.7

Nach 1945 wurde die Synagoge zu einem Wohnhaus umgebaut. Als solches diente es bis Ende der 1990er Jahre. 2000 erwarb es die Stadt Rodgau, die es umfassend sanieren ließ. Die Einweihung als Gedenkstätte fand am 25. Mai 2004 statt. Noch im gleichen Jahr schlossen die Stadt und der Heimat- und Geschichtsverein Weiskirchen einen Nutzungsvertrag. Im März 2005 konnte die ständige Ausstellung zur Geschichte der Juden in Weiskirchen eröffnet werden.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Über eine Mikwe ist nichts bekannt geworden.

Schule

In der Synagoge wird zunächst auch Religionsunterricht gegeben worden sein, mit Genehmigung des Dekans besuchten die jüdischen Kinder spätestens seit 1851 die katholische Pfarrschule.

Cemetery

Die Verstorbenen aus Weißkirchen wurden auf dem Friedhof in Heusenstamm bestattet.

Heusenstamm, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Heusenstamm, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. zitiert nach Trageser, 700 Jahre Weiskirchen, S. 168
  2. Trageser, 700 Jahre Weiskirchen, S. 170
  3. Alickes, Lexikon der jüdischen Gemeinden, Sp. 4354
  4. HHStAW 518, 1362
  5. Altaras, Synagogen, S. 365
  6. Altaras, Synagogen, S. 76
  7. HHStAW 518, 1362
Recommended Citation
„Weiskirchen (Landkreis Offenbach)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/126> (Stand: 23.7.2022)