Synagogen in Hessen
- Ordnance Map
- 5521 Gedern
- Modern Maps
- Kartenangebot der Landesvermessung
- Historical Maps
- Großherzogtum Hessen 1823-1850 (Übersichtskarte mit handschriftlichen Ergänzungen) – 12. Schotten
Ober-Seemen
- Gemeinde Gedern, Wetteraukreis — Von Susanne Gerschlauer
- Basic Data ↑
-
Juden belegt seit
17. Jahrhundert
-
Location
63688 Gedern, Ortsteil Ober-Seemen, Mittel-Seemer Straße 4 | → Lage anzeigen
-
Rabbinat
Oberhessen
-
religiöse Ausrichtung
orthodox
-
preserved
ja
-
Gedenktafel vorhanden
ja
-
Weitere Informationen zum Standort
- History ↑
-
Die Ortsherren von Ober-Seemen waren seit dem Mittelalter die Herren von Büdingen. Im Verlauf der Jahrhunderte wechselte die Herrschaft häufig, blieb letztlich aber in Händen der Nachfahren der Grafen von Büdingen (u.a. Eppstein-Königsteiner, Stollberger Herren). 1806 kam Ober-Seemen in den Besitz des Großherzogtums Hessen-Darmstadt.
Einzelne Juden lebten hier offenbar schon im 17. Jahrhundert.1 Die orthodoxe jüdische Gemeinde Ober-Seemen bestand vermutlich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. 1830 lebten 141 Juden in Ober-Seemen, 1905 90 (= 9,73 Prozent). 1925 waren von etwa 1.100 Einwohnern 87 jüdischen Glaubens (ca. acht Prozent der Gesamtbevölkerung). Die Gemeinde besaß neun Thorarollen, die 1938 mit 2.700,– RM versichert waren. Vorsitzende der jüdischen Gemeinde waren in den 1930er Jahren Leopold Strauß, David Zimmermann und Josef Schuster.2 Überwiegend waren die jüdischen Ober-Seemener Kaufleute und Viehhändler; es gab einen Bäcker und einen Schuster.
Bis 1933 reduzierte sich die anfangs hohe Zahl jüdischer Einwohner durch die auch in anderen Landgemeinden verbreitete Migration in die Städte auf nur noch 20 Familien, von denen einige auswanderten. 1938 war die Synagogengemeinde Ober-Seemen bereits aufgelöst.3 Die in Ober-Seemen verbliebenen Juden wurden 1942 verhaftet und in Konzentrationslager deportiert, wo sie nach dem bisherigen Forschungsstand ermordet wurden.4
- Betsaal / Synagoge ↑
-
Vermutlich bestand vor der Neuerrichtung der beiden folgenden Synagogengebäude mindestens ein Betraum in Privathäusern von Angehörigen der jüdischen Gemeinde.
Die erste belegte Synagoge, vermutlich Anfang des 19. Jahrhunderts erbaut, stand auf demselben Grundstück wie die jüngste, etwas nach Nordosten versetzt. Hierin befand sich auch ein Raum für den Religionsunterricht. Sie besaß einen rechteckigen Grundriss und war aus bearbeiteten Feldsteinen errichtet worden.5 Der Frauenbereich bot 32 Frauen Platz, auf Dauer zu wenig für die Menge der Besucherinnen.6
Aus Platzgründen und wegen Baufälligkeit der alten Synagoge, wurde Ende des 19. Jahrhunderts ein Neubau beschlossen und vom zuständigen Kreisamt in Schotten genehmigt. 1899 wurde der Marburger Architekt Wilhelm Spahr7 mit der Planung der Synagoge für die jüdische Gemeinde Ober-Seemen beauftragt. Die technische Ausführung betreute der Architekt Seuling aus Gießen. Die Gail'schen Tonwerke aus Gießen lieferten Klinkersteine. Die Kosten des Neubaus beliefen sich auf mehr als 30.000,– RM; das fertige Gebäude wurde mit 22.670,– RM gegen Brand versichert.8
Das repräsentative Gebäude steht exponiert und an drei Seiten frei einsehbar an der leicht nach Südosten ansteigenden Mittel-Seemener-Straße Nr. 4-6, am südöstlichen, ehemaligen Ortsrand liegend. Die Synagoge wurde als zweigeschossiges, rechteckiges Massivgebäude aus mittelgroßen Feldsteinen über einem Grundriss von etwa 170 Quadratmetern errichtet (16,70 x 10,60 Meter). Das Satteldach mit Schopfwalm im östlichen Giebel ist mit grauen Falzziegeln gedeckt. Mit einer Mikwe im Keller, einem Raum für den Religionsunterricht und vermutlich einem für Gemeindeversammlungen stellte sie einen vollständigen Synagogentyp dar. Aufgrund ihres Erscheinungsbildes hob sich die Synagoge deutlich von der umgebenden Wohnbebauung ab. Blickpunkt sind die Schmuckelemente des Hauses, die romanische und maurische Formen zeigen, wobei der Schildgiebel durch die orientalisch anmutende Supraporte des Portals besonders hervorsticht. Im Nordwesten, zum Ort hin gerichtet, dominiert er die in der Mittelachse eingebaute zweiflügelige Haupteingangszone sowie das im Giebel eingesetzte Rundfenster. Das Portal bekrönt ein großer Zierrahmen in Form eines spitz zulaufenden Hufeisenbogens, mit kleinem Okulus und einem Fries aus kreisförmigen Kettengliedern. Zwei flankierende einfache Lisenen betonen die Vertikale. Den Giebelabschluss bildet ein Zinnenfries. Der Giebelspitze sind die Gesetzestafeln Mose, den Giebelenden mit Rundbogenspiegeln verzierte Türmchen und flachem Pyramidendach mit Knauf zur Bekrönung aufgesetzt. Alle drei Schmuckelemente wurden von kurzen Stangen verziert, auf denen je ein – vergoldeter (?) - Davidstern angebracht war.9 In der nordwestlichen Giebelseite lag der durch vier Treppenstufen erhöhte Haupteingang in das Gebäude. Im Südosten befand sich ein Nebeneingang, durch den die dort eingerichtete Lehrerwohnung erschlossen wurde.
Bis auf die Giebelwand im Südosten haben alle Gebäudeseiten im Unter- und Obergeschoss zweiflügelige Fenster. Diese gliedern die Fassaden in der Horizontalen. Eine breite Fase erhöht die optische Wirkung der Öffnungen. Im Untergeschoss sind heute im Nordwesten und in der südlichen Traufe einfache Rechteckfenster, in der nördlichen Traufseite in die rechteckigen Gewände gekuppelte Fenster eingebaut, durch zierliche Pilaster mit Würfelkapitell gegliedert. Die Obergeschossfenster gleichen sich; die in den Traufseiten langgezogenen Rundbogenfenster sind optisch durch die Kämpfer- und Schlusssteine hervorgehoben. Im Schildgiebel und der südlichen Traufseite wird die Horizontale durch ein schmales Gurtgesims in Sohlbankhöhe sowie durch ein umlaufendes Sockelgesims betont. Eine deutliche vertikale Akzentuierung erzeugen neben den etwas breiteren Ecklisenen, auf allen drei frei einsehbaren Seiten die Lisenenbänder, die die Wände in fünf (Traufseiten) bzw. drei (Schildgiebel) Zonen einteilen. Alle Gliederungselemente sind in rötlichem Sandstein ausgeführt.
Das Innere der Synagoge ist nicht rekonstruierbar. Bekannt ist der Verlauf der Frauenempore, die durch eine Treppe in der nordwestlich gelegenen Eingangshalle erschlossen wurde und dreiseitig umlaufend angelegt war. Sie ruhte auf sechs gusseisernen filigranen Säulen. Diese waren kanneliert und schlossen in Kelchkapitellen mit vier aufgesetzten Kreisen oben ab.
Trotz der Auflösung der jüdischen Gemeinde 1938 und des Verkaufs des Synagogengebäudes an die politische Gemeinde blieb die Synagoge vor Zerstörung im November 1938 nicht komplett verschont. Später wurde sie im Inneren umgebaut, so dass nur spärliche Reste der ehemaligen Einrichtung erkennbar blieben, beispielsweise einige der gusseisernen Emporenstützen, die die Frauenempore unterfingen.10
- Weitere Einrichtungen ↑
-
Mikwe
In dem um 1900 erbauten Synagogengebäude befand sich eine Mikwe. Vermutlich lag sie im nordwestlichen Bereich, teilweise unterhalb des Gottesdienstsaales.11
-
Schule
Religionsunterricht wurde bis in die 1920er Jahre in einer israelitischen Elementarschule abgehalten12; danach lebten nicht mehr genug Schulkinder im Ort. Anschließend wurden die Kinder sowohl in dafür vorgesehenen Räumlichkeiten der Vorgänger- sowie der jüngsten Synagoge in jüdischer Religionslehre unterrichtet.
-
Cemetery
- References ↑
-
Weblinks
-
Sources
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW):
- HHStAW Best. 365, Nr. 627: Geburts-, Trau- und Sterberegister der Juden von Nidda (enth. Ober-Seemen), 1795-1808
- HHStAW Best. 503, Nr. 7366: Entschädigungsansprüche der jüdischen Gemeinden im Regierungsbezirk Wiesbaden. Band 11: Gebäude der jüdischen Kultusgemeinde in Schlüchtern (darin: Zerstörung der Kultgegenstände aus der Synagoge in Ober-Seemen), (1932-1933) 1960-1962
- HHStAW Best. 518, Nr. 1175: Entschädigungsakte Jüdische Gemeinde Schlüchtern (enth. Auflistung der aus Ober-Seemen ausgelagerten Kultgegenstände), 1954-1962
- Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD):
- HHStAW Best. G 15 Schotten, Nr. L 10: Voranschläge der israelitischen Religionsgemeinden: Ober-Seemen, 1906-1935, 1946
- HHStAW Best. G 15 Schotten, Nr. L 32: Bau und Unterhaltung der Synagoge zu Ober-Seemen, 1888-1938
-
Bibliography
- Altaras, Thea: Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945? Königstein im Taunus 2007
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1971/1972; hier: Band 2, S. 156-157
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang, Untergang, Neubeginn. Bilder, Dokumente. Darmstadt 1973
- Gerschlauer, Susanne: Ländliche Synagogen im 19. und 20. Jahrhundert in der Wetterau und im Vorderen Vogelsberg – an ausgewählten Beispielen. Magisterarbeit, unveröffentlicht, Marburg 1991
-
Illustrations
- Ober-Seemen: Die ehemalige Synagoge (1985) (647-FM-30)
- Ober-Seemen: Die ehemalige Synagoge (1985) (647-FM-40)
- Ober-Seemen: Die ehemalige Synagoge (1985) (647-FM-50)
- Indices ↑
-
Persons
Büdingen, Herren von · Büdingen, Grafen von · Eppstein-Königstein, Herren von · Stolberg, Herren von · Strauß, Leopold · Zimmermann, David · Schuster, Josef · Spahr, Wilhelm · Seuling, Architekt
-
Places
-
Sachbegriffe Geschichte
-
Sachbegriffe Ausstattung
-
Sachbegriffe Architektur
Klinker · Feldsteine · Satteldächer · Schopfwalme · Falzziegel · Schildgiebel · Supraporte · Portale · Rundfenster · Zierrahmen · Hufeisenbögen · Okuli · Friese · Lisenen · Zinnenfriese · Gesetzestafeln · Rundbogenspiegel · Türmchen · Pyramidendächer · Knäufe · Davidsterne · Pilaster · Würfelkapitelle · Kämpfersteine · Schllusssteine · Gurtgesimse · Sohlbänke · Sockelgesimse · Lisenen · Lisenen · Sandstein · Frauenemporen · Säulen · Kelchkapitelle
- Fußnoten ↑
-
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 156 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 157 ↑
- Altaras, Synagogen 2007, S. 390 f.; Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 157 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 157 ↑
- Gerschlauer, Ländliche Synagogen, S. 35 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 156 ↑
- Wilhelm Spahr plante ebenfalls die Marburger Synagoge in der Universitätsstraße, 1897. ↑
- HStAD, G 15 Schotten, L 10 und L 32 ↑
- HStAD, G 15 Schotten, L 32: Rechnungsbuch der jüdischen Gemeinde, 1902; Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 157 ↑
- Ortsbegehung 1993 durch die Autorin ↑
- HStAD, G 15 Schotten, L 32; Rechnungsbuch der jüdischen Gemeinde, 1902 ↑
- Ortsartikel Ober-Seemen auf Alemannia Judaica (s. Weblink) ↑
- Recommended Citation ↑
- „Ober-Seemen (Wetteraukreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/647> (Stand: 5.9.2022)