Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Staden Karten-Symbol

Gemeinde Florstadt, Wetteraukreis — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1649

Location

61197 Florstadt, Ortsteil Staden, Hofgasse 1 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

liberal

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Die Ortsherrschaft lag um 1156 bei den Herren von Büdingen. Im Jahr 1404 wurden dem Ort, der einhundert Jahre zuvor Stadtrechte erhalten hatte, an die Ganerbschaft der Herren von Steinfurth, von Fauerbach, von Kleen, von Büches und von Stockstadt verkauft. Seit 1729 hatten die Burg Friedberg, die Löw von Steinfurth und die Herren von Isenburg-Büdingen die Herrschaft inne. 1816 ging Staden an das Großherzogtum Hessen über.

Eine erste Nennung von Juden in Staden erfolgt 1649 im Zusammenhang mit Zahlungen für Schutzjuden.1 Vermutlich bestand um 1700 eine eigene jüdische Gemeinde.2 1828 lebten 108 Juden in Staden, 1861 waren es 71. Um die Jahrhundertwende waren von 393 Einwohnern 56 Juden (Anteil ca. 14 Prozent).3 Zur Synagogengemeinde Staden zählten in den 1930ern auch die in Stammheim lebenden Juden (neun Personen in drei Familien). Um 1928 war der Viehhändler Hermann Stern Vorsitzender der jüdischen Gemeinde.4 Die Gemeinde besaß drei Thorarollen.

Die Stadener Juden lebten mehrheitlich vom Viehhandel, daneben gab es Saat- und Futtermittelhändler. Zudem gab es einen Bäcker, der auch Lebensmittel verkaufte, sowie ein Lebensmittel- und ein Textilgeschäft (Ellenwaren).

1932 waren noch 21 jüdische Personen in Staden gemeldet (fünf Prozent bei 425 Einwohnern).5 Die Mehrheit von ihnen konnten auswandern oder zog innerhalb Deutschlands um. Die Auflösung der jüdischen Gemeinde erfolgte nach 1939.6

Cecilie und Hermann Zuntz, Alfred, Johanna und Ruth Fuld wurden 1942 zusammen mit den beiden letzten in Stammheim lebenden Juden nach Osten deportiert und in Konzentrationlagern ermordet.7

Betsaal / Synagoge

1724 wird eine Synagoge in Staden genannt8, bei der es sich möglicherweise um einen Raum in einem Privathaus gehandelt hat. Die Lage ist unbekannt.

Die neue Synagoge in der Hofgasse 1 wurde um 1860 von der jüdischen Gemeinde errichtet. Das Haus steht als Mischbau mit massivem, ziegelgemauertem Erdgeschoss und Fachwerkobergeschoss traufseitig zur Straße, von der Straßenflucht etwa drei Meter zurückgesetzt. Im Süden grenzte sie an den Hofbereich des Nachbargrundstücks, im Westen an ein Wohnhaus. Über einem Grundriss von 7 x 8 Metern ist die überbaute Fläche fast quadratisch. Am südlichen Rand des alten Ortskerns gelegen, ähnelt das bauzeitlich verputzte Gebäude architektonisch einigen der es umgebenden Wohnhäuser. Das Brandversicherungskataster gibt für 1895 einen Versicherungswert von 3.510,– Mark an.9

Ein schmiedeeiserner Zaun auf einer Bruchsteinmauer, die mit Sandsteinplatten abgedeckt war, begrenzte den kleinen Vorhof im Norden der Synagoge zur Hofgasse. Die Gesamthöhe der Abtrennung betrug ca. 1,80 Meter. Der Zugang erfolgte durch ein zweiflügeliges, schmiedeeisernes Tor, eingehängt in sandsteinerne Pfosten mit Rundknäufen als Abschluss, das dem Männereingang gegenüber auf der Nordseite lag.10 Zur Nutzungszeit wies vermutlich die abtrennende Hofmauer im Norden mit Attributen der jüdischen Religion auf die besondere Nutzung hin. Über eine Außentreppe gelangten die Frauen ins Obergeschoss bzw. den Emporenbereich, der durch eine einflügelige, segmentbogige Tür am westlichen Rand der Nordwand erschlossen wurde.

Als Schauseite des Gebäudes zeigte die Nordwand neben den beiden Eingängen für Männer und Frauen drei symmetrisch eingebaute, heute vermauerte Fenster. Das in der Mittelachse liegende Obergeschossfenster grenzte mit seinem Scheitel an das Rähm und war vermutlich als farbiges Rundfenster mit Davidsternmotiv gestaltet. Die beiden Segmentbogenfenster östlich und westlich davon umrahmten das Mittlere.11 Zwei Segmentbogenfenster, die heute zugemauert und nur von innen im Ansatz erkennbar sind, spendeten im Osten Licht. In der Südwand war ein Segmentbogenfenster in der westlichen Wandhälfte eingebaut.

Innen waren die Bänke der Männer nach Osten ausgerichtet. Vor dem reich geschmückten Thoraschrein im Osten stand das Vorbeterpult. Der Thoraschrein wurde gerahmt von dicken roten Samtvorhängen, die u.a. das durch die Ostfenster einfallende Gegenlicht abhalten konnten. In der Deckenmitte hing – nach Erinnerungen von Augenzeugen – ein „ewiges Licht“, durch ein reliefiertes Ornament von der Malerei abgehoben. Die Frauenempore verlief im Westen und vermutlich entlang der Südwand. Reste der ursprünglichen Wandbemalung im Raum lassen auf ornamentalen Schmuck auf einem hellroten Grundton und einem bläulichen Begleitstrich als Rahmung schließen. Die Decke war, wie häufig in vergleichbaren Gotteshäusern dieser Zeit zu finden, mit goldenen Sternen vor blauem Hintergrund angelegt.

In der Pogromnacht am 8. November 1938 wurde die gesamte Inneneinrichtung der Synagoge demoliert und alle Fenster eingeworfen. Das Mobiliar, Thorarollen und alle sakralen Gegenstände wurden auf dem Platz vor dem Backhaus zusammengetragen und dort verbrannt. Wahrscheinlich aufgrund der engen Bebauung blieb das Gebäude selbst vor der totalen Zerstörung verschont. 1939 verkaufte die noch bestehende jüdische Gemeinde einem Stadener Bauern das Gebäude. Der Käufer ließ die Synagoge in eine Scheune umbauen, um hierin Futtermittel und Ackergerät zu lagern und das Gebäude als Stall für Pferde und Schweine zu nutzen. Dafür wurde ein breites Tor in die Nordwand gebrochen, eine Betondecke eingezogen und die komplette Innenausstattung verändert. Die Außentreppe, die zur Frauenempore führte, wurde vermutlich im Zuge dieser Maßnahme genauso wie die Hofmauer abgerissen. 1977 ging das Gebäude an den heutigen Besitzer über, der es als Abstellraum und Garage nutzt.

Heute ähnelt das Erscheinungsbild der Synagoge einer heruntergekommenen, zur Garage umgebauten kleinen Scheune. Die Fachwerkwände sind nicht mehr verputzt, von den Mauern des Untergeschosses blättert der Putz ab. Die Bausubstanz scheint aber noch gut; Dachwerk und Mauern sind weder feucht noch verwurmt. Erst vor einigen Jahren wurde das Dach neu gedeckt.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Im Jahr 1861 kaufte die jüdische Gemeinde Staden das Haus in der Hofgasse 16, das etwa 100 Meter von der Synagoge entfernt liegt. Sie ließ im Keller dieses Hauses eine Mikwe einrichten, deren Becken über Sandsteinstufen erreichbar war12 und vermutlich wurde durch Grundwasser gespeist wurde. Der Umkleideraum lag ebenerdig. Das Obergeschoss war seit Ankauf durch die jüdische Gemeinde an Privatpersonen vermietet. Vor 1920 wurde der Betrieb der Mikwe aus hygienischen Gründen aufgegeben.

1936 verkaufte die jüdische Gemeinde das Haus an ortsansässige Privatleute, die um 1939 das Tauchbecken im Keller vollständig zuschütten und im Raum darüber eine Küche einbauen ließen.13

Schule

Der Raum neben dem Umkleideraum im Mikwegebäude Hofgasse 16 diente als Unterrichtsraum für die Religionsschule und als Gemeinderaum für Versammlungen.14

Nachdem die Mikwe aufgegeben werden musste, fand bis 1933 noch sporadisch Religionsunterricht in den Untergeschossräumen des Gebäudes statt.

Cemetery

Der ca. 780 Quadratmeter große Friedhof liegt, von einer Hecke umgeben, im Bereich „Hinter den Tannen“, heutzutage ein Neubaugebiet der 1970er und 1980er Jahre.

Staden, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Büdingen, Herren von · Steinfurth, Herren von · Fauerbach, Herren von · Kleen, Herren von · Büches, Herren von · Stockstadt, Herren von · Löw von Steinfurth, Herren von · Isenburg-Büdingen, Herren von · Stern, Hermann · Zuntz, Hermann · Zuntz, Cecilie · Fuld, Alfred · Fuld, Johanna · Fuld, Ruth

Places

Stammheim

Sachbegriffe Geschichte

Hessen, Großherzogtum · Schutzjuden · Konzentrationslager · Pogromnacht

Sachbegriffe Ausstattung

Thorarollen · Thoraschreine · Vorbeterpulte · Thoravorhänge · Ewige Lampen

Sachbegriffe Architektur

Mischbauten · Bruchstein · Sandsteinplatten · Pfosten · Rundknäufe · Rähme · Rundfenster · Davidsterne · Segmentbogenfenster · Frauenemporen · Wandbemalungen

Fußnoten
  1. Schwendemann, Staden, S. 135. Rund 40 Jahre danach: HStAD R 21 J, 3584
  2. Ruppin, Juden, S. 75; Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 293
  3. Ruppin, Juden, S. 75 sowie Ortsartikel Staden auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  4. Schwendemann, Staden, S. 139
  5. Schwendemann, Staden, S. 139
  6. Informationen von K. Leidecker, Stadtarchivar Florstadt, 2003
  7. Unveröffentlichtes Manuskript von K. Leidecker, 2003, S. 11 f.; Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 239
  8. HStAD R 21 J, 3301
  9. Gemeindearchiv Florstadt, Brandversicherungskataster
  10. Vgl. Rekonstruktionsskizze von W. Bonerewitz, 2003 f., c/o Kurt Leidecker, Stadtarchivar, Gemeinde Florstadt
  11. Die Fenster waren bei Ortsbesichtigungen in den Jahren 1993, 2003 und 2008 zugemauert. Erkennbar ist jedoch der Verlauf der Segmentbogen sowie die entsprechenden Fensterstiele.
  12. Schwendemann, Staden, S. 136
  13. Leidecker, Staden, S. 228
  14. Leidecker, Staden, S. 227
Recommended Citation
„Staden (Wetteraukreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/648> (Stand: 23.7.2022)