Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Sprendlingen Karten-Symbol

Gemeinde Dreieich, Landkreis Offenbach — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1563

Location

63303 Dreieich, Stadtteil Sprendlingen, Hauptstraße 31 | → Lage anzeigen

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Das urkundlich 834 erstmals genannte Sprendlingen kam 1486 an die Grafen von Isenburg und 1816 an das Großherzogtum Hessen.

Erste Hinweise auf einen Juden im Ort entstammen Rechnungsunterlagen, denen zufolge 1563 und 1564 Seligmann zu Sprendlingen Abgaben zu leisten hatte.1 Auch für die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg liegen nur sporadisch Nachrichten vor. So wurde 1657 Mosche zu Sprendlingen erwähnt2 und 1699 Salomon.3 Im Laufe des 18. Jahrhunderts stieg die Zahl jüdischer Einwohner an. Wann genau sich eine eigene Gemeinde bildete, ist heute unbekannt. Sie bestand bereits, als 1830 die Synagoge erbaut und ein Jahr später der jüdische Friedhof eingerichtet wurde. Zu dieser Zeit lebten 55 jüdische Menschen im Ort. Ihre Zahl erreichte 1861 mit 106 den höchsten Stand, um in den folgenden Jahren wieder leicht zu sinken. 1900 lag sie bei 77. Zu dieser Zeit zählten auch die jüdischen Einwohner von Neu-Isenburg zur Sprendlinger Gemeinde.4

15 jüdische Männer aus Sprendlingen dienten im Ersten Weltkrieg.

Bis 1933 stieg die Zahl der Gemeindemitglieder wieder auf 94 an. Hinzu kamen 150 jüdische Personen, die in Neu-Isenburg lebten. Hierbei handelte es sich überwiegend um Bewohner des Schutz- und Erziehungshauses des jüdischen Frauenbundes, heute Bertha-Pappenheim-Haus, und um sogenannte Ostjuden, die sich dort wegen der Nähe zu Offenbach in großer Zahl niedergelassen hatten.5

Zunehmende Entrechtung, Repressalien und wirtschaftliche Boykotte waren vielfach Anlass, aus Sprendlingen zu fliehen; 17 Personen wurden während der Nazi-Diktatur deportiert und ermordet.6 Ihnen zum Andenken steht seit 1988 auf dem Friedhof ein Mahnmal.

Zuletzt 2015 wurden in Sprendlingen Stolpersteine verlegt.

Betsaal / Synagoge

Die Synagoge wurde 1830/31 erbaut. Es handelt sich um einen zweigeschossigen verputzten Ziegelbau mit Schieferdach, der im hinteren Bereich einer Hofreite lag. Diese war von der heutigen Rathausstraße aus zu begehen. Die Firstrichtung erstreckte sich in Ost-Westrichtung, der von vier mächtigen Pilastern betonte eigentliche Zugang hatte drei Eingänge. Der mittlere Eingang führte direkt in den Synagogenraum, durch den linken wurde die Treppe zur Frauenempore erreicht und hinter dem rechten lag eine Kammer.

In ihrem Inneren barg die Synagoge eine große Besonderheit: eine aus Hirschleder gearbeitete Thorarolle. Nach den religiöse nVorschriften durfte dafür nur das Fell eines ungeborenen Kalbes verwendet werden. Da derartige Felle äußerst selten und schwer zu bearbeiten sind, galt sie als wertvolle Rarität. Darüber hinaus verfügte die Synagoge über 36 Sitzplätze mit Pulten für Männer, 21 ebensolche für Frauen, acht Kinderplätze, eine Garderobe mit 60 Einheiten, einen Thoraschrein mit Altaraufbau, zwei Vorleserpulte, eine Gedenktafel aus Marmor, einen Kronleuchter, acht Seitenleuchter, zwei Leuchter am Thoraschrein, einen Teppich vor dem Allerheiligsten, 10 Meter Läufer, einen Schrank für die Kultgegenstände und einen Ofen.

Neben besagter Thorarolle aus Hirschleder, deren Wert bei den Entschädigungsverhandlungen mit 20.000 DM angesetzt wurde, gab es fünf weitere Thorarollen, zwei Paar silberne Thoraufsätze mit Schellen, zwei silberne Thorakronen, zwei silberne Thoraschilder, drei silberne Lesefinger, zwölf Thoramäntel, 30 handbemalte Wimpel, zwei Thoraschreinvorhänge, vier Decken für die Vorleserpulte, eine Ewige Lampe, einen siebenarmiger Leuchter, einen silbernen Channukahleuchter, zehn Seelenlichter, zwei silberne Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, eine Megillah mit Mantel, zwei Schofarhörner, zwölf Gebetmäntel, fünf Paar Phylakterien, 15 Gebetbücher, 15 Sätze Festgebetbücher, 15 Bände Pentateuche, ein Satz Aufrufplatten, ein Priesterwaschbecken aus Messing mit Kanne, einen Ethrogbehälter und eine Almosenbüchse.7

Die Synagoge wurde in der Pogromnacht überfallen und niedergebrannt.8

Mit Vertrag vom 16. Dezember 1938 erwarb die bürgerliche Gemeinde das Grundstück, zahlte den Kaufpreis aber nicht aus, sondern verrechnete ihn mit den anfallenden Kosten für Abbruch der Ruinen und Aufräumungsarbeiten. Im Zuge der Restitutionsverhandlungen zahlten die neuen Besitzer 400 DM.9

Einige Kultgegenstände hatte eine christliche Familie in Sicherheit gebracht und nach dem Zweiten Weltkrieg an einen Juden in Langen abgegeben, der sie nach Frankfurt weitergab. Über ihren Verbleib ist nichts bekannt.10

1979 ließ die Gemeinde auf Veranlassung der „Freunde Sprendlingens“ eine Gedenktafel an der gegenüber dem früheren Standort gelegenen Rathauswand anbringen. Sie trägt die Inschrift: „Zur Erinnerung an die Synagoge der jüdischen Gemeinde in Sprendlingen. Sie stand im Hof gegenüber und wurde am 10. Nov. von Nationalsozialisten niedergebrannt.“

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

Anfang des 20. Jahrhunderts bestand ein Israelitischer Männer-, Kranken-, Verpflegungs- und Unterstützungsverein, dessen Vorsitz 1910 Jonathan Goldschmidt innehatte. Dem Israelitischen Frauenverein stand zur gleichen Zeit Henriette Wolf vor. In den 1920er Jahren bestand auch ein Chewra-Kaddische. Zur gleichen Zeit wurde eine Ortsgruppe des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens gegründet.11

Mikwe

1979 wurde unter der Scheune auf dem Grundstück Hellgasse 15 eine Mikwe ausgegraben. Der Zugang erfolgte von Norden über eine von einem Backsteingewölbe überwölbte steile Treppe direkt in das Becken. Westlich davon befand sich eine 1,25 × 3,4 Meter große ebene Fläche. Der Raum wurde von einem Natursteingewölbe überspannt, dessen Scheitel in Firstrichtung des darüber stehenden Gebäudes verlief. Eine schräg nach oben verlaufende Öffnung diente vermutlich als Rauchfang.12

1990 wurde diese Anlage wissenschaftlich untersucht. In der Dokumentation heißt es: „Die 1979 von den Freunden Sprendlingen ausgegrabene und im Sommer 1990 vom IBD untersuchte und dokumentierte Gewölbeanlage auf dem Grundstück Hellgasse 15 in Sprendlingen kann eindeutig als eine in einem Bauvorgang errichtete Mikwe einer jüdischen Kultgemeinde identifiziert werden. Auszuschließen ist eine Funktion als Brunnenanlage für die Wasserversorgung des Anwesens sowie als normales Badehaus, wie sie im 15. oder 16. Jahrhundert in Benutzung waren. Die Begehbarkeit der Anlage, die Einrichtung des Tauchbecken unterhalb des Grundwasserspiegels, aber auch die Größe der Anlage und ein ständiger Grundwasserstand von über 1,20 m oberhalb der Beckensohle sind in Übereinstimmung mit den talmudischen Regelungen sowie der Kodifizierung dieser Bestimmungen in der „Mikva´ot“ von Maimonidis errichtet worden. Die Anlage gehört zu den seit dem späten Mittelalter von kleineren jüdischen Gemeinden errichteten Beckenmikwen in gewölbten Kellerräumen, wie sie mittlerweile in mehreren Exemplaren nachgewiesen werden konnten.

Gegenüber vielen schlichteren Anlagen, die einfach aus Bruchsteinen gemauert wurden, ist die Sprendlinger Mikwe insofern etwas reicher ausgestattet, als wahrscheinlich das Tauchbecken, insbesondere aber auch der Fußboden eines das Tauchbecken umgebenden Podestes, mit Ziegelsteinen ausgelegt bzw. ausgekleidet war.

Dieser Umstand, also die Verfügbarkeit über in der Umgebung produzierte Ziegel ist das wichtigste Datierungskriterium für die hier untersuchte Anlage. Während vom Typus her, Tauchbecken mit Treppe innerhalb eines Kellergewölbes, die Anlage nicht unbedingt näher datiert werden kann, liefert die Analyse der Ziegelsteine eine Einschränkung des Datierungsspielraumes vom ausgehenden Mittelalter bis zur Neuzeit. So existieren in der näheren Umgebung, insbesondere im benachbarten Langen, erst seit dem späten 17. Jahrhundert Ziegeleien, die die nähere und weitere Umgebung mit diesem Baumaterial versorgten. Bezüglich der Ziegelformate ist zunächst keine nähere Eingrenzung innerhalb des Zeitraumes vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert zu gewinnen, da nähere Forschungen zu den in Hessen verwendeten Ziegelformaten bislang nicht vorliegen. Das flache Format von ca. 4 cm Höhe dürfte jedoch am ehesten im 18. Jahrhundert produziert worden sein. Auszuschließen ist auf jeden Fall eine Produktion der Ziegel nach der Mitte des 19. Jahrhunderts, wo, basierend auf dem preußischen Zollmaß, neue, einheitliche Formate eingeführt werden. Aufgrund der topographischen Lage in einem Stadterweiterungsgebiet außerhalb des ursprünglichen Ortskernes und seiner älteren Stadterweiterung nach Süden ist auch von daher eine Datierung nach dem 30jährigen Kriege, insbesondere jedoch im 18. Jahrhundert möglich.

Die Aufgabe der Anlage als jüdisches Kultbad dürfte einerseits im Zusammenhang mit der Neuerrichtung einer neuen Synagoge mit zugehörigem Tauchbade im Jahre 1830 sein. Andererseits fällt dieses Datum zusammen mit Erlassen der hessischen Regierungen, die die Verfüllung der älteren jüdischen Kultbäder aus hygienischen Gründen seit der Mitte der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts fordern und die Einrichtung von neuen Bädern verlangen.

Die Analyse der während der Grabung 1979 geborgenen Funde, die heute im Museum von Dreieich deponiert sind, ergab demgegenüber, dass die Verfüllung der Anlage wohl noch nicht in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgt ist. Sämtliche Funde (bis auf geringe Ausnahmen) datieren seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, die jüngsten Funde gehören in die Zeit kurz vor oder um 1900. Offensichtlich wurde also die Anlage zunächst einige Jahrzehnte in der bestehenden Form weiter genutzt, wobei unklar ist, ob sie als Privatmikwe weiter bestand oder das ehemalige Tauchbecken nun von dem auf dem Grundstück Hellgasse 15 angesiedelten Haushalt als Brunnen benutzt wurde. Als Kellerraum dürfte das Gewölbe nach der Verfüllung des Taufbeckens eine Zeitlang zu Lagerzwecken genutzt worden sein. Nach 1900 scheint zumindest der Zugang in das Gewölbe noch existiert zu haben, so dass sich ältere Anwohner noch an das Gewölbe erinnern. Erst mit Errichtung der heutigen, über der Mikwe stehenden Gebäude wurde der Kellerhals zerschlagen und das Gebäude endgültig verfüllt. Als religionsgeschichtliches und auch hygienegeschichtliches Kulturdenkmal kommt der hier untersuchten Anlage eine überregionale Bedeutung zu ...“13

Auch auf dem Grundstück der 1830 errichteten Synagoge befand sich eine Mikwe, die wahrscheinlich bereits während des 19. und im 20. Jahrhunderts genutzt wurde. Während die Synagoge in der Pogromnacht durch Brand zerstört wurde, drangen wenig später Leute der SA und andere Nazitruppen in die Schule und die Mikwe ein, plünderten die Einrichtungen und richteten so große Schäden an, dass nur Ruinen verblieben.14

Schule

Im Brandkataster von 1879 wurde eines der beiden der Synagoge benachbarten Häuser als „Schule“ bezeichnet. Sie war ein einstöckiger Fachwerkbau mit Ziegeldach. Einer der Giebelwände war eine Mikwe vorgebaut.

Cemetery

Bis 1830 gehörte die Sprendlinger Gemeinde zum Friedhofsverband Offenbach-Bieber. 1831 weihte sie ihren eigenen Friedhof östlich des Lachewegs, unmittelbar angrenzend an den christlichen Friedhof ein. Er ist ein rund 1.000 Quadratmeter großes Gelände, auf dem von 1872 bis 1875 auch die Verstorbenen aus Dreieichenhain, Götzenhain und Offenthal bestattet wurden. Ab diesem Jahr verfügten die drei letztgenannten Gemeinden über einen eigenen Friedhof in Dreieichenhain. Von den rund 180 Bestattungen haben sich etwa 100 Grabsteine erhalten. Der älteste stammt noch aus dem Jahr der Eröffnung, der jüngste von 1938.15 Das Leichenwaschhaus ist erhalten.

1988 weihte die Gemeinde auf dem Friedhof ein Mahnmal für die während der Shoa ermordeten Juden ein.

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. Baumbusch, 1983, S. 5
  2. HStAD F 16, 271
  3. Baumbusch, 1983, S. 5
  4. Baumbusch, 1983, S. 6
  5. Kingreen, 2009, S. 81
  6. Baumbusch, 1983, S. 7
  7. HHStAW 518, 1379
  8. Baumbusch, 1983, S. 130
  9. HHStAW 518, 1379
  10. Baumbusch, 1983, S. 135
  11. Baumbusch, 1983, 6
  12. Baumbusch, 1983, 137
  13. Untersuchungsbericht IBD zitiert nach Altaras, 2007, S. 364
  14. HHStAW 518, 1379
  15. Baumbusch, 1983, 144
Recommended Citation
„Sprendlingen (Landkreis Offenbach)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/121> (Stand: 23.7.2022)