Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Hüttengesäß Karten-Symbol

Gemeinde Ronneburg, Main-Kinzig-Kreis — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1706

Location

63549 Ronneburg, Ortsteil Hüttengesäß, Schulstraße 6 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Hanau

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Hüttengesäß zählte bis 1313 zum grundherrschaftlichen Besitz des Prämonstratenserklosters Selbold, das im heutigen Langenselbold bestand, und gehörte somit zum Grundbesitz der Ronneburg, bevor es Gottfried von Brauneck an das Erzstift Mainz verkaufte. Seit 1476 war es isenburgisch, seit 1684 lag die Grundherrschaft beim Fürstentum Isenburg-Birstein. 1816 wurde es Kurhessen, später Preußen zugeschlagen. Noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts gehörte es zum Gericht Selbold. Zuständiges Amtsgericht war bis 1911 Langenselbold. Bis zur Gebietsreform 1971 zählte Hüttengesäß zum preußischen Altkreis Hanau. Seit 1972 ist es gemeinsam mit den beiden weiteren Ortsteilen Altwiedermus und Neuwiedermus zur Gemeinde Ronneburg zusammengefasst.

Hüttengesäß war im 19. Jahrhundert ein überwiegend durch bäuerliche Landwirtschaft geprägtes Dorf. Der Einfluss des Isenburgischen Fürstengeschlechts durch die jahrhundertelang geübten Untertanenleistungen ist noch heute bei alteingesessenen Bewohnern im Bewusstsein.

Seit wann genau Juden in Hüttengesäß lebten ist nicht genau fassbar. Archivalisch ist 1706 der Jude Feist aus Hüttengesäß nachgewiesen.1 Bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts bildeten die in Hüttengesäß und Langenselbold lebenden Juden eine Kultusgemeinde mit Sitz im etwa fünf Kilometer südwestlich gelegenen Langenselbold, wo auch der jüdische Friedhof beider Orte lag. Ein Minjan in Hüttengesäß war spätestens im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts gewährleistet; zu dieser Zeit bestand bereits ein jüdischer Betraum.2 Seit um 1832 bis um 1839 betrieben die Hüttengesäßer Juden schließlich erfolgreich die Trennung von der Langenselbolder Kultusgememeinde.3

Vermutlich besaß die jüdische Gemeinde nicht mehr als eine Thorarolle. Die Kultusgemeinde war wenig begütert. Sie warb über Spenden liturgisches Gerät ein. Um 1904 war Isaak Heß erster Vorsitzender, um 1912 Theodor Heß I. Der letzte Vorsitzende hieß Isaak Heß.

1835 waren 35, 1861 38 Juden in Hüttengesäß gemeldet. 1905 lebten hier 45 jüdische Bürgerinnen und Bürger in elf Familien (Anteil an der Gesamtbevölkerung: ca. vier Prozent).4

Im 19. Jahrhundert lebte die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung vom Land-, Kolonialwaren- und Viehhandel. Gegen Ende des Jahrhunderts änderte sich ihre Einkommensgrundlage etwas; es gab einen jüdischen Bäcker, später einen Abfüller von Limonade, Max Reiss, sowie die Viehhändler- und Landwirtsfamilie Blumenthal .

1933 lebten 47 jüdische Personen in 13 Familien im Ort.5 Bis 1938 zogen viele von ihnen nach Frankfurt. Kurz nach der Pogromnacht verließen auch die letzten noch im Ort verbliebenen jüdischen Hüttengesäßer ihre Heimat. Die Mehrheit zog nach Frankfurt am Main, manche in hessische Kleinstädte. Wenige flohen nach Palästina, einige nach Argentinien, andere in die USA. Die innerhalb Deutschlands verbliebenen ehemaligen Hüttengesäßer Juden wurden in osteuropäische Ghettos und häufig anschließend in Vernichtungslager deportiert. Keiner von ihnen überlebte.6

Betsaal / Synagoge

Bevor die Hüttengesäßer Juden einen eigenen Betraum im Ort einrichteten, besuchten sie die Gottesdienste im benachbarten Langenselbold, Hauptort der gemeinsamen Kultusgemeinde.

Um 1830 beantragte Isaak Hess oder sein Sohn, Jessel II., Handelsmann aus Hüttengesäß, bei der Kreisregierung die Genehmigung zur Einrichtung eines jüdischen Betsaales in der Schulstraße, heute Nr. 6. Er hatte vom nichtjüdischen Vorbesitzer das kleinbäuerliche Wohnhaus, das um die Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert gebaut worden war, in der Schulstraße 2 erworben und bot dessen unentgeltliche Nutzung zu gottesdienstlichen Zwecken an. Sowohl das zuständige Kreisamt wie der Provinzialrabbiner in Hanau erteilten hierzu die Genehmigung. So ist davon auszugehen, dass auch die formale Gründung einer – dann von der Langenselbolder Gemeinde abgespaltenen – Kultusgemeinde durch das Hanauer Rabbinat befürwortet war.7

Die Synagoge wurde eingerichtet in einem ansonsten zu Wohnzwecken genutzten zweigeschossigen Fachwerkhaus. Zum Grundstück gehörten ein kleiner Gartenbereich auf der Westseite und ein kleiner Hof im Osten des Hauses. Es hob sich von der umgebenden dichten Nachbarbebauung nicht ab. Das Gebäude liegt am westlichen Rand des alten Ortskerns, etwa 200 Meter westlich der Kirche.

Das längsrechteckige Gebäude mit der Ausdehnung von 15 x 7 Metern steht traufständig zur schmalen Stichstraße, die von der Schulstraße nach Norden abzweigt. Die Gottesdienstbesucher gelangten über einen kleinen Hof zum Gebäude. Vor dem Hof, am Ende der Stichstraße, befand sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ein öffentlicher Brunnen, aus dem die anliegenden Gebäude versorgt werden konnten.

Vermutlich wurde das Haus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts um etwa vier Meter nach Norden erweitert.8 Ob dies mit einem Ausbau zur synagogalen Nutzung in Zusammenhang stand ist nicht eindeutig zu klären.

Unklar ist auch, ob es äußere Attribute herausgehobener Nutzung als Synagoge gab. Eventuell könnten die Fenster des Betraums getönte Fensterscheiben besessen haben. Auffallend war mit Sicherheit die einläufige steinerne Treppe zur Frauenempore, die etwa in der Mittelachse der Osttraufe ansetzte und nach Norden hin in das erste Obergeschoss führte und bis heute das Innere des Gebäudes dominiert.9 Über diese, leicht versetzt zum Haupteingang, gelangten die Gottesdienstbesucher von Südosten her in den Betraum, der im nördlichen Teil des 1. Obergeschosses lag. Der ca. fünf Meter breite und etwa sechs Meter lange Betraum bot Sitzplätze für etwa 14 Männer und acht Frauen.10 Die jüdischen Frauen erschlossen den Betraum über eine steinerne einläufige Außentreppe entlang der Nordosttraufe. Sie gelangten durch eine einflügelige Tür in den nördlichen Hausteil. Vermutlich war die Raumaufteilung 1 : 2, wodurch den Frauen 1/3 und den Männern 2/3 des Raumes zustanden. Unklar ist, ob es eine optische Trennung zwischen den beiden Bereichen gab. Der Betraum besaß eine firstparallel verlaufende Tonnendecke, die – möglicherweise figural – bemalt war. Die Decke wurde erst nach Erwerb des Gebäudes im Zuge der Umnutzung zur Synagoge in das Haus eingebaut. Details zur inneren Ausstattung des Betraums sind rar. Die Sitzbänke waren in einem Rotton gehalten, besaßen Rückenlehnen, jedoch keine Ablagepulte. Decke und Wände waren farbig angelegt.11 Es gab einen Thoraschrank, in dem die einzige Thora, die im Gemeindebesitz war, aufbewahrt wurde. Er stand wahrscheinlich vor der Ostwand, zur Hofseite hin. Die beiden ihn flankierenden Fenster waren mit roten (samtenen ?) Vorhängen geschmückt. Vermutlich befand sich davor ein kleines Pult für Vorbeter und -sänger der Gemeinde.

Im nordöstlichen Drittel des Untergeschosses befand sich die Mikwe.12

In den beiden Räumen der südlichen Haushälfte wohnten seit der Nutzung des Gebäudes als Synagoge und bis zu der erzwungenen Aufgabe dieser Funktion nichtjüdische Familien, die gleichzeitig als Hausmeister und „Schabbesgoi“ für Mitglieder der jüdischen Gemeinde arbeiteten.

1904 wurde aufgrund des Anschlusses an die öffentliche Wasserversorgung der Brunnen vor dem Haus stillgelegt. Das Synagogengebäude erhielt fließendes Wasser als Hausanschluss. Im gleichen Jahr wurde an der Westtraufe des Hauses ein zweiter Schornstein angebaut. Durch ihn konnte der Betsaal und der darunter befindliche Raum, in dem die Mikwe lag, beheizt werden. Die Elektrifizierung des Ortes in den 1920er Jahren brachte der Synagoge elektrisches Licht.13

Schon 1934 war die Synagoge Ziel eines brutalen Überfalls durch zwei nationalsozialistische Ortsbürger, die Teile des liturgischen Inventars stahlen und Fensterscheiben zerschlugen. Die Tat wurde von Polizei und Kreisverwaltung heruntergespielt.14

Während der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 wurden die Synagoge und die im Gebäude lebende Hausmeisterfamilie durch acht ortsansässige SA-Männer angegriffen. Das Mobiliar wurde zerstört, die Thorarolle und das Inventar vernichtet.

Nach erzwungener Auflösung der Kultusgemeinde 1939 erwarb die im Haus lebende Hausmeisterfamilie das Gebäude für 1.200,00 Reichsmark von der jüdischen Gemeinde. Noch heute ist es in ihrem Besitz.

Es gibt auf die ehemalige Nutzung als Synagoge, die bis 1938 bestand, keine äußeren Hinweise mehr. Dies hängt unter anderem mit dem damals gleichzeitig teilweise auch zu Wohnzwecken genutzten Haus zusammen, dessen vollständige Umnutzung zum Wohnhaus nach der Pogromnacht am Außenbild zunächst kaum zu Änderungen führte. Wichtigste und markanteste äußerliche Veränderung dürfte der Wegfall der im Nordosten gelegenen, etwa von der Hausmitte her nach Norden ansteigenden Treppe für die jüdischen Frauen gewesen sein. Weitere Umbauten des heute noch als Wohnhaus genutzten Gebäudes betreffen in den vergangenen 60 Jahren erfolgte umfassende Maßnahmen, die den Zeitgeschmack der Hauseigentümer spiegeln. Hiervon ist das gesamte Haus betroffen, schnell erkennbar an der von der Straße her einsehbaren nordöstlichen Traufseite mit ihren Öffnungen (Fenstern und Türen) sowie der Glasbausteinwand des Eingangsvorbaus.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Seit der Nutzung als Synagoge in den 1830er Jahren war in dem Gebäude eine Mikwe eingerichtet. Im Untergeschoss, unterhalb des Betraums gelegen, war ein vermutlich ca. 2 x 3 Meter großes und mindestens zwei Meter tiefes, vermutlich vermörteltes Tauchbecken eingebaut. Zudem befanden sich hier eine Badewanne und ein Umkleidebereich; spätestens seit 1904 gab es einen Ofen. Aus dem Jahr 1904 ist archivalisch der Einbau eines Beckenüberlaufs mit Anschluss an die zu dieser Zeit im Ort eingerichtete Wasserversorgung belegt. Zudem wurden etwa gleichzeitig auch Sanierungsarbeiten am Becken durchgeführt.15 Spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts nahmen offenbar einige wohlhabendere Gemeindemitglieder die Vorzüge der weitaus angenehmer ausgestatteten Mikwe im etwa 20 Kilometer südwestlich gelegenen Hanau in Anspruch.16

Schule

Religionsunterricht erhielten die jüdischen Kinder in einem Raum der Synagoge und besuchten ansonsten die örtliche Volksschule. Der angestellte Lehrer war zugleich der Schochet der Gemeinde. Bis 1933 versah Sally Stern als Religionslehrer der jüdischen Kinder seinen Dienst.17

Cemetery

Schon vor der Abspaltung der jüdischen Gemeinde von der in Langenselbold, sowie danach bis zur erzwungenen Auflösung der Gemeinde im Jahr 1938 bestatteten die Hüttengesäßer Juden ihre Verstorbenen auf dem jüdischen Friedhof in Langenselbold. Der Friedhof befindet sich auf Flur 74, Flurstücksnummer 40/8, Bezeichnung „Am Beethovenring“ mit einer Grundstücksfläche von etwa 1.877 Quadratmetern.

Langenselbold, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Places

Langenselbold · Ronneburg, Burg · Hanau · Altwiedermus · Neuwiedermus · Ronneburg · Frankfurt am Main · Palästina · Argentinien · USA

Fußnoten
  1. HStAD R 21 J, 2294
  2. Altaras, Synagogen, S. 334
  3. HStAM 180 Hanau, 4774; HStAM 180 Hanau, 4764
  4. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 405
  5. Auskunft von Klaus Altmannsperger, Gesprächskreis Geschichts- und Heimatverein Ronneburg e.V., 9. Februar 2012
  6. Gedenkbuch des Bundesarchivs (s. Weblink)
  7. Angaben von Klaus Altmannsperger, 9. Februar 2012
  8. Brandversicherungskataster von 1892
  9. Vor dem Einbau des Badezimmers im Untergeschoss lag neben der Treppe eine hölzerne Stiege, die über das 1. Obergeschoss in das Dachgeschoss führte. Ob sie zum Zweck der Trennung zwischen sakraler und profaner Nutzung eingebaut gewesen war, ist unklar.
  10. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 405. Die Zeit- und Augenzeugin Frau Käthe Heinz, Tochter der Hausmeisterfamilie, die während der synagogalen Nutzung bis 1938 tätig war, vermutet eine höhere Anzahl an Plätzen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts (Hüttengesäß, 9. Februar 2012).
  11. Der Originalbestand an der Decke ist noch erhalten, allerdings unter einer für Wohnzwecke eingezogenen Deckenabhängung.
  12. Freundlicher Hinweis von Frau Käthe Heinz (Hüttengesäß, 9. Februar 2012). Vgl. hierzu auch Altaras, Synagogen, S. 334
  13. HStAM 180 Hanau, 6022
  14. HStAM 165, 3982/13, Bl. 261
  15. HStAM, 180 Hanau, 6022
  16. Mündlicher Hinweis von Klaus Asmannsperger, Januar 2012
  17. Ortsartikel Hüttengesäß auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
Recommended Citation
„Hüttengesäß (Main-Kinzig-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/150> (Stand: 22.7.2022)