Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Mörfelden Karten-Symbol

Gemeinde Mörfelden-Walldorf, Landkreis Groß-Gerau — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

Ende 16. Jahrhundert

Location

64546 Mörfelden-Walldorf, Stadtteil Mörfelden, Kalbsgasse 1 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Mörfelden gehört zu den wenigen Ortschaften im Kreis Groß-Gerau, für die eine jüdische Besiedlung schon im auslaufenden 16. Jahrhundert als sicher angenommen werden kann. Das könnte daran gelegen haben, dass Mörfelden bis 1600 nicht zu Hessen, sondern zu Isenburg gehörte. 1611 wurde mit Aaron erstmals ein Jude namentlich genannt. Auch wenn die archivalische Überlieferung schlecht ist, kann ein durchgehender Aufenthalt für das 17. Jahrhundert angenommen werden. Mit dem 1696 genannten Mordachai beginnen dauerhafte Nachweise für jüdische Einwohner. 1734 lebten zwei Familien mit acht Kindern, insgesamt zwölf Personen in Mörfelden. Im Verlaufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren es im Schnitt drei jüdische Familien.1 Zahlenmäßigen Aufschwung erlebte die Gemeinde ab etwa 1800, als 25 jüdische Personen in Mörfelden lebten. 1861 erreichte diese Zahl mit 80 ihre absoluten und mit 5,2 % der Gesamtbevölkerung auch ihren relativen Höchststand. Danach sank die Anzahl wieder, 1939 und 1941 lebten noch jeweils 15 jüdische Personen im Ort.

Die überwiegende Mehrzahl verdiente ihren Lebensunterhalt als Händler. Gelegentlich verfügte eine Familie über kleinen Grundbesitz, auf dem Feldfrüchte, in aller Regel zum Eigenbedarf, angebaut wurden. 1819 standen fünf meist kleinere Häuser in jüdischem Besitz. 1853 gab es zwei jüdische Spezereikrämer, fünf Fruchthändler, die im Nebengewerbe Viehhändler und abermals Spezereikrämer waren, ein Ellenwarenkrämer, auch dieser im Nebengewerbe, zwei Viehmakler sowie ein Hausierer. Auch wenn diese Auflistung der Berufe scheinbar typisch für jüdische Bewohner ländlicher Gemeinden des 19. Jahrhunderts zu sein scheint, so betraf sie keineswegs ausschließlich Juden. Zwischen 1836 und 1870 wurden in Mörfelden 29 Patente für Hausierer ausgegeben, von denen allerdings nur 13 an Juden gingen.2 In der zweiten Hälfte des 19., vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts änderte sich die berufliche Zusammensetzung und mehr und mehr traten Einzelhändler hinzu. 1933 waren von den 17 jüdischen Erwerbspersonen fünf Kaufleute, ein Händler, fünf Angestellte, zwei Schneider, ein Schreiner, ein Metzger und eine Arbeiterin.

Am 19. Januar 1851 wurde ein israelitischer Krankenunterstützungsverein gegründet. In der Präambel der Gründungssatzung heißt es, dass der Verein auf dem Grundsatz fußt, dass neben Gelehrsamkeit und Gottesdienst die Ausübung von Wohltaten die Welt zusammenhält. Zweck des Vereines war es, für die ärztliche Betreuung, Pflege und Unterhaltung seiner erkrankten Mitglieder zu sorgen und bei eintretenden Sterbefällen die üblichen religiösen Handlungen zu verrichten.3 Ein Blick auf andere Vereinstätigkeiten zeigt aber auch die Verankerung jüdischer Bewohner in der Mehrheitsgesellschaft. So war Falk Oppenheimer 1865 Mitbegründer und zeitweise erster Vorsitzender des Mörfeldener Spar- und Vorschussvereins. Simon Schott war nicht nur Mitglied im Gesangsverein, sondern 1922 auch erster Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins. Im gleichen Jahr wirkte Moses Schott als Schriftführer des Kriegervereins und Julius Oppenheimer initiierte 1920 die Gründung der Mörfeldener Naturfreundebewegung.4

1933 zählten auch die in Walldorf wohnenden Juden zur Gemeinde Mörfelden. Zudem besuchten manche der in Worfelden wohnenden Juden den hiesigen Gottesdienst.

In Walldorf lebten im 19. Jahrhundert zumeist eine, zeitweise auch zwei jüdische Familien. Schon 1880 wurden nur noch zwei jüdische Einwohner genannt.5

Nachdem im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder weiter abnahm und in den ersten Jahren nach der Machtübergabe weitere Personen Mörfelden verließen, war ein geregelter Gottesdienst kaum noch möglich. Im Herbst 1937 verkaufte die Gemeinde die Synagoge an die Konsumgenossenschaft Trebur. Daher überfielen in der Pogromnacht Nationalsozialisten das Haus der Familie Goldschmidt und zündeten deren Scheune an. Zudem wurden viele jüdische Häuser und Geschäfte überfallen und Fenster eingeworfen. Reichsweite Verhaftungen folgten und betrafen auch Personen aus Walldorf und Mörfelden.

Am 6. März 1942 wurden zehn Menschen aus Mörfelden und zwei aus Walldorf deportiert.6

Als erste Gemeinde im Kreis Groß-Gerau und eine der ersten in der Bundesrepublik ließ Mörfelden-Walldorf 1986 seine jüdische Geschichte aufarbeiten.7

Betsaal / Synagoge

Die Bildung einer eigenen Gemeinde wird für die Zeit um 1800 angenommen, als 25 Juden im Ort wohnten. Unbekannt ist, wo sich seinerzeit die Synagoge oder der Betraum befanden. In der Folgezeit erwarb die Gemeinde in der Kalbsgasse 1 einen Schafstall und baute ihn zur Synagoge um, die am Tag vor dem Pessachfest 1829, am 17. April, eingeweiht wurde. Unterstützt wurde dieser Umbau durch Spenden der Großherzogin von Hessen, des Barons von Rothschild und anderer Glaubensgenossen, während die bürgerliche Gemeinde Mörfelden einen goldbestickten Thoravorhang schenkte.8 Die Synagoge bot Platz für 54 Männer und 32 Frauen.

Bereits 1936 überfielen Kinder und Mitglieder der Hitlerjugend die Synagoge, bewarfen sie mit Steinen und zerstörten Teile der Inneneinrichtung. Auch aufgrund anderweitiger Repressalien und weil sie sich eine Instandsetzung nicht leisten konnte, entschloss sich die Gemeinde, das Gebäude zu verkaufen. Mit Vertrag vom 18. Oktober 1937 ging es einschließlich Grundstück an die Verbrauchergenossenschaft Trebur e.G.m.b.H über, die mit 1.500 Reichsmark deutlich unter dem tatsächlichen Wert bezahlt hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit Zahlung nochmals der gleichen Summe wurde das Geschäft später legalisiert.9 Das Gebäude diente zeitweise als Lager und wurde später abgerissen.

Vor dem Verkauf räumten die verbliebenen Gemeindemitglieder die Synagoge aus und verbrachten die geborgenen Gegenstände in die Synagoge nach Groß-Gerau. Dazu zählten vier Thorarollen mit je einer silbernen Thorakrone, ein ebenfalls silbernes Thoraschild, zwei Lesefinger, acht gold- und silberbestickte Thoramäntel, 70 handbemalte und bestickte Wimpel, vier Thoraschreinvorhänge aus Plüsch und Seide, ebenfalls goldbestickt, zwei goldbestickte Decken für das Vorbeterpult, eine Ewige Lampe, ein siebenarmiger Messingleuchter, ein Channukahleuchter, ein pergamentbeschriebenes Megillah mit silberner Hülle, ein Schofarhorn, 25 Gebetbücher und ebenso viele Festgebetbücher, ein Priesterwaschbecken mit Messingkanne und eine handbeschriebene Pergamentrolle mit Haftaroth.10

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Es wird davon ausgegangen, dass auf dem Grundstück der Synagoge in der Kalbsgasse auch eine Mikwe bestand.

Cemetery

Die Verstorbenen wurden auf dem Friedhof in Groß-Gerau bestattet.

Groß-Gerau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. Hoferichter, Stadt Mörfelden, S. 267
  2. Hoferichter, Stadt Mörfelden, S. 269
  3. Rühling/Auer, Die Schlimmste Sache war die Angst, S. 26
  4. Hoferichter, Stadt Mörfelden, S. 270
  5. Rühling/Auer, Die Schlimmste Sache war die Angst, S. 15
  6. Rühling/Auer, Die Schlimmste Sache war die Angst, S. 104
  7. Schleindl, Verschwundene Nachbarn, S. 206
  8. Hoferichter, Stadt Mörfelden, S. 270
  9. HHStAW 518, 1460
  10. HHStAW 518, 1476
Recommended Citation
„Mörfelden (Landkreis Groß-Gerau)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/47> (Stand: 23.7.2022)