Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Habitzheim Karten-Symbol

Gemeinde Otzberg, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1548

Location

64853 Otzberg, Ortsteil Habitzheim, Krötengasse 21 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1970

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Das1262 urkundlich erstmals erwähnte Habitzheim gehörte ab 1561 vollständig in den Besitz der späteren Grafen beziehungsweise Fürsten von Löwenstein-Wertheim-Rochefort und war für die kleine Herrschaft namengebend. Hinzu zählten die Orte Spachbrücken, Zeilhard, Groß-Zimmern und Georgenhausen, letzteres allerdings nur von 1485 bis 1618. Habitzheim kam 1806 an das Großherzogtum Hessen und bildete zeitweise den Sitz des gleichnamigen Amtes. Seit 1971 ist es einer von sechs Ortsteilen der Gemeinde Otzberg.

In den beiden Ortschaften Habitzheim und Spachbrücken der Grafschaft Löwenstein wurden bereits 1548 jüdische Bewohner genannt. Eine Aufzählung aus dem Jahre 1604 soll zweimal die jüdischen Namen Wolf und fünfmal Mosche von Habitzheim führen.1 Trotz der verheerenden Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges und der Pest – in Habitzheim haben nur vier christliche Familien überlebt – ist in der Herrschaft eine jüdische Gemeinde seit 1642 belegt. Erstmals 1759 werden die männlichen Familienvorstände namentlich genannt. Dies waren in Habitzheim Veitel Löb, Eißig, Jockel Isaac, Jockuf, Abraham Joseph und David Benjamin.2 1831, nach Annahme fester Familiennamen, waren es Salomon Strauß, Mordechai Siegel, Feist Sauer, Jösel Löw Wolf, Josef Magsamen, Isaak Grünebaum, Moses Seligmann, Seligmann Jacob, Abraham Stern, Moses Reinheimer und Bär Strauß, wobei letzterer 1837 hinzukam.3 Vier von ihnen waren Handelsmänner, drei waren Makler, einer Krämer und einer Kammerjäger. Der „Handelsjude“ Jösel Löw Wolf war 1827 zugleich Vorsteher und Rechner der Gemeinde.4

Anders als in den meisten anderen Landgemeinden hatte die Zahl der jüdischen Einwohner bereits 1814 mit 79 ihren höchsten Stand erreicht. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten sank sie über 68 im Jahr 1867, 36 in 1900 und 20 in 1925. Die meisten der verbliebenen jüdischen Einwohner konnten nach 1933 aus Habitzheim nach Frankfurt und Darmstadt fliehen, wo sie vielfach Opfer der Verfolgung wurden.5 Die sechs übrigen wurden am 21. September 1942 deportiert und in Theresienstadt ermordet.6

Nach der Auswanderung des letzten Vorstehers David Strauß im Jahr 1937 löste sich die Gemeinde auf. Sein Wohnhaus auf dem Synagogengrundstück wurde nach 1938 in einen Kindergarten umgenutzt und schließlich 1970 abgerissen.

Betsaal / Synagoge

Spätestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bestand in Habitzheim eine Synagoge7, deren Lage heute nicht mehr bekannt ist. Der älteste bekannte Betsaal befand sich im Bereich des heutigen Anwesens Schlossgasse 1. Das Gebäude diente gleichzeitig als Wohnhaus des jeweiligen Lehrers und Kantors. Mit Vertrag vom 2. Februar 1827 versteigerte die Gemeinde dieses Anwesen und erwarb das bebaute Grundstück mit der heutigen Bezeichnung Krötengasse 21. Dort stand traufständig ein zweigeschossiges Fachwerk-Einhaus mit Torfahrt. Während die rechte Gebäudehälfte als Wohnhaus erhalten blieb und an Abraham Stern weiterverkauft wurde, baute man den linken Gebäudeteil, die ehemaligen Wirtschaftsräume mit Brennerei, in eine Synagoge um. 1846 kam es zu weiteren größeren Umbaumaßnahmen. Das Dach über dem westlichen Gebäudeteil, der Mikwe, wurde angehoben, die Mikwe renoviert und der Betraum mit einem neuen Tonnengewölbe überdeckt. Gleichzeitig erhielt die bereits bestehende Frauenempore neue Stützen.8

Eine undatierte Beschreibung, wohl aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vermittelt einen Eindruck der Einrichtung: „Der Eingang des Gotteshauses war links unter dem Torbogen. Dort wusch man sich, wie die Gesetzesvorschriften es vorsahen, die Hände und ging dann die Stiege hinauf. Während im Untergeschoss Räume für den jüdischen Religionsunterricht – zuletzt gehalten von Lehrern aus Groß-Umstadt – zur Verfügung standen, versammelte man sich oben zum Gottesdienst. Dieser Raum war himmelblau ausgemalt, die Decke gewölbeähnlich verschalt. In der Mitte hing ein Kronleuchter. Vorn stand ein Pult, von dem her aus dem Alten Testament vorgelesen wurde. […]“9

Mit Rückgang der Zahl der Gemeindemitglieder endete in den 1920er Jahren der regelmäßige Gottesdienst. Danach fanden nur noch vereinzelt Gottesdienste bis 1937 statt. Im Zuge der Ausschreitungen der Pogromnacht wurde das Innere der Synagoge zerstört. Die meisten Kultgegenstände waren zuvor nach Darmstadt ausgelagert worden, wo sie in der Pogromnacht vernichtet wurden.10 Einige Gebetbücher und einen Koscherstempel rettete der damalige Bürgermeister Jean Mickler. Sie werden heute im Museum der Synagoge in Michelstadt aufbewahrt. Das Synagogengebäude stand von 1938 bis 1950 im Besitz der JRSO, wurde danach privatisiert und ging 1953 an die bürgerliche Gemeinde, die darin zunächst Wohnungen, später einen Kindergarten einrichtete.11

1970 wurde das Gebäude abgebrochen. Am 9. November 2008 setzte der Häzemer Dorf- und Kulturverein an seinem Standort eine Gedenktafel mit der Inschrift „ Zum Gedächtnis, uns zur Mahnung / am Ort der ehemaligen Synagoge und Mikwe, / eingeweiht 1827 / abgerissen 1970 / denen, die mitten unter uns lebten, / den Ermordeten / oder vertriebenen jüdischen Familien / Berkowitz, Hirsch, Strauss, Reinheimer, Seligmann und allen anderen. / Du hast sie gespeist mit Tränenbrot, / Sie überreich getränkt mit Tränen (PS 80,6) / Meine Schmach steht mir allzeit vor Augen, / und Scham bedeckt mein Gesicht. (PS 44,16)“

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Der älteste bekannte Betsaal befand sich etwas zurückgelagert von der Schlossgasse unmittelbar neben der Semme.12 Vermutlich wird sich hier auch eine Mikwe befunden haben.

Mit Umbau des Hauses Krötengasse 21 wurde auch dort eine Mikwe eingerichtet. Sie befand sich im westlichen, ursprünglich eingeschossigen, von einem Pultdach überdeckten Bereich. 1846 kam es zu größeren Umbaumaßnahmen in diesem Bereich. Das Dach wurde angehoben, so dass ein vollständiges zweites Geschoss unter Walmdach entstand. Das eigentliche Badebecken, das sich im Keller befand, wurde tiefer gelegt, einige Innenwände erneuert und zwei neue Fenster in die straßenseitige Fassade gesetzt.13

Schule

Wahrscheinlich wurde bereits 1670 Unterricht für jüdische Kinder erteilt. In dem Gebäude Schlossgasse 1 befand sich bis 1827 ebenfalls ein Schulzimmer, das mit der Einrichtung des Gemeindezentrums in der Krötengasse 21 in das dortige Erdgeschoss verlegt wurde.14

Wenige Jahre zuvor, 1823, hatte sich das Schulsystem geändert, weil seit diesem Zeitpunkt auch jüdische Kinder die allgemeine Volksschule besuchten. Parallel dazu fand nun im Synagogengebäude der Religions- und Hebräischunterricht statt.

Cemetery

Die Verstorbenen der Gemeinde wurden auf dem Friedhof in Dieburg bestattet. Eine der letzten Beerdigungen ist die am 14. Dezember 1938 erfolgte Beisetzung der Asche des im KZ Buchenwald ermordeten Bernhard Strauß aus Habitzheim.15

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Löwenstein-Wertheim-Rochefort, Fürsten von · Wolf · Mosche · Veitel Löb · Eißig · Jockel Isaac · Jockuf · Abraham Joseph · David Benjamin · Strauß, Salomon · Siegel, Mordechai · Sauer, Feist · Wolf, Jösel Löw · Magsamen, Josef · Grünebaum, Isaak · Seligmann, Moses · Jacob, Seligmann · Stern, Abraham · Reinheimer, Moses · Strauß, Bär · Strauß, David · Mickler, Jean · Berkowitz, Familie · Hirsch, Familie · Strauss, Familie · Reinheimer, Familie · Seligmann, Familie · Strauß, Bernhard

Places

Spachbrücken · Zeilhard · Groß-Zimmern · Georgenhausen · Otzberg · Frankfurt am Main · Darmstadt · Groß-Umstadt · Michelstadt · Dieburg

Sachbegriffe Geschichte

Dreißigjähriger Krieg · Pest · Theresienstadt, Ghetto · Pogromnacht · Buchenwald, Konzentrationslager

Sachbegriffe Ausstattung

Kronleuchter · Pulte · Gebetbücher · Koscherstempel

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkbauten · Fachwerkbauten · Einhäuser · Torfahrten · Frauenemporen · Tonnengewölbe · Pultdächer · Walmdächer

Fußnoten
  1. Löwenstein, Verwehte Spuren, S. 9
  2. Löwenstein, Verwehte Spuren, S. 25
  3. Löwenstein, Verwehte Spuren, S. 25
  4. Löwenstein, Verwehte Spuren, S. 28
  5. Löwenstein, Verwehte Spuren, S. 32
  6. Löwenstein, Verwehte Spuren, S. 83
  7. Löwenstein, Verwehte Spuren, S. 44
  8. HStAD P 11, 18207/1-3
  9. zitiert nach Löwenstein, Verwehte Spuren, S. 38
  10. HHStAW 518, 1409
  11. HHStAW 503, 7381
  12. Löwenstein, Verwehte Spuren, S. 34
  13. HStAD P 11, 18207/1-3
  14. Löwenstein, Verwehte Spuren, S. 38
  15. Löwenstein, Verwehte Spuren, S. 58
Recommended Citation
„Habitzheim (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/160> (Stand: 22.7.2022)