Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Sickenhofen Karten-Symbol

Gemeinde Babenhausen, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Georg Wittenberger
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1605

Location

64832 Babenhausen, Ortsteil Sickenhofen, Wacholdergasse 3 | → Lage anzeigen

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Sickenhofen war wie Hergershausen von 1426 bis 1799 Groschlagsches Lehen. In Gerichtsakten werden 1605 ein Abraham ben Elieser in einem Beleidigungsprozess und 1670 ein Samuel von Sickenhofen genannt.1 1732/33 lebten vier Groschlagsche Schutzjuden und deren Familien in Sickenhofen. Im 19. Jahrhundert wird ein Ansteigen der jüdischen Bevölkerung verzeichnet. 1855 wird mit der Zahl 86 der Höhepunkt erreicht, das sind 16 Prozent der Einwohnerzahl. Danach setzte zum einem eine Abwanderung in die Städte, aber auch eine zahlenmäßig hohe Auswanderung in die USA ein. 1905 lebten in Sickenhofen noch 28 Juden, das sind sechs Prozent der Einwohnerschaft.2 Die Volkszählung am 16. Juni 1925 nennt neben 490 Protestanten und 13 Katholiken noch 14 Juden.3 1933 waren es noch acht.

Im „Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland 1932-33“ wird Sickenhofen zwar noch aufgeführt, Vermerke wie „Israelitische Religionsgemeinde“ oder „Jüdische Gemeinde“ fehlen. Als „Vorsitzender“ wird Gustav Kahn genannt. Die Synagoge wird ohne weitere Angaben neben dem Friedhof erwähnt. Den Religionsunterricht besuchen zwei Kinder.4

Im Ersten Weltkrieg fielen Robert Frank (gefallen 5. August 1917) und Siegmund Kahn (gefallen 19. Dezember 1916).5

Betsaal / Synagoge

Wann die erste Synagoge in Sickenhofen erbaut wurde, ist unbekannt. Es ist jedoch anzunehmen, dass bereits im 17. bzw. Anfang des 18. Jahrhunderts eine Judenschule oder Synagoge vorhanden war, da die Statistik im Jahre 1830 71 Juden im Ort nennt. Anfang der 1840er Jahre wird in der jüdischen Gemeinde der Wunsch nach einer neuen Synagoge laut, denn in der Ausschreibung der „Arbeits-Versteigerung“des Großherzoglichen Kreisbaumeisters Eickemeyer in Offenbach vom 26. September 1841 im „Wochenblatt für die Stadt und den Kreis Offenbach“6ist ausdrücklich von der „Erbauung einer neuen Synagoge“ die Rede. Die Arbeiten sollen „im Accord“ an den Wenigstnehmenden vergeben werden.

Der Bau wird 1842 an der Wacholdergasse (Nr. 3) als Massivbau ohne Fundament erstellt. In ihm waren die Synagoge mit Frauenempore, die Religionsschule, das rituelle Bad, das bei den Umbauarbeiten 1935 ausdrücklich erwähnt wird,7 sowie die Lehrerwohnung untergebracht.8

Wie lange die jüdische Gemeinde in Sickenhofen ihre Synagoge nutzte, ist nicht bekannt. In den Unterlagen9 über den Gebäudeverkauf sowie den Wiedergutmachungsakten tauchen verschiedene Zeiträume auf, die bei 1918 beginnen, die die Zeit Mitte der 1920er Jahre nennen, aber auch erst Anfang der 1930er Jahre.

Anfang der 1930er Jahre muss die Synagoge mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr genutzt worden sein. Am 4. April 1935 fragte der Sickenhofer Bürgermeister Philipp Spiehl, seit 1930 im Amt, beim Kreisamt in Dieburg nach, ob eine Enteignung der Synagoge in Frage komme, da ein Ankauf wegen der Höhe des geforderten Preises gescheitert sei. Eine Anmietung lehne man ab. Spiehl schreibt, dass man der HJ einen der beiden Schulsäle für die Heimabende zur Verfügung gestellt habe. Auf Dauer sei aber dieser Raum nicht geeignet. Vielmehr könne etwas Passendes in der leerstehenden Synagoge eingerichtet werden, zumal nur noch zwei jüdische Familien am Platz seien.

Wenige Tage später kaufte dann die Gemeinde das Gebäude. Neben Gustav Kahn und Friedrich Julius Frank, beide sind durch das israelitische Rabbinat in Darmstadt dazu ermächtigt, sind Kreisleiter Burkart (Dieburg) und Beigeordneter Friedrich Knörr (Sickenhofen) sowie der Bürgermeister Philipp Spiehl erschienen. In der verfassten Niederschrift der Kaufvereinbarung vom 15. April 1935 wird vermerkt, dass „die hier in der Sackgasse stehende z. Zt. unbenutzte und in baulichem Zustande ziemlich schlechte Synagoge zum Preis von 1800 RM“ den Besitzer wechselt. Der Kaufpreis ist in sechs gleichen Jahreszielen von je dreihundert Reichsmark und zwar ohne Zinsen von den Jahren 1935 bis 1940 jeweils am 1. Oktober zu entrichten. Die entstehenden Kosten übernimmt die Gemeinde. Diese Vereinbarung war allerdings nicht der offizielle, durch einen Notar besiegelte Kaufvertrag. Dieser datierte vom 1. August 1935 und wird vor dem Notar Hermann Laube in Seligenstadt abgeschlossen. Dabei waren Friedrich Julius Frank, Metzger in Sickenhofen, und Gustav Kahn, Viehhändler daselbst, als Vorstandsmitglieder der israelitischen Religionsgemeinde zu Sickenhofen anwesend, sowie Bürgermeister Philipp Spiehl II. als gesetzlicher Vertreter der Bürgerlichen Gemeinde Sickenhofen.10

Nachdem das Kreisamt in Dieburg bereits am 4. Mai 1935 die Kaufvereinbarung genehmigt hatte, wurde offiziell am 29. Oktober 1935 der Ankauf der Hofreite in Flur I, Nr. 308 mit 225 Quadratmetern genehmigt.

Am 24. November 1935 teilte der Bürgermeister dem Hochbauamt in Dieburg mit, dass in der früheren Synagoge, dem jetzigen Gemeindehaus, durch Umbau zwei Wohnungen, die dringend erforderlich seien, eingerichtet werden sollen. Das Hochbauamt wurde gleichzeitig mit der Bauleitung und -ausführung beauftragt. Diese Planung muss wenig später geändert worden sein, da mit dem Vorbescheid Nr. 8 vom 19. Dezember 1935 das Hochbauamt mitteilt, dass für den Umbau für fünf Wohnungen ein Reichszuschuss in Höhe von 5.000 Reichsmark bei Gesamtkosten von 10.650 Reichsmark in Aussicht gestellt wird. Gleichzeitig wird die Gemeinde aufgefordert, bis zum 31. März 1936 anzuzeigen, dass die Arbeiten ausgeführt sind.11

Bei den Umbauarbeiten Anfang 1936 – es wurden u.a. im Betsaal die Empore umgebaut und Trennwände gezogen, die rituellen Bäder entfernt – wird aus diversem Schriftverkehr deutlich, dass auch noch eine Turnhalle in dem jetzigen Gemeindehaus eingebaut werden soll und dass zum Beispiel der Schreinermeister die Arbeiten nur übertragen bekomme, wenn er der N.S.V beitrete.

Fünf Jahre nach Kriegsende, im Mai 1950, informierte das Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung in Darmstadt die Gemeinde Sickenhofen über den Rückerstattungsantrag der JRSO. Bis zur Beendigung des Verfahrens, das in mehrere Prozesse mündete, sollte es fünf Jahre dauern.

Zunächst äußerte sich die Gemeinde nicht. Am 3. Oktober 1950 beschwerte sich die JRSO und hält den Rückerstattungsanspruch aufrecht. Wenig später bestreitet die JRSO, dass sich das Haus seinerzeit in einem beklagenswerten Zustand befunden habe und betont auch, dass die letzten Raten vom 1. Oktober 1939 und 1. Oktober 1940 aufgrund der Verordnung vom 8. Dezember 1938 (Einsatz jüdischen Vermögens) nicht mehr zur Auszahlung gelangte. Gleichzeitig wird auf Gustav Kahn Bezug genommen, der am 25. Februar 1949 an die JRSO geschrieben hatte: „Die Synagoge in Sickenhofen wurde während der Nazizeit der Gemeinde Sickenhofen unter Zwang verkauft.“ Ferner stellte die JRSO fest, dass der Verkaufspreis bei 1.800 Reichsmark gelegen habe, der Einheitswert aber 2.300 Reichsmark betragen habe.

Die Gemeinde schaltete einen Darmstädter Rechtsanwalt ein, der sich gegen den Rückerstattungsanspruch wandte. Er stellte fest: „Hier in Sickenhofen wurde auch während der Nazizeit kein Jude bedrängt oder verdrängt, selbst an dem bewussten Tag der Judenaktion wurde hier keiner Familie auch nur ein Haar gekrümmt, das jüdische Eigentum blieb unberührt. Alle Verkäufe hier sind in bestem Einvernehmen beiderseits durchgeführt worden. Die Judenschule war schon Mitte der zwanziger Jahre nicht mehr in Betrieb, die jüdische Gemeinde hatte seinerzeit schon eine Wohnung in der Schul eingerichtet und eine Familie als Hauswart dort eingesetzt.“ Und auch diese Äußerung ist in dem Verfahren zu finden: „Die beiden jüdischen Gemeindeglieder Frank und Kahn sind bei sämtlichen Aufzügen sogar mitmarschiert, ihnen ist niemals ein Haar gekrümmt worden.“12

Nach einer Güteverhandlung im Dezember 1950 wurde im Januar 1951 vor der Wiedergutmachungskammer am Landgericht Darmstadt verhandelt. Dabei wurde die Gemeinde Sickenhofen aufgefordert, über Mieterträge, Erhaltungskosten und weitere Ausgaben Aufstellungen einzureichen. Diese stellte die Gemeinde erst auf Mahnung am 4. Juni 1951 zusammen.

Ein reger Schriftverkehr mit zahlreichen Gerichtsterminen ist in den folgenden Monaten zu verzeichnen. Im Juli 1953 wurde das Grundstück von privat erworben und wechselte bis zum Jahreswechsel 1954/55 noch zweimal den Besitzer.13 Das Haus wurde umgebaut und auch erhöht, so dass das Gebäude als ehemalige Synagoge unkenntlich wurde. Die vor Jahren geschaffene Turnhalle war bereits früher wieder zu Wohnzwecken umgebaut worden.

Weitere Einrichtungen

Cemetery

Der Friedhof in Sickenhofen hat eine Größe von 2.048 Quadratmetern, liegt auf einer erhöhten Feldflur nördlich des Ortes und ist mit einer Ziegelmauer, die 1866 bei der Erweiterung angelegt wurde, umgeben. Er war eine gemeinsame Begräbnisstätte der Juden von Sickenhofen und Hergershausen. Vor der Neuanlage wurden die Juden in Dieburg beerdigt. Dies geht aus den Dieburger Stadtrechnungen hervor.14

Insgesamt befinden sich 139 Grabsteine auf den Friedhof: eine Gruppe nördlich des Weges, eine Gruppe südlich davon. Bei Letzterer fanden die Begräbnisse zwischen 1906 und 1936 statt. Der älteste identifizierte Stein stammt von einem Doppelgrab (1762/1764). Es gab des Öfteren Verwüstungen durch umgeworfene Grabsteine, teilweise ausgehobene Grabstätten sowie durch Schmierereien.15

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Sickenhofen, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2
  2. Lötzsch, Friedhof Sickenhofen
  3. Gemeindeverzeichnis 1926
  4. Wittenberger, Sickenhofen
  5. Gedenkbuch 1932
  6. Wochenblatt für die Stadt und den Kreis Offenbach Nr. 40 vom 1.10.1941, S. 3
  7. StadtA Babenhausen, Mappe „Judenschule Wacholdergasse“ (Stadtarchiv Babenhausen, Sickenhofen)
  8. Ortsartikel Sickenhofen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  9. StadtA Babenhausen, Mappe Judenschule
  10. StadtA Babenhausen, Mappe Judenschule
  11. StadtA Babenhausen, Mappe Judenschule
  12. StadtA Babenhausen, Mappe Judenschule
  13. StadtA Babenhausen, Mappe Judenschule
  14. Franz/Wiesner, Jüdischer Friedhof Dieburg
  15. Lötzsch, Friedhof Sickenhofen; Lötzsch/Wittenberger, Juden von Babenhausen
Recommended Citation
„Sickenhofen (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/205> (Stand: 27.4.2022)