Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Hirschhorn Karten-Symbol

Gemeinde Hirschhorn (Neckar), Landkreis Bergstraße — Von Wolfgang Fritzsche und Ulrich Spiegelberg
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1642

Location

69434 Hirschhorn, Hauptstraße 50 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Die gesicherte Geschichte jüdischer Einwohner von Hirschhorn beginnt 1642, als zwei Juden vermutlich mit ihren Familien in zwei ehemals herrschaftlichen Häusern in der Vorstadt wohnten. 1648 wurden sie namentlich genannt: Isaac bewohnte das sogenannte „Grüne Haus“ und Benedikt lebte gegen eine jährliche Miete von 14 Gulden im „Erkerhaus“ (Hauptstr. 40).1 An diesen verkaufte die Stadt im Jahr 1650 eine Kanone, die während des Dreißigjährigen Krieges zur Verteidigung angeschafft worden war, nebst einer metallenen Doppelhakenbüchse. 1645 hatte er bei der Erbach-Fürstenauer Kanzlei in Begleitung eines Michelstädter Juden nachgesucht, ihm gegen ein jährliches Geleitgeld von 1 ½ Gulden den Handel in der Grafschaft zu erlauben, was aber abgelehnt wurde. Die Hirschhorner Juden nutzten die sich ihnen als Landjuden bietenden wirtschaftlichen Nischen: Sie betätigten sich als Krämer, Viehhändler und Hausierer. Ihre mühsame Tätigkeit war nicht nur wirtschaftlich bedeutsam für die Landbevölkerung, sie erfüllte auch eine wichtige soziale Funktion, denn die Hausierer informierten als „lebendige Zeitung“ die Bauern auch über die Neuigkeiten der umliegenden Dörfer und Städte. Die über das Land ziehenden Hirschhorner Juden überbrachten bisweilen auch Post vom Rat an die Mainzer Verwaltung. Als Krämer lieferten die Hirschhorner Juden, wie die Stadt-und Heiligenrechnungen zeigen, Baumaterialen, Metall und Metallwaren, Stoffe und Kurzwaren, Öl, Pulver, Wachs, Seife. Sie waren angehalten, ihr Vieh gegen Gebühr auf dem städtischen Schragen zu schlachten, ebenso sollten die Waren auf der städtischen Waage gewogen werden. Im 17. und 18. Jahrhundert hatten jüdische Händler den unteren Teil des Rathauses gepachtet und betrieben bis 1784 von dort aus den örtlichen Handel mit Salz. Im Schatzungsbuch von 1692 wird eine von zwei Juden betriebene Gerberei aufgeführt, ein weiterer Jude zahlte für seine „Handtierung“, die jedoch nicht näher bezeichnet ist. Vielleicht war auch er Gerber. 1719 hatten zwei Hirschhorner Juden kurzfristig eine der Mahlmühlen in Besitz. Bei den Geschäften unterstützten sich die Juden der benachbarten Gemeinden gegenseitig, oft mussten sie auch zusammenkommen, um einen Minjan zu versammeln - zehn religiös mündige Männer, die anwesend sein müssen, um einen Gottesdienst zu halten. Durch Regelungen versuchten die Städte den Handel der eigenen Bürger gegen die wirtschaftliche Konkurrenz der Juden zu schützen. So verbot der Eberbacher Rat 1668 Hirschhorner Juden, außerhalb der Markttage in Eberbach zu handeln.

In Hirschhorn befanden sich 1693 mehr als zwölf Juden ohne Schutzbrief. Gleichwohl gab es keine eigentliche Judengasse. Die heutige Schmale Gasse trug allerdings nach einem hier wohnenden Juden die Bezeichnung Heyumsgasse. Die jüdischen Familien wohnten verstreut in der Stadt, einige auch in der Hauptstraße, drei bis vier Juden besaßen auch eigene Häuser, zum Teil sogar mehrere.

Auf die Klage, die Juden würden ein zu geringes Schutzgeld zahlen und sich nicht an der Fronarbeit und dem Wachtdienst beteiligen, wurde die Höhe des Schutzgeldes 1678 und 1694 festgelegt. Vom Fron- und Wachtdienst blieben die Juden gegen eine Ausgleichszahlung befreit, für die Nutzung des Wassers und der Weide war ein Schutzgeld in Höhe von jährlich 1,30 Gulden zu zahlen, eine Witwe zahlte 45 Kreuzer. Nach 40 Jahren genossenen Schutzes wurde kein Schutzgeld mehr erhoben. Bei Armut konnten die Beträge nachgelassen werden.

Formale Gemeindestrukturen lassen sich erst ab dem 18. Jahrhundert nachweisen, als sieben bis zehn Familien im Ort wohnten. Der erste bekannte Gemeindevorsteher war der 1729 verstorbene Gumprecht Marx, der seit 1692 in Hirschhorn lebte. Der erste Rabbiner war Rabbi Hillal, Hillel Fux, der 1766 in der Stadt wohnte und 1771 verstarb.2 Als erster Schulmeister wurde 1775 Enoch Abraham erwähnt, dem 1789 Daniel Simon im Amt nachfolgte.

Erstmals 18223, später noch einmal 1827 wird eine Liste der in Hirschhorn lebenden Schutzjuden erstellt. Da die Liste von 1827 umfassender ist und beredtes Zeugnis über die Familien ablegt, wird sie hier wiedergegeben. Bürgermeister Hipp hatte die Liste am 24. Juli 1827 auf Nachfrage des Amtes erstellt, weil dort nicht geglaubt wurde, dass die Gemeinde zu arm sei, eine neue oder gemeindeeigene Mikwe erbauen zu lassen: Moses Löw, der Vorsteher der Gemeinde, galt als wohlhabendster Jude im Ort. Er besaß ein Wohnhaus im Wert von 550 Gulden und ein kleines Grundstück. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit Kramhandel, unbedeutendem Lang- und Eisenwarenhandel und gelegentlichen Viehverkäufen. Sein Sohn Löw Rosenthal lebte mit seiner Familie mit im Hause des Vaters und betrieb gemeinsam mit diesem einen unbedeutenden Viehhandel. Heium Benedict besaß ein Wohnhaus, eine halbe Scheune und ein kleines Grundstück, was alles zusammen etwa 1.000 Gulden wert war. Seine Adoptivtochter hatte Simon Grünewald geheiratet, auf den ein Teil der Immobilien überschrieben worden war. Heium Benedict betrieb sehr geringen Kram- und wenig Langwarenhandel. Zudem galt er als verschuldet. Simon Grünewald lebte bei dem Adoptivvater seiner Frau und war Metzger von Beruf. Weil die Gemeinde aber klein war, konnte er davon nicht gut leben. Simon Dessauer galt als sehr alt und ohne eigenes Gewerbe. Er besaß ein verschuldetes Wohnhaus und einen kleinen Acker. Er war der Vorsänger und Schächter. Jakob Liebmann war der Schwiegersohn von Simon Dessauer und lebte mit Familie in dessen Haus. Er bestritt sein geringes Einkommen aus Schacherhandel. Herz Oppenheimer zählte zu den ärmsten jüdischen Einwohnern. Er besaß ein halbes baufälliges und zudem verschuldetes Haus. Obwohl er sehr alt und ohne eigenes Gewerbe war, handelte er in geringem Umfang mit Sohlleder und verdingte sich bei anderen jüdischen Familien. Schmai Sandel besaß ein verschuldetes Wohnhaus und ein Stück Ackerland. Er galt als Schmusejude, also Heiratsvermittler, und erwirtschaftete ein geringes Einkommen aus Schacher- und zuweilen auch Viehhandel. Der Bürgermeister bezeichnete ihn als Betteljuden. Salomon Sandel besaß außer einem Wohnhaus kein Vermögen und war, wie sein Bruder Schmai Sandel, ganz arm. Auch Salomon Bamberger war arm. Zwar besaß er ein Haus und zwei kleine Grundstücke, diese hatten zusammen aber nur einen Wert von 150 Gulden. Er hatte als Schmuse- und Schacherjude fünf oder sechs Kinder zu versorgen. Auch ihn bezeichnete der Bürgermeister als Betteljuden.4

1826 wurde die Gemeinde dem Rabbinat Michelstadt unterstellt und hatte fortan keine eigenen Rabbiner mehr. Ende des 19. Jahrhunderts kam sie an das Darmstädter Rabbinat II.

Auch im 19. Jahrhundert lebten die jüdischen Familien in bescheidenen Verhältnissen und waren als Krämer, Metzger und Viehhändler tätig. Einige wurden auch durch wohltätige Stiftungen unterstützt. In der Mitte dieses Jahrhundert besuchten verschiedene Gemeindemitglieder den Gottesdienst in Eberbach, weil dort sonst kein Minjan zustande gekommen wäre und sie dafür bezahlt wurden. Dies zeichnet auch die Bevölkerungsentwicklung nach. Bereits 1828 erreichte die Zahl der jüdischen Bewohner Hirschhorns mit 58 ihren absoluten und relativen Höchststand (4 % der Gesamtbevölkerung). Diese Zahl sank über 26 Personen im Jahre 1910 auf 21 Personen in 1932/33. Bis 1937 verließen sechs Personen den Ort.5

Zu den letzten im Ort verbliebenen Juden gehörten Mitglieder der Familien Bamberger, Hirsch, Salomon, Wimpfheimer und Würzburger. Sie waren zumeist gut in das städtische Leben integriert und oftmals in Vereinen aktiv. Auch sie mussten die Entrechtungen und Repressialien des sogenannten Dritten Reiches ertragen.

Im Jahr 1935 starb das langjährige Gemeindevorstandsmitglied Salomon Bamberger. Eine Neuwahl fand auf Grund der geringen Anzahl Stimmberechtigter nicht mehr statt. Viele Familien zogen 1937/38 nach Heidelberg, Mannheim und Ladenburg und wanderten von dort in die USA aus. Lediglich ein jüdischer Einwohner war in Hirschhorn verblieben. Der Metzger Louis Salomon wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort 1944 ermordet.

Betsaal / Synagoge

1775 erwarb die Gemeinde für 155 Gulden ein kleines, 1737 erbautes Haus an der Stadtmauer, das die heutige Bezeichnung An der Stadtmauer Nr. 2 trägt. Hier richtete sie die Wohnung für den Lehrer und einen Betsaal ein. Gleichzeitig diente dieses Haus als „Judenschlafstätte“, das bedeutet, dass hier wandernde Personen Unterkunft und wahrscheinlich auch Verpflegung fanden.

Am 4. Mai 1817 verkauften die beiden ledigen, über 50 Jahre alten Brüder Hill und Wolf Oppenheimer ihr halbes Wohnhaus in der Hauptstraße zur Errichtung einer Judenschule, behielten sich aber ein lebenslanges Wohnrecht vor. 1830/31 erwarb die jüdische Gemeinde das gesamte Haus und richtete einen neuen Betsaal mit 35 Sitzen ein. 1859 gab sie sich eine Synagogenordnung, die der anderer jüdischer Gemeinden des Kreises glich.

Im Frühjahr 1938 wurden im Zuge der Auflösung der Gemeinde die Kultgegenstände aus der Synagoge nach Heppenheim ausgelagert und das Gebäude samt Einrichtung verkauft. Einzig den Thoraschrein und den Thoraschrank hatte zuvor ein Rabbiner aus Frankfurt am Main abgeholt.6 Deswegen blieb das Gebäude in der Pogromnacht verschont. Heute befinden sich dort Wohn- und Geschäftsräume.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

In Hirschhorn gab es nach derzeitigem Kenntnisstand keine gemeindeeigene Mikwe. Allerdings gab es private Bäder, die von den Frauen der Gemeinde genutzt wurden. So befand sich 1825 im Haus von Heyum Benedict eine Badeeinrichtung, die durch den Kreisphysikus zu begutachten war. Dr. Becker suchte sie auf und fand angeblich eine „Kloake“7 in einem großen, modrigen und dunklen Keller. Das Becken war aus Stein erbaut und sechs Schuh tief, die hineinführenden Stufen allerdings ebenfalls aus Stein und nicht wie vorgeschrieben aus Holz. Das Becken würde zwar durch Quellwasser gefüllt, doch sei kein regulärer Ablass vorhanden. Zusammenfassend kam er zu dem Schluss, dass dieses „Badeloch“ umgehend zugeworfen werden müsse. Einige Zeit später erläuterte der Gemeindevorsteher Moses Löw die Situation: Man habe, weil die Gemeinde äußerst arm sei, einige wenige Verbesserungen durchgeführt und 1827 habe der Arzt Dr. Wegerich das Bad als ordnungsgemäß und hygienisch einwandfrei eingestuft. Dennoch wurde seine Nutzung bei Androhung von 10 Reichstalern Strafe verboten und angeordnet, eine neue Mikwe einzurichten. Spätestens seit Juni 1830 bestanden Mikwen in den Häusern von Simon Grünewald und Salomon Sandel, die Mikwe bei Simon Grünewald wurde in diesem Jahr als ordnungsgemäß begutachtet. Zur gleichen Zeit wurde die Mikwe in Neckarsteinach geschlossen, woraufhin einige Frauen das Bad im Haus von Salomon Sandel besuchten.8 Wenig später wurde die Einrichtung bei Simon Grünewald geschlossen, so dass ab 1839 nur noch die Mikwe bei Salomon Sandel zur Verfügung stand.

So ganz vorschriftsmäßig wird auch diese Einrichtung nicht gewesen sein. Das Becken hatte zwar Zulauf von klarem Wasser, aber nur einen Überlauf und keinen Ablauf. Zudem sei es so groß, dass selbst ein ganzer Kessel mit warmem Wasser das kalte Quellwasser nicht nennenswert erwärmen konnte. Aber sie stand der ganzen Gemeinde unentgeltlich zur Verfügung. 1841 sollten dann anlässlich einer amtsärztlichen Besichtigung aufgefallene Mängel behoben oder eine Gemeindemikwe errichtet werden. Allerdings war die Gemeinde für beides zu arm und sah dafür auch keine Notwendigkeit, weil nur ein oder zwei Frauen das Bad aufsuchten.9 Das Becken befand sich in einem dunklen modrigen Keller, der weder geplättet noch gebordet war. Das Bad verfügte weder über einen Ofen noch über einen Kessel und war direkt von der Straße aus über eine Treppe zu betreten. Eine zweite Treppe führte in das Erdgeschoss des darüber liegenden Wohnhauses, in dem in einer Stube das Wasser in einem Kessel erhitzt werden konnte. Auch 1853 konnten wegen Armut der Gemeinde nicht einmal die notwendigsten Verbesserungen durchgeführt werden.

Zwar änderte sich an der finanziellen Lage der Gemeinde auch in den nächsten Jahren nicht viel, doch erklärte sie sich 1871 bereit, entweder in der Synagoge ein Bad einzurichten, oder ein kleines Gebäude zu erwerben, in dem ein solches eingerichtet werden konnte. Letztlich geschah aber auch das nicht. Schon ein Jahr später wird berichtet, dass es in Hirschhorn keine Mikwe mehr gab. Badewillige begaben sich nun in einen der benachbarten Orte.

Cemetery

Der Friedhof am Schlossberg in Hirschhorn wurde um 1700 angelegt, nachdem die Genehmigung dazu bereits 1690 vorgelegen hatte. Auf dem rund 27,5 Ar großen Gelände sind 227 Grabsteine beziehungsweise ihre Reste erhalten. Der älteste stammt aus dem Jahr 1729, der jüngste von 1936. Hier bestatteten auch die in den benachbarten Ortschaften Eberbach, Neckarsteinach, Strümpfelbrunn und Zwingenberg a.N. hinterbliebenen Juden ihre Verstorbenen Die Steine sind eher schlicht gehalten. Einige besitzen Blumen –und Rankendekor, einige wenige andere zusätzliche Symbole. Eine Krone spricht für den guten Ruf und Namen des Verstorbenen, ein Löwe für dessen Glaubensstärke oder weist auf den Familiennamen Löw hin, ein Krug erinnert an die Nachkommenschaft des Stammes Levi. Ein Schofar zeigt an, dass der Verstorbene an den Festtagen in der Synagoge dieses geblasen hat, eine hohe Auszeichnung innerhalb der jüdischen Gemeinde. 1826 wurde der Friedhof erweitert. Schon 1814, 1836 und 1861 kam es zu Schändungen, als die Friedhofsmauer und Grabsteine umgeworfen und teilweise zerstört wurden. Nach Auflösung der Gemeinde ging im Jahr 1939 der Friedhof unter Androhung der Zwangsenteignung in den Besitz der Stadt über. Bemerkenswert ist das erhaltene Totenhäuschen aus dem 18. Jahrhundert.

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Grabstätten

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References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. HStAD E 1 K, 221/6
  2. StadtA Hirschhorn XV, K 7, 1
  3. HStAD G 15 Heppenheim, L 50
  4. HStAD G 15 Heppenheim, L 73
  5. Alicke: Lexikon der jüdischen Gemeinden, Sp. 1894
  6. HHStAW 503, 7379
  7. HStAD G 15 Heppenheim, L 73
  8. HStAD G 15 Heppenheim, L 68
  9. HStAD G 15 Heppenheim, L 74
Recommended Citation
„Hirschhorn (Landkreis Bergstraße)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/87> (Stand: 22.7.2022)