Synagogen in Hessen
Nieder-Wöllstadt
- Gemeinde Wöllstadt, Wetteraukreis — Von Susanne Gerschlauer
- Basic Data ↑
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Juden belegt seit
2. Hälfte 17. Jahrhundert
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Location
61206 Wöllstadt, Ortsteil Nieder-Wöllstadt, Bahnhofstraße 3 | → Lage anzeigen
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Rabbinat
Oberhessen
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preserved
nein
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Jahr des Verlusts
1938
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Art des Verlusts
Zerstörung
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Gedenktafel vorhanden
ja
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Weitere Informationen zum Standort
- History ↑
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Die Ortsherren von Nieder-Wöllstadt waren seit der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zum Ende des 14. Jahrhunderts die Herren von Münzenberg bzw. Falkenstein. Anschließend hatte der Ort eine wechselvolle Besitzergeschichte, die bis 1806 wesentlich in den Händen von zwei großen Adelsfamilien lag, der von Sayn und der Solmser (verschiedener Linien). 1806 ging Nieder-Wöllstadt an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt über.
1797 lebten im Ort 567 Personen (142 Familien). Der Ort war seit der Reformation evangelisch geprägt.1 Juden lebten in Nieder-Wöllstadt vermutlich bereits seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Möglicherweise kamen die ersten von ihnen aus dem nahegelegenen Fauerbach bei Friedberg.2 Von 1704 bis 1724 bildeten die Nieder-Wöllstädter Juden eine Synagogengemeinde zusammen mit denen aus dem etwa drei Kilometer entfernten Assenheim, wo auch die Gottesdienste stattfanden.3 Um 1729 hatte Nieder-Wöllstadt eine eigene, später liberale Synagogengemeinde mit etwa 25–30 Personen.4 Juden aus dem benachbarten Bruchenbrücken besuchten für einige Zeit die Gottesdienste in Nieder-Wöllstadt, bevor sie der Synagogengemeinde Assenheim angehörten. 1830 lebten 42 Juden in Nieder-Wöllstadt, 1895 waren 34 gemeldet. 1905 wohnten 46 Juden im Ort (3,56 Prozent Anteil bei 1.292 Einwohnern.5 1933, als Moritz Strauss den Vorsitz der jüdischen Gemeinde innehatte, lebten hier noch 33 Juden.
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts nennen Archivalien einen „Judenbaumeister“6, dessen Funktion unbekannt ist. Vielleicht betreute dieser „Baumeister“ die öffentlichen Gebäude der Synagogengemeinde. Im 18. Jahrhundert finden sich zudem folgende Berufe von Juden in Nieder-Wöllstadt und Fauerbach: Strumpfmacher, Seifensieder, Uhrmacher, Zehngebotschreiber, Bäcker, tätig im Lotteriegeschäft. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert arbeiteten die Juden als Händler (Vieh, Getreide, Textilien) und Handwerker (Metzger) oder gingen einer Arbeit in Frankfurt nach.7
Bis 1942 waren einige Juden ausgewandert oder innerhalb Deutschlands verzogen. Vier jüdische Nieder-Wöllstädter wurden 1942 verhaftet und anschließend in Konzentrationslager verschleppt, in denen sie vermutlich ermordet wurden.
- Betsaal / Synagoge ↑
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In der Sekundärliteratur wird ein Synagogengebäude erwähnt, das bereits 1729 Bestand gehabt haben soll.8 Wahrscheinlich wird hier ein Vorgängerbau bzw. ein Betraum gemeint sein, der vielleicht in der Wiesengasse gestanden hat.9
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das sogenannte „Alte Brauhaus“ von Nieder-Wöllstadt an die jüdische Gemeinde verpachtet, damit es als Synagoge benutzt werden konnte.10 Über Aussehen und Standort ist bisher nichts bekannt.
Die bisher einzig bekannte Abbildung der letzten Synagoge, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, zeigt ein kleines, beinahe quadratisches, hell verputztes Gebäude, in der heutigen Bahnhofstraße, möglicherweise Nr. 3.11 Die Lage dieses Bauplatzes für eine Synagoge ist insofern bedeutend, als er sich zwar am nördlichen ehemaligen Ortsrand, jedoch in Nachbarschaft zur ca. 1718 gebauten evangelischen Kirche und des 1779 erbauten Rathauses befand. Somit war die Präsenz der jüdischen Bürger im Ort durch ihr Gotteshaus augenscheinlich.
Das vermutlich als Synagoge um die Mitte des 19. Jahrhunderts errichtete Gebäude war mit einem Walmdach mit Biberschwanzziegeln gedeckt. Die breite Traufseite des von der Straße zurückgesetzten Gebäudes, die zur Straßenkreuzung hingewandt war, zeigte zwei einfach gestaltete Rundbogen-Sprossenfenster mit rundbogigen einfachen Fensterläden. Im vermutlich westlichen Drittel der Wand war eine einfache Tür mit geradem Schluss erkennbar. Falls diese Tür der Hauptzugang in den Raum war, kann im Innern dahinter eine Treppe für die Erschließung einer vermuteten Frauenempore angenommen werden. Die Empore verlief wahrscheinlich entlang der Westwand.12
Besondere bauliche Elemente oder Attribute, die das Haus als Gottesdienstgebäude auszeichneten, sind nicht zu erkennen. So bleibt allein die auffällige Gebäude- und Fensterform, die sich vom umgebenden Ortsbild abhob, um die Synagoge als besonderes Gebäude zu erkennen. Zusätzlich optisch auffällig war die das Grundstück umgebende, etwa 1,70 Meter hohe Ziegelsteinmauer. Nur eine schmale, schmiedeeiserne Pforte ermöglichte von der Straßenkreuzung her den Zugang auf das Gelände.
In der Reichspogromnacht, am 10. November 1938, wurde die Synagoge mithilfe eines Traktors eines ortsansässigen Landwirtes von Nationalsozialisten niedergerissen. Später wurden alle Reste beseitigt.13 Heute erinnert eine Gedenktafel am Ort der ehemaligen Synagoge an die ermordeten jüdischen Nieder-Wöllstädter und ihre Synagoge.
- Weitere Einrichtungen ↑
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Mikwe
Archivalisch ist eine Mikwe im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts im Haus der Schutzjüdin Vogel Strauß fassbar.14
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Cemetery
Im 18. Jahrhundert benutzten die Juden aus Nieder-Wöllstadt den jüdischen Friedhof der Fauerbacher Juden bei Friedberg, etwa sieben Kilometer entfernt. Ein ortsnah gelegener Friedhof entstand vermutlich erst um die Wende zum 19. Jahrhundert und lag, von einer Mauer umgeben an der Ringstraße.15
→ Friedberg, Alter Jüdischer Friedhof (Ockstädter Straße): Datensatz anzeigen
→ Nieder-Wöllstadt, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen - References ↑
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Weblinks
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Sources
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW):
- HHStAW Best. 365, Nr. 950: Musterungslisten der jüdischen Einwohner im Amt Homburg vor der Höhe (1814) und in der Stadt Homburg vor der Höhe (1824), (enth. Aufstellung der Judenfamilien von Nieder-Wöllstadt (1814), mit Geburtsjahr (ab ca. 1750), zum Teil mit Angaben zu Beruf, Vermögen, Heirats- und Sterbejahr), (ca. 1720-1840) 1814, 1824
- HHStAW Best. 518, Nr. 1458: Entschädigungsakte Jüdische Gemeinde Nieder-Wöllstadt, 1949-1962
- Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD):
- HStAD Best. R 21 J, Nr. 1000: Entscheidung der Regierung Rödelheim über eine Klage der Jüdin Brendel zu Lindheim gegen den Judenbaumeister Isaak Wolf zu Nieder-Wöllstadt wegen Herausgabe verschiedener Gegenstände, die zur Hochzeit mit dem Judenschulmeister Löw Abraham zu Nieder-Wöllstadt benötigt worden waren, und über die Schuldklage des Isaak Wolf gegen den Löw Abraham, 1751-1752
- HStAD Best. R 21 J, Nr. 2025: Regulierung eines Streits zwischern dem Landlieutenant Johann Jakob Bausch zu Nieder-Wöllstadt und dem Schutzjuden Isaak Wolf, Judenbaumeister daselbst, um einen Grundzins für die Überlassung eines in der Neustadt belegenen Hauses, 1749-1751
- HStAD Best. R 21 J, Nr. 2353: Regulierung eines Streits zwischen den Juden Jakob (Jekoff) und David zu Groß-Karben einerseits und dem Judenbaumeister Isaak Wolf zu Nieder-Wöllstadt andererseits um einen Handel mit Gänsen, 1751-1752
- HStAD Best. R 21 J, Nr. 2976: Bestätigung des Juden Mortge zum Judenbaumeister der Judengemeinde Nieder-Wöllstadt durch die Regierung Rödelheim auf Antrag des Juden Isaak Wolf zu Nieder-Wöllstadt, 1741
- HStAD Best. R 21 J, Nr. 3007: Entscheidung der Regierung Rödelheim über Klagen der Judenbaumeister Juda [Gumbel], Isaak und Löw Münzenberg zu Nieder-Wöllstadt gegen den Judenvorsteher Jakob Mortge sowie Schmeye [Ullmann] um die Verwendung von Almosengeldern, 1761-1762
- HStAD Best. R 21 J, Nr. 3023: Entscheidung der Regierung Rödelheim über eine Klage des Judenbaumeisters Hertz sowie des Juden Löw Ullmann zu Nieder-Wöllstadt gegen den dortigen Juden Jakob (Jekoff) [Mortge] um rückständigen Hauszins, 1771
- HStAD Best. R 21 J, Nr. 3307: Pachtweise Überlassung des sog. Alten Brauhauses zu Nieder-Wöllstadt an die Judenschaft daselbst zur Verwendung als Judenschule (Synagoge) sowie Amtshilfe der Regierung Rödelheim gegenüber den Juden zu Okarben zur Zahlung von Schulgeld an die Judengemeinde Nieder-Wöllstadt, 1730-1752
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Bibliography
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1971/1972, hier: Band 2, S. 145-146
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang, Untergang, Neubeginn. Bilder, Dokumente. Darmstadt 1973
- Gerschlauer, Susanne: Synagogen, in: Kirchen und Synagogen in den Dörfern der Wetterau, hrsg. von Ulrich Schütte. Friedberg 2004 (= Wetterauer Geschichtsblätter Nr. 53), S. 289–326
- Ruppin, Arthur: Die Juden im Großherzogtum Hessen. Berlin 1909
- Wolf, Dieter: Wöllstädter Heimatbuch. Vom alten Nieder-Wöllstadt. 2. Aufl. Wöllstadt 1977
- Wolf, Dieter (Bearb.): Nieder-Wöllstadt 1846–1933. Zwischen Eisenbahn und Weltwirtschaftskrise. Wöllstadt 1983
- Wolf, Dieter / Runge, Fritz (Hrsg.): 1200 Jahre Wöllstadt 790–1990. Aus der Geschichte von Nieder-Wöllstadt. Horb am Neckar 1990
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Illustrations
- Indices ↑
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Persons
Münzenberg, Herren von · Falkenstein, Herren von · Strauss, Moritz · Strauß, Vogel
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Places
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Sachbegriffe Geschichte
Hessen, Großherzogtum · Konzentrationslager · Reichspogromnacht
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Sachbegriffe Architektur
Walmdächer · Biberschwänze · Rundbogenfenster · Fensterläden · Frauenemporen · Emporen · Pforten
- Fußnoten ↑
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- Wolf/Runge, 1200 Jahre Wöllstadt, S. 84 f.; Wolf, Wöllstädter Heimatbuch, S. 88 ↑
- Wolf, Wöllstädter Heimatbuch, S. 89; Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 145 ↑
- Wolf, Wöllstädter Heimatbuch, S. 90 ↑
- Wolf, Wöllstädter Heimatbuch, S. 90 ↑
- Ruppin, Juden, S. 74 ↑
- HStAD R 21 J, 2976; vgl. auch: HStAD R 21 J, 1000, 2025, 2353, 3007 und 3023 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 146 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 145; Wolf, Wöllstädter Heimatbuch, S. 90 ↑
- Wolf/Runge, 1200 Jahre Wöllstadt, S. 85 ↑
- HStAD R 21 J, 3307 ↑
- Bei Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 157, wird fälschlicherweise angegeben, das Gebäude stamme aus dem Jahr 1729; vgl. dazu z. B. Angaben von Wolf/Runge, 1200 Jahre Wöllstadt, S. 85 ↑
- Wolf, Wöllstädter Heimatbuch, S. 90 f. ↑
- Wolf, Wöllstädter Heimatbuch, S. 93 ↑
- Wolf, Wöllstädter Heimatbuch, S. 91 f. ↑
- Wolf, Wöllstädter Heimatbuch, S. 90, 92 ↑
- Recommended Citation ↑
- „Nieder-Wöllstadt (Wetteraukreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/413> (Stand: 23.7.2022)