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Bombenanschlag der RAF auf den Gefängnisneubau in Weiterstadt, 27. März 1993

In der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Weiterstadt bei Darmstadt kommt es um 5:12 Uhr morgens zu einer schweren Explosion, die drei Unterkunftsgebäude und den Verwaltungstrakt des neuerbauten Gefängnisses zerstört und große Teile der übrigen Anlage beschädigt. Ursache sind fünf Ladungen mit insgesamt 200 Kilogramm gewerblichem Sprengstoff, die von Angehörigen der Roten Armee Fraktion (RAF) in der Nacht auf dem Gelände deponiert worden waren. Die Täter – nach Aussagen des überraschten Gefängnispersonals und den Ermittlungen der Behörden mindestens drei Männer und eine Frau – waren kurz nach 1:00 Uhr über die 6,50 Meter hohe Außenmauer in das Gefängnis eingedrungen. Maskiert und mit Maschinenpistolen bewaffnet überrumpelten sie zwei wachhabende Beamte; acht weitere auf dem Gelände befindliche Personen wurden im Schlaf überrascht. Von den Eindringlingen gefesselt, wurde das Anstaltspersonal in einen Kleinbus gesperrt, den die Terroristen in einem Waldstück, etwa 600 Meter hinter einer Deponie, abstellten.

Nach der Tat fliehen die Terroristen im Wagen eines Bediensteten, der später mit einem Selbstbezichtigungsschreiben in Mörfelden-Walldorf gefunden wird. Bei dem Anschlag auf die noch nicht bezogene Anstalt entsteht ein geschätzter Sachschaden von 80 bis 90 Millionen DM. In einem Bekennerschreiben, das der Berliner „tageszeitung“ am 1. April zugeht („Erklärung vom 30. März 1993“1), fordern die Täter (Selbstbezeichnung „Kommando Katharina Hammerschmidt“) die Freilassung aller inhaftierten RAF-Mitglieder. Der Anschlag habe dazu gedient, dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Nach eigenem Bekunden will die RAF jedoch auf weitere Mordanschläge gegen Politiker und Wirtschaftsfunktionäre verzichten. Entgegen der in dem Schreiben unmissverständlich zum Ausdruck gebrachten Drohung, nichtsdestotrotz den „bewaffneten Kampf“ fortzuführen, kündigt die Bundesregierung an, weiterhin an der sogenannten Kinkel-Initiative, dem Anfang 1992 von Bundesjustizminister Klaus Kinkel (1936–2019; FDP) mit Rückendeckung der Bundesanwaltschaft und des Bundesamts für Verfassungsschutz ausgesprochenen Angebot, bei Gewaltverzicht der RAF deren inhaftierte Mitglieder vorzeitig aus der Haft zu entlassen, festzuhalten. Die Fahnder der zuständigen Ermittlungsbehörden fördern später zu Tage, dass die RAF-Mitglieder Daniela Klette (geb. 1958), Ernst Volker Staub (geb. 1954) und Burkhard Garweg (geb. 1968) an dem Bombenanschlag in Weiterstadt beteiligt sind. Weitere Beteiligte sind nach Vermutung des BKA und des Verfassungsschutzes Birgit Hogefeld (geb. 1956) und Wolfgang Grams (1953–1993), der am 27. Juni 1993 bei seiner versuchten Festnahme am Bahnhof in Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern) ums Leben kommt.

Der Terrorakt bedeutet (nach fast zwei Jahren Pause, in denen die RAF keine Anschläge verübte) einen Rückschlag für die Erwartung der Sicherheitsbehörden und der Politik, die Zeit der terroristischen Gewaltaktionen der RAF sei zu Ende. Tatsächlich aber ist es der letzte aufsehenerregende Anschlag der RAF vor ihrer Auflösung im Jahr 1998.
(KU)


  1. Vgl. rafinfo.de: die Webressource zur Roten Armee Fraktion: Archiv: RAF-Erklärungen: Anschlag auf den Knast Weiterstadt – Erklärung vom 30. März 1993 (eingesehen am 24.1.2012).
Records
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.3.1993, S. 1: 100 Millionen Schaden bei Terroranschlag auf Gefängnisbau: Behörden werten Selbstbezichtigungsschreiben der RAF als authentisch / Noch keine Spur
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.3.1993, S. 3: Der Anschlag von Weiterstadt markiert das Ende der Terrorpause: Die Zeit der Gewaltaktionen ist offenbar immer noch nicht abgeschlossen / Von Günter Bannas
Additional Information
Recommended Citation
„Bombenanschlag der RAF auf den Gefängnisneubau in Weiterstadt, 27. März 1993“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/2732> (Stand: 27.3.2021)
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