Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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Herzogtum Nassau 1819 – 51. Rüdesheim
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Rüdesheim Karten-Symbol

Gemeinde Rüdesheim am Rhein, Rheingau-Taunus-Kreis — Von Carina Schmidt
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1096

Location

65385 Rüdesheim am Rhein, Grabenstraße | → Lage anzeigen

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Weite Teile des Rheingaus, darunter Rüdesheim am Rhein, gelangten in ottonischer, vielleicht auch schon in karolingischer Zeit in den Besitz von Kurmainz. Der Ort wird als „Rudenesheim“ erstmals 1090 in einer Urkunde von Erzbischof Ruthardt von Mainz erwähnt. 1803 ging Rüdesheim an das Fürstentum Nassau-Usingen, 1806 an das Herzogtum Nassau und erhielt um 1820 Stadtrechte. Nach dem Ende des Deutschen Krieges 1866 wurde der Ort dem preußischen Staatsgebiet einverleibt. Heute gehört Rüdesheim mit Eibingen und den 1977 eingemeindeten Stadtteilen Assmannshausen, Aulhausen und Presberg zum hessischen Rheingau-Taunus-Kreis. 2002 wurde das Obere Mittelrheintal mit Rüdesheim zum Weltkulturerbe der UNESCO ernannt.1

Juden gelangten erstmals im 11. Jahrhundert nach Rüdesheim, als sich 1096 infolge des Pogroms in Mainz ein Teil der jüdischen Gemeinde, etwa 60 Menschen, nach Rüdesheim flüchtete. Doch auch dort blieb den Juden nur die Wahl zwischen Taufe und Tod, einige begingen Selbstmord, die übrigen wurden erschlagen. Ortsansässige Juden sind dann in Rüdesheim und im benachbarten Geisenheim im 14. Jahrhundert nachweisbar, dabei handelte es sich aber nur um einzelne Familien. Danach tauchen Juden erst wieder in Quellen aus dem späten 17. und 18. Jahrhundert auf, die Zahl der jüdischen Einwohner in und um Rüdesheim blieb jedoch überschaubar. So lebte etwa 1764 nur ein Schutzjude, Isaac Wolf, vor Ort. In Geisenheim waren es zwei Schutzjuden, Hirsch Hayum und Nathan Abraham, und in Johannisberg wohnte der Schulklepperer Feist Menco.2

Die Entstehung der Kultusgemeinde Rüdesheim geht in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. 1841 entschieden die Juden aus den Rheingaugemeinden Rüdesheim, Geisenheim, Winkel, Johannisberg und Eibingen, sich zu einem Gemeindebezirk zusammenzuschließen und eine Synagoge zu erbauen. In Rüdesheim, Geisenheim und Winkel existierten zwar kleine, in Privathäusern eingerichtete Betstuben, sie eigneten sich jedoch nicht als Synagoge für die Gesamtgemeinde. Die strittige Frage war nun, an welchem Ort das neue Gotteshaus gebaut werden sollte. Der herzogliche Amtmann Langsdorff zu Rüdesheim empfahl der Landesregierung, Geisenheim wegen seiner zentralen Lage zum Kultuszentrum zu machen. Doch die Regierung entschied sich für den Amtssitz Rüdesheim. Dort baute die Gemeinde 1842-1843 eine Synagoge in der Grabenstraße, die bis in die 1930er Jahre genutzt wurde.3

1841 lebten in Rüdesheim sechs jüdische Familien, in Geisenheim vier, in Johannisberg und Winkel je zwei und in Eibingen eine Familie. Insgesamt gehörten damit etwa 60 Juden zur Kultusgemeinde. Bis 1874 stieg die Mitgliederzahl auf über 100 Personen an. Die meisten von ihnen, 54 Seelen, waren in Rüdesheim ansässig. Doch auch in dem Filialort Geisenheim wohnten immerhin 38 Juden, die in den 1870er Jahren aufgrund anhaltender Streitigkeiten mit den Rüdesheimern gerne eine selbstständige Gemeinde gegründet hätten, was die Landesregierung aber nicht genehmigte.4

Bis ins 20. Jahrhundert gab es im Kultusbezirk Rüdesheim stets etwa 100 jüdische Einwohner. 1933 war deren Zahl auf 57 Personen zurückgegangen, die nach und nach in die USA auswanderten oder in die nahen Städte Wiesbaden, Mainz oder Bingen umsiedelten. Im Zuge des Novemberpogroms 1938 wurde die Synagoge zerstört und SA-Leute verwüsteten mehrere jüdische Wohnhäuser und Geschäfte, darunter die Eisenwarenhandlung von Carl Rothschild in der Langstraße und die Metzgerei von Josef Moos in der Wilhelmstraße. Die Rentnerin Kätchen Hirschberger und ihre beiden Töchter Else und Irma wurden aus ihrem Haus in der Steinstraße vertrieben und das Mobiliar zerschlagen bzw. entwendet. Die Frauen flüchteten Hals über Kopf zu Verwandten nach Mannheim. Insgesamt fielen mindestens 43 aus Rüdesheim, Geisenheim und Winkel stammende Juden dem NS-Terror zum Opfer.5

Als Persönlichkeit ist der 1876 in Limburg an der Lahn geborene Jurist und Schriftsteller Leo Sternberg zu nennen. Der Sohn eines jüdischen Kaufmanns studierte Jura und Kunstgeschichte und kam 1913 als Amtsrichter nach Rüdesheim. Er schrieb Gedichte und Erzählungen, die zumeist seinem Heimatort Limburg oder dem Nassauer Land gewidmet sind. Obwohl er sich 1905 vom Judentum abgewandt hatte und 1933 zum katholischen Glauben übergetreten war, wurde er 1934 von seinem Richteramt suspendiert. Sternberg starb 1937 im Exil auf der kroatischen Insel Hvar.6

Betsaal / Synagoge

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts existierten in Rüdesheim, Geisenheim und Winkel Beträume in privaten Wohnhäusern. Die Juden von Winkel hatten die Erlaubnis, Gottesdienste vor Ort zu feiern, sogar schon um 1791 unter kurmainzischer Herrschaft erhalten. Nach Gründung der Kultusgemeinde 1841 und dem Entschluss, ein Gotteshaus in Rüdesheim zu errichten, mussten die Winkeler und die Geisenheimer ihre Privatsynagogen aufgeben. Auf Initiative von sechs Gemeindemitgliedern, nämlich Moriz Sobernheim, Feist Levita, Moriz David, Seligmann Emel und Gerson Lennig von Rüdesheim sowie Adolph Fehr von Geisenheim, wurde 1842-1843 eine Synagoge in der Grabenstraße 10 gebaut.7

Das neue Gotteshaus präsentierte sich als einstöckiges Gebäude aus Bruchstein in Form einer einschiffigen Basilika, die auf der Ostseite von einer halbkreisförmigen Apsis begrenzt wurde. Der Eingang befand sich auf der Westseite an der Grabenstraße, gleich daneben war der Aufgang zur Frauenempore. Fünf viereckige Fenster erhellten den Innenraum, drei waren in der Chorapsis eingelassen und zwei weitere in den Seitenwänden im östlichen Abschnitt der Synagoge. Ein Tonnengewölbe bildete das Dach. Als Fassadenschmuck waren im Giebel der vorderen Hauswand oberhalb des Portals zwei steinerne Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten angebracht.8

Im Inneren bot die Synagoge 48 Sitzplätze für Männer und 24 für Frauen. Die Stühle wurden verpachtet, um mit den Einnahmen die Abtragung der auf dem Anwesen lastenden Schuld von 700 Gulden voranzubringen. Das Darlehen hatten die oben genannten Stifter der Synagoge 1842 aufnehmen müssen, weil das Bauprojekt wesentlich mehr Kosten verursachte, als geplant. Insgesamt fielen rund 1.900 Gulden für das Gotteshaus samt Inneneinrichtung und zugehörigem Garten an. Bis 1860 blieb das Anwesen Eigentum jüdischer Privatleute, erst dann ging es formal in den Besitz der Kultusgemeinde Rüdesheim über.9

Die Einrichtung der Synagoge bestand aus Bänken mit Lesepulten aus gebeiztem Eichenholz, wobei pro Sitzplatz zwei Schubladen eingebaut waren. Ferner gab es ein Podium mit Lesepult und einen Wandschrank zur Aufbewahrung der Gesetzestexte. An Kultgegenständen gab es u.a. vier Thorarollen, zwei davon stammten noch aus der früheren Synagoge in Geisenheim und sollen Jahrhunderte alt gewesen sein. Ferner waren zwei silberne Aufsätze mit Glöckchen, zwei silberne Lesefinger, zwei Thoravorhänge, einer aus Plüsch mit Goldstickerei und einer aus weißem Seidendamast mit Stickerei, sowie mehrere Thoramäntel vorhanden. Zahlreiche Gebetsbücher und bemalte oder bestickte Wimpel ergänzten das Inventar der Synagoge in Rüdesheim.10

Beim Novemberpogrom 1938 drangen am frühen Morgen vier SA-Männer aus Wiesbaden gewaltsam in das Rüdesheimer Gotteshaus ein und setzten es in Brand. Die Nachbarn erstickten das Feuer wenig später mit Handfeuerlöschern. Doch acht SA-Leute aus Rüdesheim setzten nachmittags das Zerstörungswerk fort. Mit Werkzeugen und Seilen rissen sie das Gebäude im Beisein einer großen Menge Schaulustiger nieder. Später am Abend feierten sie mit reichlich Alkohol ihre Taten und zogen des Nachts erneut los, um jüdische Wohn- und Geschäftshäuser zu verwüsten. Heute erinnert nur noch eine Gedenktafel, gegenüber dem Standort der einstigen Synagoge an das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde in Rüdesheim.11

Weitere Einrichtungen

Schule

Anfang der 1840er Jahre wurde der jüdische Religionsunterricht für die Kinder aus der Kultusgemeinde in den christlichen Schulen zu Rüdesheim und Geisenheim von Lehrer J. Laubenheimer erteilt. 1846 bestellte die Gemeinde Salomon Rothschild zum Religionslehrer, der zuvor in Münster und Weier bei Runkel unterrichtet hatte. Er blieb bis 1893 in Rüdesheim tätig. Als Anerkennung für seine Dienste überreichte ihm der königliche Landrat Wagner 1892 das Königlich Preußische Allgemeine Ehrenzeichen. 1899 übernahm Josef Jacob die Lehrerstelle, er erteilte bis 1911 den Religionsunterricht in der Kultusgemeinde Rüdesheim.12

Cemetery

Die Juden von Rüdesheim wurden bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts auf dem Mainzer Judensand beigesetzt. Seit 1673 gab es einen Sammelfriedhof in Oestrich, auch Hallgartener Judenfriedhof genannt, auf dem seither alle jüdischen Gemeinden des Rheingaus ihre Verstorbenen beerdigten. 1844/1845 gründeten die Kultusgemeinden Rüdesheim und Eltville eine Beerdigungsbruderschaft und um 1890 schieden beide Gemeinden aus dem Oestricher Friedhofsverband aus. Die Rüdesheimer legten einen neuen, 605 qm großen Totenhof gleich neben dem christlichen Friedhof in der Taunusstraße an. Genutzt wurde diese Begräbnisstätte fortan von den ortsansässigen Juden sowie von jenen aus Geisenheim und Eibingen. Der älteste Grabstein datiert von 1892, der jüngste von 1945. Im letzten Kriegsjahr wurden Rachela Nirenberg und die aus Ungarn stammende Jüdin Sarah Neuman beigesetzt, die vermutlich beide in der KZ-Außenkommandostelle Geisenheim umgekommen sind.13

Oestrich, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Oestrich, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. Kratz: Rüdesheim, S. 16–19; Herchenröder: Rheingaukreis, S. 310–311; Historisches Ortslexikon des Landesgeschichtlichen Informationssystems Hessen (LAGIS) auf http://www.lagis-hessen.de
  2. Alicke: Jüdische Gemeinden, Bd. 3, Sp. 3585–3586; Roth: Juden im Rheingau, S. 171–173; Schutzjuden im Rheingau und ihre Abgaben, 1760–1769 (fol. 45), in: HHStAW 108, 2116; Abschnitt „Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde“, Absatz 1–2, im Artikel „Rüdesheim am Rhein – Jüdische Geschichte/Synagoge“ auf http://www.alemannia-judaica.de/ruedesheim_synagoge.htm
  3. Kultusverhältnisse der Israeliten im Amte Rüdesheim, 1838–1868, in: HHStAW 211, 11514; Die israelitische Kultusgemeinde im Amt Rüdesheim, 1841–1877, in: HHStAW 238, 522; Alicke: Jüdische Gemeinden, Bd. 3, Sp. 3586
  4. Kultusverhältnisse der Israeliten im Amte Rüdesheim, 1838–1868, in: HHStAW 211, 11514; Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 240; Kultus der Israeliten im Amt Rüdesheim, 1873–1877, in: HHStAW 405, 1553
  5. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 239–240; Göttert: Unvergessene Schande, S. 1–4; Abschnitt „Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde“, Absatz 6–10, im Artikel „Rüdesheim am Rhein – Jüdische Geschichte/Synagoge“ auf http://www.alemannia-judaica.de/ruedesheim_synagoge.htm
  6. Schmitt: Juden in Rüdesheim, S. 14–15
  7. Kultusverhältnisse der Israeliten im Amte Rüdesheim, 1838–1868, in: HHStAW 211, 11514; Die israelitische Kultusgemeinde im Amt Rüdesheim, 1841–1877, in: HHStAW 238, 522; Immobilien der Judenschaft zu Rüdesheim, in: HHStAW 362/24, Stockbuch Rüdesheim, Bd. 2, Artikel 191; Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 240
  8. Schmitt: Juden in Rüdesheim, S. 14; Immobilien der Judenschaft zu Rüdesheim, in: HHStAW 362/24, Stockbuch Rüdesheim, Bd. 2, Artikel 191, und Bd. 6, Artikel 632; Entschädigung der jüdischen Gemeinde in Rüdesheim am Rhein, 1954–1962, in: HHStAW 518, 1177
  9. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 240; Die israelitische Kultusgemeinde im Amt Rüdesheim, 1841–1877, in: HHStAW 238, 522; Immobilien der Judenschaft zu Rüdesheim, in: HHStAW 362/24, Stockbuch Rüdesheim, Bd. 6, Artikel 632
  10. Entschädigung der jüdischen Gemeinde in Rüdesheim am Rhein, 1954–1962, in: HHStAW 518, 1177
  11. Göttert: Unvergessene Schande, S. 1–3; Alicke: Jüdische Gemeinden, Bd. 3, Sp. 3587; Abschnitt „Zur Geschichte der Synagoge“, Absatz 2, im Artikel „Rüdesheim am Rhein – Jüdische Geschichte/Synagoge“ auf http://www.alemannia-judaica.de/ruedesheim_synagoge.htm
  12. Kultusverhältnisse der Israeliten im Amte Rüdesheim, 1838–1868, in: HHStAW 211, 11514; Prüfungen an den jüdischen Religionsschulen im Amt Rüdesheim, 1841–1867, in: HHStAW 211, 11516; Abschnitt „Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde“, Absatz 4, und Abschnitt „Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde“ im Artikel „Rüdesheim am Rhein – Jüdische Geschichte/Synagoge“ auf http://www.alemannia-judaica.de/ruedesheim_synagoge.htm
  13. Heinemann: Der jüdische Friedhof in Oestrich, S. 11–18; Alicke: Jüdische Gemeinden, Bd. 3, Sp. 3586; Die israelitische Kultusgemeinde im Amt Rüdesheim, 1841–1877, in: HHStAW 238, 522; Kultusverhältnisse der Juden im Rheingaukreis, (1842/1843) 1867–1925, in: HHStAW 415, 21; Artikel „Rüdesheim am Rhein – Jüdischer Friedhof“ auf http://www.alemannia-judaica.de/ruedesheim_friedhof.htm
Recommended Citation
„Rüdesheim (Rheingau-Taunus-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/12> (Stand: 23.7.2022)