Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Langen Karten-Symbol

Gemeinde Langen (Hessen), Landkreis Offenbach — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1678

Location

63225 Langen, Dieburger Straße 23 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II (bis 1927), dann Darmstadt I

religiöse Ausrichtung

orthodox, ab 1927 liberal

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Das urkundlich 834 erstmals genannte Langen gehörte bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts in den Besitz der Familie Hagen-Münzenberg und kam über wechselnde Herrschaften 1418 an das Haus Isenburg, das es 1600 an den Landgrafen von Hessen-Darmstadt verkaufte.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts tauchen ab 1678 Hinweise auf einen Juden in den Bürgermeisterrechnungen auf. 1691 wird Moses erstmals namentlich genannt. Im Jahre 1700 waren es Wolf, Moses und Süßmann1, 1713 wurde zusätzlich Seeligmann genannt.2

Für Langen gilt der seltene Fall, dass jüdische Geburtsregister zumindest der männlichen Geburten ab 1731 vorliegen.3 Die erste verzeichnete Geburt ist die des Affron, der am 12. Februar diesen Jahres als Sohn von Herz Wolf und seiner Frau Fradel geboren wurde. Ihm folgten 1733 sein Bruder Mordche, 1734 Wolf, der aber 1739 bereits wieder verstarb, 1736 Isaac und 1740 Schimme. Erst ab 1754 werden Geburten für Hertz Abraham und ab 1770 Abraham Herz geführt. Danach werden weitere Familien genannt: Isaak Löw ab 1772, Salme ab 1781 und Wolf Hertz ab 1784.

Erst ab 1800 stieg die Zahl der jüdischen Einwohner an. 1828 lag sie bei 31,1848 bei 69, und 1870 bei 103 Personen.4 Bis 1925 lag diese Zahl zwischen 90 und 100, um bis 1933 auf 67 jüdische Einwohner abzusinken. Eine eigenständige Gemeinde wird sich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts gegründet haben.

Nach Annahme fester Familiennamen im Jahr 1808 erscheinen die Familien Grünebaum, Kahn und Meyer, wenig später auch Bendheim, Eppstein, Markus, Neu, Schloss, Strauß und Wolf. Sie erwirtschafteten ihr Einkommen als kleine Kaufleute, Viehhändler und Krämer.5 Im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es zudem beispielsweise eine Seifenfabrik Wolf, einen jüdischen Arzt und einen jüdischen Rechtsanwalt, einen Metzger und einen Schuhmacher.

Am Ersten Weltkrieg nahmen auch jüdische Einwohner aus Langen teil; Gustav Bendheim und Felix Strauß ließen dabei ihr Leben. Ihnen zur Erinnerung wurde im Zuge der Sanierung in der Synagoge 1927 eine Gedenktafel enthüllt.

Unter dem Eindruck der sich ändernden politischen Situation wanderten schon kurz nach 1933 die ersten Juden aus Langen ab. Zunehmende Repressalien und wirtschaftliche Boykotte verstärkten ab 1935 diese Entwicklung. Nach dem Überfall auf die Synagoge im November 1938 drangen Nazischergen auch in private Wohnungen ein und misshandelten deren Bewohner. Infolgedessen flohen die meisten in Langen verbliebenen Juden nach Frankfurt. 24 von ihnen wurden im Holocaust ermordet.

Seit 2004 werden in Langen Stolpersteine verlegt.

Betsaal / Synagoge

Bis etwa in die Mitte des 19. Jahrhunderts unterhielt die Gemeinde einen angemieteten Raum für Versammlungen und Gottesdienste. Dieser soll sich im Haus Obergasse 22, dem Haus der Familie Strauß, befunden haben.6

Nachdem die Zahl der jüdischen Einwohner in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts anstieg, kaufte die Gemeinde 1852 ein Haus in der Borngasse 12 und baute es zu einer Synagoge um. In den 1880er Jahren wurde sie erweitert, bot aber schon Ende des 19. Jahrhunderts keinen ausreichenden Platz mehr.

1901 erwarb die Gemeinde ein Grundstück in der Dieburger Straße, um darauf eine neue Synagoge zu erbauen. Um ausreichend finanzielle Mittel dazu zu erhalten, ließ sie noch im gleichen Jahr einen Spendenaufruf drucken. Die bürgerliche Gemeinde beteiligte sich mit einem Zuschuss in Höhe von 300 Mark an dem Vorhaben, wie sie es bereits 1893 beim Bau der katholischen Kirche getan hatte.7 Nach der Grundsteinlegung am 16. Oktober 1901 fand am 5. September 1902 die festliche Einweihung statt. „Die Synagoge war ein Klinkerbau mit den äußeren Maßen 9 × 13 m. An der vorderen Giebelseite waren die Klinker sichtbar, seitlich und rückwärtig war das Gebäude ockerfarben verputzt. Am vorderen Giebel waren zwiebelförmige Türmchen aufgesetzt, wovon eines bei der Errichtung der späteren Gedenkstätte mit verwandt wurde. Als Giebelbekrönung waren zwei Gesetzestafeln aus Sandstein angebracht. […] Im vorderen Bereich der Synagoge war auch ein Ritualbad (Mikwa) eingerichtet.“8

Das 25jährige Bestehen der Synagoge 1927 nutzte die Gemeinde, um das Gebäude einerseits umfassend renovieren zu lassen, sich andererseits aber auch zum liberalen Rabbinat Darmstadt I zu bekennen. Die Ausmalungen übernahm der aus Trier stammende Synagogenmaler Max Lazarus, der sich von September 1925 bis April 1926 in Langen aufhielt. „Das Langhaus ist schlicht gehalten in einem hellen Lindgrün mit abgesetzten Randeinfassungen in einem etwas dunkleren Lindgrün. Von diesem Raum hebt sich die prächtig wirkende Apsis mit der heiligen Lade ab, in welcher Max Lazarus mit verschiedenen Rosa- und Violetttönen und Gelb an der Ostwand ein Himmelsgewölbe, an den beiden Seitenwänden die Menora und auf der Flachdecke einen Davidstern gestaltet hat. In das Himmelsgewölbe über dem Toraschrein integrierte er das Rundfenster mit dem einfallenden Licht wie eine aufgehende Sonne. Um ein optisches Auseinanderfallen der beiden Räume zu vermeiden, benutzte er die violette Farbe auch an den Einfassungen der Emporen des Langhauses.“9 Obwohl die Gemeinde zu dieser Zeit formal noch dem orthodoxen Rabbinat angehörte, hielt die Festpredigt anlässlich der Wiedereinweihung Dr. Bruno Italiener vom liberalen Rabbinat Darmstadt.

In dieser Zeit enthielt die Synagoge 80 Sitzplätze mit Pulten für Männer, 36 ebensolche für Frauen, eine Garderobe mit 120 Einheiten, einen Thoraschrein mit Altaraufbau, ein Almemor mit Vorlesepult und Wickelbank, ein Vorbeterpult, ein Vorstandspult, einen vielflammigen Kronleuchter, sechs Hängeleuchter, sechs Seitenleuchter, zwei Kandelaber, einen Leuchter am Thoraschrein, 40 Meter sehr guten Läufer, zwei Schränke für Kultgeräte, zwei Wanduhren. In dem Gebäude befanden sich außerdem ein Sitzungszimmer für den Gemeindevorstand und die Mikwe unter dem im Osten gelegenen Treppenhaus.

Zu den Kultgegenständen zählten neun Thorarollen, zwei Paar silberne Thoraaufsätze mit Schellen, zwei silberne Lesefinger, 18 goldbestickte Thoramäntel, 50 handbemalte Wimpel, vier gold- und silberbestickte Thoraschreinvorhänge, je vier gold- und silberbestickte Decken für das Vorlese- und das Vorbeterpult, eine Ewige Lampe, zwei siebenarmige Leuchter, einen Channukahleuchter, zwei Jahreszeitleuchter, zwei silberne Weinbecher, zwei silberne Hawdallahgarnituren, ein Trauhimmel mit reichlich goldbesticktem Brokat, ein Megillah mit Mantel, zwei Schofarhörner, sechs Gebetmäntel, sechs Paar Phylakterien, 20 Gebetbücher, acht Sätze Festgebetbücher, 20 Bände Pentateuche, ein Satz Aufrufplatten, ein Priesterwaschbecken mit Kanne sowie eine silberne Etrogbüchse. Der Wert der Einrichtung und der Kultgegenstände wurde im Zuge des Restitutionsverfahrens auf rund 73.800 DM festgelegt.10

Schon im August 1935 wurde die Synagoge mit Totenköpfen und dem Schriftzug „Tod den Semiten“ beschmiert und das Schloss so beschädigt, dass es nicht mehr zu öffnen war. Bei den Novemberpogromen 1938 wurde die Synagoge von SA-Leuten und Mitgliedern der NSDAP überfallen, die Einrichtung demoliert und das Gebäude schließlich angezündet.11

Mit Vertrag vom 5. Juni 1939 ging das Grundstück in den Besitz der Stadt Langen über. Unmittelbar nach dem Krieg, in den Jahren zwischen 1945 und 1947 ließ sie darauf ein Mahnmal, teilweise unter Verwendung des vorhandenen Baumaterials, nach Plänen des Architekten Kleinert errichten.12 1950 verzichtete die JRSO unter anderem deswegen auf eine Rückübertragung. Gleichzeitig verpflichtete sich die Stadt in einem Vertrag, das Mahnmal zu pflegen und zu erhalten.13

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Im vorderen Bereich der 1902 eingeweihten Synagoge war unter dem Treppenhaus eine Mikwe eingerichtet. Ob – und wenn ja wo – sich zuvor eine solche Einrichtung gefunden hat, ist nicht bekannt.

1995 erinnerte man sich wieder an die nun unter dem 1946 erbauten Mahnmal für die Synagoge gelegene Mikwe. Der Raum mit den erhaltenen Resten wurde freigelegt und ist seit 2002 wieder zugänglich. Der Fußboden des Raumes liegt etwa 2,6 Meter unter dem umgebenden Bodenniveau. Er hat eine Grundfläche von rund 3 × 4 Metern. Das eigentliche Tauchbecken ist 1,5 Meter lang und 0,7 Meter breit und hat eine Tiefe von etwa 1,2 Metern. Eine Treppe mit sechs Stufen führt hinein. Das erwärmte Wasser kam vermutlich aus zwei noch heute in der Wand befindlichen Rohren.

2002 brachte man auf dem Grundstück eine Gedenktafel an, die an die Geschichte der Langener Juden erinnert.14

Schule

Eine Schule wird in beiden Synagogen bestanden haben.

Cemetery

Bis in das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts gehörte die jüdische Gemeinde zum Friedhofsverband Groß-Gerau. 1874 erwarb sie ein Grundstück neben dem christlichen Friedhof in Langen und weihte dort am 18. Februar 1876 ihre eigene Begräbnisstätte ein. Die letzte Beisetzung fand hier 1935 statt.15 1942 ging das Areal in den Besitz der Stadt Langen über, die die Gräber eigentlich entfernen lassen wollte. Dem damit betrauten Steinmetz gelang es aber, die Arbeiten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges heraus zu zögern. Seit 1950 ist die Stadt Langen für die Pflege des Friedhofs zuständig. 1966 erfolgte nach einer Neugestaltung des Eingangsbereiches die Anbringung zweier Gedenktafeln: eine für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Gustav Bendheim und Felix Strauß, die andere in Erinnerung an die im Holocaust ermordeten Langener Juden.

Nach jüngeren Erweiterungen liegt dieser Friedhof heute umgeben von christlichen Gräbern.

Groß-Gerau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Langen, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Hagen-Münzenberg, Herren von · Hessen-Darmstadt, Landgrafen von · Moses · Wolf · Süßmann · Seeligmann · Affron · Herz Wolf · Fradel · Mordche · Isaac · Schimme · Hertz Abraham · Abraham Herz · Isaak Löw · Salme · Wolf Hertz · Grünebaum, Familie · Kahn, Familie · Meyer, Familie · Bendheim, Familie · Eppstein, Familie · Markus, Familie · Neu, Familie · Schloss, Familie · Strauß, Familie · Wolf, Familie · Bendheim, Gustav · Strauß, Felix · Lazarus, Max · Italiener, Bruno, Dr. · Kleinert

Places

Frankfurt am Main · Trier · Groß-Gerau

Sachbegriffe Geschichte

Novemberpogrome

Sachbegriffe Ausstattung

Thoraschreine · Davidsterne · Pulte · Garderoben · Almemore · Vorlesepulte · Wickelbänke · Vorlesepulte · Vorstandspulte · Kronleuchter · Hängeleuchter · Seitenleuchter · Kandelaber · Leuchter · Läufer · Schränke · Wanduhren · Thorarollen · Thoraaufsätze · Schellen · Lesefinger · Thoramäntel · Wimpel · Thoravorhänge · Decken · Ewige Lampen · Chanukkaleuchter · Jahrzeitleuchter · Weinbecher · Hawdalah-Garnituren · Trauhimmel · Megillot · Schofarot · Gebetmäntel · Phylakterien · Gebetbücher · Festgebetbücher · Pentateuch · Aufrufplatten · Priesterwaschbecken · Kannen · Etrogbüchsen

Sachbegriffe Architektur

Klinkerbauten · Türmchen · Gesetzestafeln · Wandbemalungen · Langhäuser · Apsiden · Flachdecken · Rundfenster · Emporen

Fußnoten
  1. Betzendörfer, 1961, S. 264
  2. Grein, 1978, S. 19
  3. HHStAW 365, S. 517
  4. Betzendörfer, 1961, S. 265
  5. Grein, 1978, S. 19
  6. Grein, 1978, S. 27 (Anmerkung 31)
  7. Grein, 1978, S. 29
  8. Grein, 1978, S. 32
  9. Schulte, 2010, S. 286 f.
  10. HHStAW 158, 1444
  11. Grein, 1978, S. 41
  12. Grein, 1978, S. 52
  13. HHStAW 158, 1444
  14. Altaras, 2007, S. 363
  15. Grein, 1978, S. 53
Recommended Citation
„Langen (Landkreis Offenbach)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/127> (Stand: 22.7.2022)