Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Nieder-Florstadt Karten-Symbol

Gemeinde Florstadt, Wetteraukreis — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

Ende 16. Jahrhundert

Location

61197 Florstadt, Stadtteil Nieder-Florstadt, Faulgasse 13 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Die Ortsherren von Nieder-Florstadt waren vom 15. bis ins 19. Jahrhundert hinein die Ganerben von Staden. 1806 kam der Ort in den Besitz des Großherzogtums Hessen-Darmstadt.

Schon Ende des 16. Jahrhunderts sind in Nieder-Florstadt lebende Juden archivalisch fassbar.1 Eine Synagogengemeinde bestand vermutlich bereits vor 1800,2 vielleicht schon um 1600.3 Für einige Zeit besuchten Juden aus dem benachbarten Staden die Synagoge in Nieder-Florstadt.4

Um 1830 lebten im Ort 103 Juden, 1857 waren es 154. Gut fünfzig Jahre später war die Anzahl jedoch auf 54 Juden gesunken, was bei einer Gesamtbevölkerung von 1677 einem Anteil von 3,22 Prozent entspricht.5 Um die Jahrhundertwende war Herz Kahn Vorsteher der jüdischen Gemeinde; einer der letzten Vorsitzenden war Herrmann Adler.6

Die Berufe der jüdischen Bürger verteilten sich um die Jahrhundertwende auf Kaufleute und Handwerker (ein Metzger). Anfang des 20. Jahrhunderts war Abraham Adler 20 Jahre lang stellvertretender Bürgermeister von Nieder-Florstadt. Leiter der Bürgermeisterei und Bürgermeistersekretär war von 1920 bis 1930 Albert Kahn.7

Es ist davon auszugehen, dass bis nach der Machtübergabe an Hitler 1933 die jüdische Gemeinde noch Bestand hatte und sich gezwungenermaßen erst nach einigen Jahren aufgrund der antisemitischen Politik auflöste. Nach der Pogromnacht 1938 wurden vorübergehend die Thorarollen der orthodoxen jüdischen Gemeinde gerettet, später jedoch komplett vernichtet, indem sie in der Nidda versenkt wurden.8 Von den 1938 noch 40 im Ort lebenden Juden verzogen alle bis auf fünf. Diese wurden 1942 verhaftet, deportiert und in Konzentrationslagern ermordet.9

Betsaal / Synagoge

Auf einen Betraum oder ein Vorgängergebäude der Synagoge gibt es nur indirekte Hinweise.10

Die jüngste Synagoge stand in der Faulgasse gegenüber der Schreinerei11 am Rand des alten Ortskernes, etwa 100 Meter vom Niddaufer entfernt. Sie wurde um 1800 errichtet und stand mit dem Ostgiebel zur Straße; an der Südseite schloss sich ein umzäuntes Gartengrundstück an. Aufgrund ihres Erscheinungsbildes zur Straße hin hob sie sich von der umgebenden Wohnbebauung ab.

Das Gebäude hatte ein Satteldach mit Schopfwalm zur Straße und war wohl mit Schiefer oder Biberschwanzziegeln gedeckt.12 Es war ein rechteckiges, zweizoniges, über niedrigem Sockel gebautes, unverputztes zweigeschossiges Fachwerkhaus. Der östliche Bereich mit dem Synagogenraum war symmetrisch angelegt und verlief über zwei Geschosse. Dieser Gebäudeteil war in Ständerbauweise verzimmert. Der Bereich wurde durch je eine nach innen divergierende Strebe in den beiden äußeren Gefachen im Osten und Westen vom westlichen Gebäudekomplex abgegrenzt. Die Mittelachse der Wand gliederte im obersten Gefach ein nach außen verlaufendes Strebenpaar. Zu beiden Seiten der Mittelachse war je ein hohes, wahrscheinlich mit buntem Glas verziertes Rundbogenfenster eingebaut. Die Fenster wiesen neoromanische Stilelemente auf: drei innere, rechteckige, übereinanderliegende, durch Andreaskreuzform gegliederte Felder, die durch ein dreiseitig umlaufendes Band gerahmt wurden. Der Haupteingang in die Synagoge lag vermutlich im Süden.

Den Ostgiebel, der direkt mit der Bauflucht in der Straße abschloss, gliederten symmetrisch zwei hohe Rundbogenfenster; vermutlich der gleichen Bauart wie in der Südtraufe. Sie waren um ein wandbildprägendes, im oberen Drittel der Mittelachse eingesetztes Achteck- oder Rundfenster angeordnet. Der Dachbereich des Ostgiebels scheint schmucklos gewesen zu sein.

Die drei im Süden erkennbaren Fensterachsen des Obergeschosses zeigen zweiflügelige Sprossenfenster mit geteiltem Oberlicht. Die unterschiedliche Zimmertechnik des westlichen Gebäudeteiles, die Verwendung unterschiedlicher Holzquerschnitte und die Struktur der Wandaufbauten lässt vermuten, dass dieser Bauteil nachträglich angebaut wurde. Er enthielt möglicherweise Wohnungen, die über eine innenliegende Treppe zu erreichen waren.

In der Reichspogromnacht, am 8. November 1938 wurde das Synagogengebäude durch Brand stark zerstört und später komplett abgebrochen. Das Grundstück wurde auf die benachbarten Grundbesitzer aufgeteilt, die es als Garten nutzten. Heute steht hier ein Wohnhaus. An die Synagoge erinnert ein Gedenkstein.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

In einer Bürgermeistereirechnung von 1592 wird ein jüdisches Badehaus erwähnt. Reste davon müssen bis in die 1970 Jahre noch greifbar gewesen sein.13

Cemetery

Der Friedhof der jüdischen Gemeinde war 938 Quadratmeter groß und lag etwa 500 Meter südöstlich der Synagoge. Bis auf ein Mahnmal auf einem Teil des zerstörten Friedhofs in der Kirchgasse erinnert vor Ort nichts mehr an ihn.14

Nieder-Florstadt, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. Gemeindeblatt Florstadt, Verweis auf die Bürgermeistereirechnung von 1592
  2. Ruppin, Juden, S. 74
  3. Gemeindeblatt Florstadt 12/197
  4. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 132
  5. Hock, Nieder-Florstadt, S. 103; Ortsartikel Nieder-Florstadt auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  6. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 132
  7. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 132
  8. Gemeindeblatt Florstadt 12/197
  9. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 132
  10. HStAD R 21 J, 33032
  11. Gemeindearchiv Florstadt 12/197; Hausblatt Nr. 33
  12. Die folgenden Angaben zur Synagoge sind aus historischen Fotografien erschlossen.
  13. Gemeindeblatt Florstadt 12/197
  14. Gemeindeblatt Florstadt 12/197
Recommended Citation
„Nieder-Florstadt (Wetteraukreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/264> (Stand: 23.7.2022)