Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Hochheim am Main Karten-Symbol

Gemeinde Hochheim am Main, Main-Taunus-Kreis — Von Carina Schmidt
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1608

Location

65239 Hochheim am Main, Rathausstraße 29 | → Lage anzeigen

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Hochheim am Main war seit 1273 im Besitz des Mainzer Domkapitels und gehörte damit zum Territorium von Kurmainz. Im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 wurde das Dorf dem Fürstentum Nassau-Usingen zugesprochen, das seit 1806 zusammen mit dem Fürstentum Nassau-Weilburg das Herzogtum Nassau bildete. 1866 wurde das seit 1820 als Stadt geführte Hochheim durch Preußen annektiert und in die Provinz Hessen-Nassau eingegliedert.

Der früheste Nachweis für die Ansässigkeit von Juden in Hochheim am Main stammt von 1608. Aus diesem Jahr ist eine Nachricht des Geistlichen Georg Urban überliefert, in der er beklagt, dass „in des Juden Haus“1 während der Gottesdienste Branntwein getrunken würde. Wahrscheinlicher ist aber, dass schon seit dem späten Mittelalter Juden in Hochheim lebten, da in dem nahe gelegenen Flörsheim nachweislich bereits seit 1290 Juden ansässig waren. 1622 wurde eine Zählung der Häuser und Einwohner von Hochheim vorgenommen und festgestellt, dass sich unter den rund 800 Bürgern auch drei Juden befanden. 11 Jahre später dagegen lebten, der Einwohnerliste von 1633 zufolge, keine Juden mehr im Ort, doch wird 1636 der erneute Zuzug eines Juden, des Gumpell Judt von Kostheim, vermerkt. Für das 17. Jahrhundert gibt es ferner nur vereinzelt Hinweise für die Ansässigkeit von Juden in Hochheim, so sind beispielsweise in der Hochheimer Gemeinderechnung von 1683/1684 vier Juden aufgeführt.2

Im 18. Jahrhundert stieg die Zahl der Judenfamilien in Hochheim leicht an; spätestens seit 1725 erhob die kurmainzische Herrschaft schließlich auch ein Judenschutzgeld in Höhe von 5 Reichstalern oder 4 Gulden, 15 Alb pro Person. Seit 1800 lässt sich die Zahl und Zusammensetzung der Judengemeinde in Hochheim gut rekonstruieren: Im frühen 19. Jahrhundert waren dort insgesamt 35 Juden ansässig, darunter 5 jüdische Familien mit 18 Kindern. Diese Zahl blieb bis 1871 weitgehend konstant, es gab stets etwa 30 Juden im Ort.3 Sie verdingten sich zum Großteil als Kaufleute, Viehhändler und Metzger. Da die Gemeinde unvermögend war und außerdem einen Lehrer und Vorbeter entbehrte, plante der Bezirksrabbiner Süskind von Wiesbaden 1852 eine Vereinigung der Hochheimer Gemeinde mit der in Flörsheim, die aber nicht verwirklicht wurde.4

Nach 1871 sank die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder bis 1885 auf 18 Personen, bis 1900 stieg sie dagegen wieder auf 31 an. 1909 setzte sich die Gemeinde aus etwa 40 Juden zusammen und erreichte damit eine beachtliche Größe.5 1933 lebten noch 23 Juden in Hochheim, von denen ein Teil aufgrund zunehmender Unterdrückung und Boykottierung ihres Handels aus Hochheim wegzog oder auswanderte, so dass die Gemeinde 1938 nur noch 18 Mitglieder zählte. 14 von ihnen fielen dem nationalsozialistischem Terror zum Opfer.6

Eine der herausragenden Persönlichkeiten dieser jüdischen Gemeinde war der aus Hochheim stammende jüdische Geschäftsmann Sigmund Aschrott (1826-1915), der 1844, nach Abschluss einer kaufmännischen Ausbildung, nach Kassel übersiedelte und es dort zu Reichtum und Ansehen brachte. Dort betätigte er sich mit großem Erfolg in der Textilindustrie und im Straßenbau, kaufte Ländereien und errichtete beeindruckende Parkanlagen. Ferner rief er zahlreiche Stiftungen ins Leben und gründete ein Israelitisches Waisenhaus in Kassel. Da er ein Haus samt Weingut in Hochheim besaß, verbrachte er häufig die Sommer- und Herbstmonate in Hochheim und blieb der dortigen jüdischen Gemeinde verbunden; mitunter spendete er 1869 Geld für den Synagogenbau und 1909 für die Anlegung eines Friedhofes. Im Alter von etwa 85 Jahren zog er nach Berlin, wo er das Bankhaus H. S. Aschrott leitete und 1907 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt wurde.7

Betsaal / Synagoge

Erstmals erwähnt wird ein Betsaal in Hochheim um 1800, zuvor hatten die Hochheimer Juden die Synagoge im benachbarten Flörsheim besucht. Seit der Jahrhundertwende zelebrierte die jüdische Gemeinde von Hochheim ihre Gottesdienste in einem angemieteten Haus in der Neudorfstraße 8. Das Gebäude ging 1805 durch einen Tauschvertrag in den Besitz der Juden Isaac Löw von Hochheim und dessen Bruder Aberle Löw von Mainz über. Sie übertrugen dem Gerichtsschöffen Christian Hofmann von Hochheim ihr Wohnhaus in der Rathausgasse, im Gegenzug erhielten sie dessen Haus in der Neudorfstraße, das sie schon zuvor als „Juddeschul“8 genutzt hatten.9

1849 traf die jüdische Gemeinde mit Erlaubnis der Obrigkeit ein Abkommen zur Gründung eines Baufonds für die Errichtung einer neuen Synagoge.10 In einem Gesuch der Gemeinde an die Herzogliche Landesregierung in Wiesbaden um Genehmigung einer Kollekte zugunsten des Bauprojektes heißt es, der bisherige Betsaal verdiene „weit eher die Bezeichnung Stall als Kirche“,11 er sei klein, dunkel und einsturzgefährdet. Um diesem Zustand Abhilfe zu schaffen, verpflichteten sich die Mitglieder freiwillige Beiträge in Höhe von 6 Kreuzern pro Woche und die Kollekte regelmäßig in den Baufonds einzuzahlen, für den Wolf Löwenstein mit einer Spende von 50 Gulden den Grundstock gelegt hatte. Trotz Unstimmigkeiten innerhalb der Gemeinde, unter anderem wegen fehlender Zinsgelder aus dem Baufonds, wuchs das gesparte Kapital bis 1860 auf eine Summe von 578 Gulden und 3 Kreuzer an.12

Zwei Jahre später bemühte sich die Gemeinde um den Ankauf eines Grundstücks an der östlichen Gartenstraße (heutige Burgeffstraße) mit dem Ziel, dort eine neue Synagoge zu errichten. Doch obwohl das Gesuch des Gemeindevorstands, unterzeichnet von Wolf Löwenstein, Liebmann Strauß und Wolf Strauß, durch den Bürgermeister der Stadt Hochheim genehmigt wurde, kam der Kauf nicht zustande. Stattdessen erwarb die Gemeinde 1864 ein zweistöckiges Wohngebäude mit Kelterhaus und angeschlossenem Viehstall im Neudörfchen aus dem Besitz von Heinrich Merten, das zur Synagoge umgebaut werden sollte. Der Bau konnte aber wegen Geldmangels trotz Baugenehmigung nicht realisiert werden, weshalb der Vorsteher Benjamin Neumark 1865 mittels des oben erwähnten Gesuchs bei der Landesregierung die Erlaubnis zur Sammlung von Spenden bei den in den Ämtern Hochheim, Höchst und Wiesbaden ansässigen Juden zugunsten des Synagogenbaus einholte. Daraufhin wurde eine erneute Baugenehmigung für das Haus im Neudörfchen beantragt, die im Mai 1868 erteilt, aber wiederum nicht genutzt wurde.13

Etwa zur gleichen Zeit kaufte die jüdische Gemeinde ein weiteres Wohnhaus samt Stallungen im Wert von 980 Gulden in der Rathausstraße 29 von dem Winzer Johann Hück III. Der Vorsteher Neumark stellte einen Antrag auf Genehmigung zum Umbau dieses Hauses zur Synagoge samt Einbau eines russischen Schornsteins zur Beheizung des Betsaales. Nachdem die Genehmigung erteilt worden war, verkaufte die Gemeinde das Haus im Neudörfchen und beauftragte mehrere Hochheimer Handwerksmeister mit dem Umbau des Gebäudes in der Rathausstraße: In den Jahren 1868 bis 1869 wurde ein Schornstein eingebaut, im Obergeschoss, das als Versammlungsort dienen sollte, wurden die Fenster an der Südseite zu Rundbogenfenstern umgestaltet, an der Ost- und Nordseite wurden neue Rundbogenfenster eingesetzt und mit Buntglas versehen. Außerdem entstand eine überdachte Außentreppe, die zum oberen Stockwerk und in das Vorzimmer zum Betsaal führte. Innen verband eine Treppe den oberen Stock mit dem Erdgeschoss, das an eine christliche Familie vermietet wurde, die für die Instandhaltung des Hauses sowie die Vorbereitung der Gottesdienste sorgte. Durch eine Tür im Vorzimmer gelangte man in den Gebetssaal, wo sich rechts und links des Eingangs 12 Plätze für die Frauen befanden, nach einer Trennwand gab es Platz für 38 männliche Gottesdienstteilnehmer. Am Kopf des Raumes befand sich der hölzerne, bewegliche Schrein mit rotem Samtvorhang zur Aufbewahrung der Thora, unmittelbar davor stand der Vorlesetisch.14 Nach Abschluss der Bauarbeiten wurde die Synagoge am 21. Juli 1869 eingeweiht, wie ein kleiner Artikel in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 23. Juli 1869 mitteilt.15

Über weitere Baumaßnahmen der Juden in Hochheim ist nichts bekannt außer einem Gesuch der Kultusgemeinde, vertreten durch den Vorsteher Robert Wolff, von 1898 an die Kreisbauinspektion in Wiesbaden um Erlaubnis zur Anlegung einer Grube auf dem Hof der Synagoge.

Nach 1938 war kein jüdisches Gemeindeleben in Hochheim mehr möglich: Im Zuge der Reichspogromnacht war die Synagoge zerstört und die Mehrzahl der verbliebenen männlichen Juden in Konzentrationslager abtransportiert worden. Das demolierte Bethaus erwarb 1939 der benachbarte Weingutbesitzer Wilhelm Haenlein. Er setzte das Gebäude wieder in Stand, ließ die Außentreppe abreißen, die Fenster umbauen und schuf zwei kleine Wohnungen, die während des Krieges von Mainzer Familien, später von Heimatvertriebenen bewohnt wurden. Seit 1954 befand sich die ehemalige Synagoge im Besitz der Jewish Restitution Successor Organization zu New York, seit 1959 gehörte sie der jüdischen Gemeinde in Wiesbaden. Schließlich erwarb Josef Gschwandtner aus Hochheim das Haus, in dem er bereits seit 1955 mit seiner Familie lebte. Heute erinnert eine auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Hochheim am 8. Mai 1985 neben dem Eingangstor zu dem einstigen Synagogengrundstück angebrachte Gedenktafel an den Betsaal der jüdischen Gemeinde.16

Weitere Einrichtungen

Schule

Zur Unterrichtung der Kinder wurde erstmals 1808 ein Religionslehrer, Salomon Ruben aus Warburg, von der jüdischen Kultusgemeinde Hochheim beschäftigt. Von da an gab es bis 1882 mit einigen Unterbrechungen – beispielsweise wurde der Unterricht von 1841 bis 1850 wegen Schülermangels ausgesetzt – fast immer einen Judenschullehrer am Ort, der neben seiner Lehrtätigkeit üblicherweise auch andere Dienste ausübte; so waren etwa die Lehrer Hirsch Sinzheimer, Benedict Winter und Simon Spiegel zugleich auch als Schächter tätig. Mitunter übernahmen außerdem Lehrer von Flörsheim, so z. B. ab 1870 Herz Kahn, den Unterricht der Hochheimer Judenkinder. Ab 1882 wurden nur noch vereinzelt jüdische Lehrer eingestellt, da es in der Gemeinde kaum noch Kinder gab. Wo der Unterricht erteilt wurde, ist im Einzelnen nicht nachvollziehbar. Bekannt ist nur, dass die Schulstunden zumeist in Privatwohnungen abgehalten wurden, zeitweise aber auch in einem Saal des Hochheimer Elementarschulhauses stattfanden.17

Cemetery

Vermutlich existierte in Hochheim bereits um die Mitte des 17. Jahrhundert ein jüdischer Friedhof, denn der Domscholaster von Metternich berichtet, dass er zwischen 1664 und 1668 einen Teil des „8 Morgen großen sogenannten Judenkirchhofes vor dem Mainzer Tor in der Hinterhoster oder Hochstätte“18 gekauft habe. Nachweisbar ist eine eigene Begräbnisstätte der jüdischen Gemeinde in Hochheim allerdings erst für das frühe 20. Jahrhundert. Bis dahin wurden die Hochheimer Juden zusammen mit ihren Glaubensbrüdern von Flörsheim zunächst auf dem „Judensand“19 in Mainz bestattet. Dann legten die Kultusgemeinden Flörsheim und Hochheim 1666 in Flörsheim, nahe der Gemarkungsgrenze zu Hochheim, einen neuen Friedhof an, den sie bis 1907 gemeinsam nutzten. Aufgrund von Streitigkeiten bezüglich der Bestattungskosten, erwarben die Hochheimer Juden zwei Jahre darauf ein 790 qm großes Grundstück außerhalb der Stadt, an der Landstraße nach Flörsheim gelegen, auf dem 1912 die erste Beisetzung erfolgte. 1938 warfen Unbekannte die Grabsteine um und verwüsteten den Friedhof, der 1946 wieder hergerichtet werden konnte.20

Hochheim (Main), Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Luschberger: Hochheim, S. 3
  2. Luschberger: Hochheim, S. 3–6
  3. Luschberger: Hochheim, S. 6–9, 16
  4. HHStAW 227, 2637; Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 1, S. 373
  5. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 1, S. 373
  6. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 1, S. 105, 118; Abschnitt „Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde“, Abs. 6 und 7, im Artikel „Hochheim a.M.“ auf http://www.alemannia-judaica.de/hochheim_main_synagoge.htm#Links%20und%20Literatur
  7. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 1, S. 373–374; Luschberger: Hochheim, S. 197
  8. Luschberger: Hochheim, S. 33
  9. Luschberger: Hochheim, S. 33; Alicke: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, Sp. 1905
  10. Luschberger: Hochheim, S. 35–37; HHStAW 227, 2637; HHStAW 227, 2661
  11. HHStAW 227, 2630; Luschberger: Hochheim, S. 13
  12. Luschberger: Hochheim, S. 33–40; HHStAW 227, 2630
  13. Luschberger: Hochheim, S. 38–40; HHStAW 227, 2630
  14. Luschberger: Hochheim, S. 40–43
  15. Artikel aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 28. Juli 1869, in „Zur Geschichte der Synagoge“, Abschnitt 2, im Artikel „Hochheim a.M.“ auf http://www.alemannia-judaica.de/hochheim_main_synagoge.htm
  16. Luschberger: Hochheim, S. 46, 128–130
  17. Luschberger: Hochheim, S. 51–60; HHStAW 227, 2637
  18. Luschberger: Hochheim, S. 77
  19. Luschberger: Hochheim, S. 78
  20. Luschberger: Hochheim, S. 77–81; Alicke: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, Sp. 1905
Recommended Citation
„Hochheim am Main (Main-Taunus-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/7> (Stand: 22.7.2022)