Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Wehrheim Karten-Symbol

Gemeinde Wehrheim, Hochtaunuskreis — Von Carina Schmidt
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1662

Location

61273 Wehrheim, Zum Stadttor 11 | → Lage anzeigen

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Erstmals genannt wird Wehrheim 1046 in einer Schenkungsurkunde Kaiser Heinrichs III. zugunsten seiner Gemahlin Agnes, der er das Eigengut „Wirena“ übertrug. Im 14. Jahrhundert ging die Siedlung als Reichslehen an die Grafen von Diez über und fiel später an das Haus Nassau-Dillenburg bzw. Nassau-Diez-Oranien. Ein Teil der Gemarkung gelangte 1535 in kurtrierischen Besitz, in der Folge wurde Wehrheim bis 1803 zweiherrisch regiert. Der oranische Anteil war zudem seit 1724 mehrere Jahrzehnte lang an Nassau-Usingen verpfändet. 1816 wurde Wehrheim dem Herzogtum Nassau, 1866 Preußen einverleibt. Heute bildet Wehrheim mit Obernhain, Pfaffenwiesbach und Friedrichsthal eine Gesamtgemeinde im hessischen Hochtaunuskreis.1

Die früheste Erwähnung von Juden in Wehrheim findet sich in einem Schreiben des nassauischen Amtmannes Eulner an die Regierung in Dillenburg von 1662. Darin erkundigte er sich, ob es den ansässigen Juden erlaubt werden solle, im zweiherrischen Wehrheim eine Synagoge einzurichten. Zusammen mit zwei Juden aus Usingen seien sie in der Lage, den für den Gottesdienst erforderlichen Minjan zu bilden. Zudem habe der kurtrierische Amtmann von Hohenfeld den Juden die Erlaubnis zur Abhaltung eines eigenen Gottesdienstes in Aussicht gestellt. Doch der nassauische Graf Ludwig Heinrich verbot die Errichtung eines Betraumes.2

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts lebten bereits über 30 jüdische Einwohner in Wehrheim. Sie verfügten über eine Winkelsynagoge in einem Privathaus, die auch von den Juden aus Anspach besucht wurde. Letztere bemühten sich 1753 um die Erlaubnis, einen eigenen Betraum vor Ort einrichten zu dürfen, ihr Gesuch wurde zunächst abgelehnt. Doch im 19. Jahrhundert gelang die Loslösung aus dem Kultusverband mit Wehrheim, 1835 bildete Anspach zusammen mit Rod am Berg nachweislich eine eigene Gemeinde. In Wehrheim waren zu diesem Zeitpunkt elf jüdische Familien mit 38 Personen ansässig, eine Filialgemeinde gab es nicht. Der Amtmann empfahl aber den Anschluss der wenigen im benachbarten Kransberg wohnhaften Juden an die Kultusgemeinde Wehrheim. Die Kransberger hatten bis dahin mit den Juden von Wernborn in einem privaten Betraum Gottesdienste gefeiert, doch 1835 konnte der Kultus aus Mangel an Mitgliedern nicht mehr ausgeübt werden. Deshalb besuchten die Juden aus Kransberg ferner die Synagoge in Wehrheim, diejenigen aus Wernborn gingen nach Usingen.3

1843 zählte die jüdische Gemeinde insgesamt 43 Mitglieder, 37 davon lebten in Wehrheim, sechs in Kransberg. Bis ins 20. Jahrhundert hinein blieb diese Zahl konstant: 1875 gehörten 45 Juden der Gemeinde an, 1905 waren es 41.4 Um 1930 lebten noch etwa 24 Juden im Kultusbezirk, die in den Folgejahren alle in die USA auswanderten. Im November 1938 gab es keine jüdischen Einwohner mehr in Wehrheim. Auch die Synagoge war bereits verkauft worden und blieb unangetastet, der jüdische Friedhof dagegen wurde in der NS-Zeit schwer verwüstet.5

Betsaal / Synagoge

Schon im 18. Jahrhundert verfügte die Kultusgemeinde Wehrheim über einen Betsaal, der erstmals 1753 nachweisbar ist, aber vermutlich bereits um 1700 eingerichtet wurde. Möglicherweise handelte es sich bei dem Synagogengebäude um ein Haus in der Hauptstraße (nahe Rodheimer Straße/Ecke Schießgraben), das in einer Karte von 1860 als Judenschule eingetragen ist. Jahrelang feierten die Juden von Wehrheim gemeinsam mit denjenigen von Anspach dort Gottesdienste, bis die Anspacher sich Mitte des 18. Jahrhunderts einen eigenen Betraum einrichteten.6

Der zuletzt von der jüdischen Gemeinde Wehrheim genutzte Betsaal in der Untergasse wurde etwa im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts angelegt. Untergebracht war er 1835 in einem Anbau zum Wohnhaus des Jacob Kaufmann. Im Gebäudesteuerkataster wird das Anwesen beschrieben als zweistöckiges Gebäude mit einem 7 Meter langen und 5 Meter tiefen Nebenbau, in dem sich der Betraum befand. Darin gab es Platz für etwa 40 Personen. Da die Kultusgemeinde zu diesem Zeitpunkt 38 Mitglieder zählte, dürfte der Raum in der nur 35 Quadratmeter großen Synagoge beengt gewesen sein. Für die Nutzung des Betsaals bezahlten die Juden gemeinschaftlich eine Miete in Höhe von 12,30 Gulden jährlich an Jacob Kaufmann. Ab den 1840er Jahren besuchten auch die Juden von Kransberg die Synagoge in Wehrheim, die um 1848 in den Besitz der Kultusgemeinde überging.7 1857 wurde das Gebäude umfassend renoviert, dafür nahm die Gemeinde ein Darlehen von 1.200 Gulden bei Georg Mank auf. Diese Schuld wurde 1884 mit einem Kredit der Nassauischen Landesbank abgelöst.8

Die Synagoge wurde bis in die 1930er Jahre an hohen Feiertagen genutzt, aber am 2. August 1938, also noch vor der Pogromnacht, für 4.000 RM an den ortsansässigen Schneider Albert Heinrich Gustav Mai verkauft. So überstand das frühere jüdische Gotteshaus an der Straßenecke Untergasse/Untertor die NS-Zeit unversehrt und steht bis heute. Es präsentiert sich als zweistöckiges, L-förmiges Fachwerkgebäude mit ungleich langen Schenkeln, gedeckt mit Satteldächern aus Schiefer. Im kleineren Abschnitt, dem Nebenbau, befand sich der Betraum, das Haupthaus wurde von der jüdischen Gemeinde vermietet. Inzwischen ist die frühere Synagoge in Stand gesetzt und eine Gedenktafel angebracht worden. Überdies ist ein Kellerfenster mit zwei kleinen Davidsternen im Gitter erhalten, das auf die frühere Funktion des Hauses hindeutet. Die Kultgegenstände waren vor 1938 in das Gemeindehaus der Israelitischen Religionsgesellschaft in Frankfurt am Main gebracht worden, wo sie in der Pogromnacht der Zerstörung anheim fielen.9

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in Wehrheim vier rituelle Tauchbäder. Je eines hatten Feydel Isaak, Samuel Hirsch und Samuel Jessel auf ihren Grundstücken angelegt. Das vierte Bad befand sich auf dem Anwesen von Jacob Kaufmann, dem früheren Eigentümer der Wehrheimer Synagoge in der Untergasse. Da Kaufmann nur ein Haus besaß, muss die Mikwe in der Synagoge oder auf dem zugehörigen Gelände eingerichtet worden sein. Da sich die Bäder – wie alle übrigen Mikwaot im herzoglich-nassauischen Amt Usingen auch – in schlechtem Zustand befanden, wurden sie 1837 von der Regierung geschlossen. Laut Bericht von Medizinalrat Vogler bestünden die Anlagen aus im Keller ausgehobenen, gemauerten Gruben, die nicht beheizbar seien und nur selten gereinigt würden. Infolgedessen schütteten die Wehrheimer Juden ihre Bäder mit Erde und Steinen zu, mit Ausnahme von Samuel Jessel: Er deckte die Grube mit Brettern ab, brachte eine Pumpe an und nutzte das Bad fortan als Brunnen für seine Seifensiederei.10

Schule

Ende der 1830er Jahre bestellte die Kultusgemeinde Wehrheim kurz hintereinander die Religionslehrer Blumenthal und Blauth. Von 1842-1852 erteilte Samuel Emden den jüdischen Kindern in Wehrheim Unterricht, danach wechselte er nach Schmitten. 1853 schlossen sich Usingen und Wehrheim zu einem Schulverband zusammen und verpflichteten gemeinschaftlich Isaak Stamm, der für 150 Gulden jährlich in beiden Orten lehrte. Ab 1872 wurde stets ein gemeinsamer Religionslehrer für die Kultusgemeinden Wehrheim, Usingen, Schmitten und Anspach bestellt. Dies war zunächst Lehrer Goldschmidt aus Westerburg, ab 1889 dann Abel Wilkow. Der letzte Religionslehrer im Amt Usingen war Gustav Blum, der bis in die 1930er Jahre für den Schulverband tätig war. In Wehrheim gab es allerdings schon seit den 1920er Jahren nur noch wenige schulpflichtige Kinder, weshalb die Gemeinde sich zuletzt bloß mit einem geringen Prozentsatz an den Besoldungskosten beteiligte. Ein eigenes Schulgebäude besaßen die Wehrheimer Juden nicht, der Unterricht wurde aber vor Ort, vermutlich in der Synagoge erteilt.11

Cemetery

Bis um 1863 wurden die Toten aus der Kultusgemeinde Wehrheim auf dem jüdischen Friedhof in Anspach beigesetzt. Als diese Grabstätte zu klein wurde, erwarb die Gemeinde im März und Juni 1863 drei Äcker „auf dem Feldchen“ in der Wehrheimer Gemarkung und legte dort einen neuen Friedhof an. Die erste Beisetzung erfolgte 1864, seither diente der 1.086 Quadratmeter große Totenhof, gelegen an der Straße nach Köppern, den Juden aus Wehrheim, Anspach, Kransberg und Pfaffenwiesbach als Grablege. In der NS-Zeit wurde der jüdische Friedhof geschändet und die Mehrzahl der Grabsteine zertrümmert. Die übrig gebliebenen Steine wurden inzwischen wieder aufgerichtet, außerdem erinnert ein Gedenkstein an die dort beigesetzten Juden.12

Neu-Anspach, ehemaliger Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Wehrheim, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Weidenbach: Nassauische Territorien, S. 297-303; Vogel: Beschreibung des Herzogtums Nassau, S. 841-842; http://www.lagis-hessen.de
  2. Koppenhöfer: Jüdische Kultusgemeinde in Wehrheim, S. 11
  3. Koppenhöfer: Jüdische Kultusgemeinde in Wehrheim, S. 11; HHStAW 171, W 1406; HHStAW 242, 1866
  4. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 350; HHStAW 172, 3690; HHStAW 242, 1870
  5. Koppenhöfer: Jüdische Kultusgemeinde in Wehrheim, S. 39-40, 49; HHStAW 420, 47
  6. HHStAW 171, W 1406; Koppenhöfer: Jüdische Kultusgemeinde in Wehrheim, S. 15; Altaras: Synagogen, S. 324; HHStAW 242, 1866
  7. HHStAW 242, 1866; HHStAW 242, 1170, Artikel 109; HHStAW 362/29, Stockbuch Wehrheim, Bd. 7, Artikel 222; Verdenhalven: Meß- und Währungssysteme, S. 19–20
  8. HHStAW 405, 1523
  9. HHStAW 503, 7360; HHStAW 433, 9042; Altaras: Synagogen, S. 324; http://www.alemannia-judaica.de/wehrheim_synagoge.htm
  10. Koppenhöfer: Jüdische Kultusgemeinde in Wehrheim, S. 22-23; HHStAW 242, 926
  11. Koppenhöfer: Jüdische Kultusgemeinde in Wehrheim, S. 31-37; Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 351; HHStAW 242, 712; HHStAW 242, 1076; HHStAW 420, 47
  12. Koppenhöfer: Jüdische Kultusgemeinde in Wehrheim, S. 28-30, 49; Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 351; HHStAW 242, 1470; HHStAW 362/29, Stockbuch Wehrheim, Bd. 7, Artikel 222
Recommended Citation
„Wehrheim (Hochtaunuskreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/75> (Stand: 23.7.2022)