Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Oberzell Karten-Symbol

Gemeinde Sinntal, Main-Kinzig-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1. Hälfte 18. Jahrhundert

Location

36391 Sinntal, Ortsteil Oberzell, Kirchberg 4 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Hanau

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Oberzell wurde schriftlich erstmals 1167 erwähnt, als der Ort im Besitz des Klosters Fulda stand. Über die Herrschaft, später Grafschaft Hanau gelangte er 1643 zunächst als Pfand an die Landgrafen von Hessen. Nachdem das Pfand nicht eingelöst werden konnte, verblieb er dort und gehörte ab 1821 zum Landkreis Schlüchtern, ab 1866 zu der preußischen Provinz Hessen-Nassau.

Im Zuge der Verwaltungsreform wurde er Bestandteil der neu gegründeten Gemeinde Sinntal im hessischen Main-Kinzig-Kreis.

Oberzell gehört zu den wenigen Orten, aus denen so gut wie keine Nachrichten zur Geschichte der jüdischen Gemeinden vorliegen. Da der älteste erhaltene Grabstein eines Juden aus Oberzell auf dem Friedhof von Altengronau in das Jahr 1731 datiert, ist sicher, dass es spätestens in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert zu einer dauerhaften Ansiedlung kam.

Als Juden 1811 feste Familiennamen annehmen mussten, wählten sie Rosenbaum, Hecht, Goldschmidt, Oppenheim und Finsterwald.1

In den seit 1826 geführten Personenstandregistern unterzeichnete der Lehrer Samuel Münz den ersten Eintrag der Verstorbenen2, der erste Geburtseintrag wurde am 6. März 1826 durch den Gemeindeältesten Joseph Finsterwald bescheinigt. Das Vorhandensein dieser beiden Ämter weist darauf hin, dass es zu dieser Zeit bereits formal eine Gemeinde gab. Sie baute sich 1815/16 eine neue Synagoge.

Die Zahl der jüdischen Einwohner von Oberzell lag 1835 bei 54 und sank in den folgenden Dekaden über 43 im Jahr 1861 auf 35 in 1905.3

Mitglieder der Familien Goldschmidt, Rosenbaum und Aronsohn dienten im Ersten Weltkrieg.

Um 1930 wurde die Gemeinde Oberzell vermutlich mangels Mitglieder aufgelöst. Die wenigen Verbliebenen besuchten danach die Synagoge in Heubach. 1938 lebten nur noch vier jüdische Personen im Ort.4 Während der Novemberpogrome kam es zu Überfällen auf Personen, Wohnungen und Geschäfte. Mindestens 20 in Oberzell geborene oder lebende Juden wurden deportiert und ermordet.5

2003 ließ die Gemeinde Sinntal eine Gedenktafel am Altengronauer Friedhof anbringen.

Betsaal / Synagoge

Arnsberg, wie auch die Restitutionsakten, erwähnen eine inschriftlich an der ehemaligen Synagoge angebrachte Jahreszahl 1638. Hierbei muss es sich aber nicht zwangsläufig um das Baujahr der Synagoge selbst handeln, denn es ist durchaus denkbar, dass die Gemeinde im Laufe ihres Bestehens ein älteres, in dieses Jahr datierendes Haus erwarb und darin einen Betraum oder eine Synagoge einrichtete. Denkbar ist auch eine Lesefehler der Bauinschrift. Hierfür spricht einer der raren Aktenfunde. Am 7. Oktober 1814 gestattete die Regierung in Hanau die Abtretung eines Grundstücks zum projektierten Bau einer Synagoge. Moses Rosenbaum besaß damals gemeinsam mit Mardochai Hecht einen Garten, den beide der Gemeinde unentgeltlich als Bauland zur Verfügung stellen wollten. Daraufhin wurde am 7. März 1815 auch die Baugenehmigung erteilt.6 Diese Jahreszahl wiederum korrespondiert sehr gut mit einem erst jüngst im Keller des Synagogengebäude wiedergefundenen Inschriftenstein, der die hebräische Jahreszahl [5]576 führt. Umgerechnet ergibt sich daraus ein Zeitraum von Oktober 1815 bis September 1816 als Baujahr.7 Dies wiederum wird bestätigt durch einen kleinen Beitrag im Bergwinkel Bote, in dem es heißt, die jüdische Gemeinde baute sich 1816 am sogenannten Jüdeküppel eine Judenschule.8

Das Gebäude, ein Fachwerkbau, ist heute vollständig verputzt und teilweise erheblich umgebaut, es lässt seine vormalige Funktion nicht mehr erkennen. Rechts des zentral gelegenen Eingangs lag der Synagogenraum mit Frauenempore, links das Schulzimmer und darüber die Lehrerwohnung. Im Keller befand sich im 20. Jahrhundert die Mikwe.

Die Gemeinde wurde vermutlich schon vor den Pogromen im November 1938 aufgelöst und die Kultgegenstände aller Wahrscheinlichkeit nach nach Schlüchtern gebracht. Zur Inneneinrichtung liegen keine Informationen vor. Als Kultgegenstände sind fünf Thorarollen, fünf Paar silberne Thoraaufsätze mit Schellen, fünf silberne Thoraschilder, fünf silberne Lesefinger, 20 durchschnittliche Thoramäntel, 30 Wimpel, vier Thoraschreinvorhänge, vier Decken für das Vorlese- und Vorbeterpult, eine Ewige Lampe, ein siebenarmiger Leuchter, ein Channukahleuchter, 30 Seelenlichter, zwei silberne Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, ein Trauhimmel, ein Megillah, zwei Schofarhörner, zwölf Gebetsmäntel, fünf Paar Gebetriemen, 20 Gebetbücher, 20 Sätze Festgebetbücher, 20 Bände Pentateuch, ein Satz Aufrufplatten und eine silberne Etrogbüchse aufgeführt.9 Ob es sich hierbei allerdings um den tatsächlichen Bestand handelte, ist ungeklärt. Möglich wäre auch, dass es sich um eine „sine qua non“ Aufstellung handelt, also eine Liste mit Gegenständen, die in einer derartigen Gemeinde vorhanden sein sollten.

Noch im Sommer 1938 wurde das Gebäude an einen Privatmann verkauft.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Die Lage einer frühen Mikwe ist heute nicht mehr bekannt. 1839 plante die Gemeinde, eine neue bauen zu lassen, ohne dass deren Standort genannt wurde. Allerdings lag sie nicht in einem Keller, sondern in einem eigenen, 16 mal 12 Fuß großen, mit Ziegeln gedeckten Fachwerkgebäude. Der Kostenvoranschlag enthält alle nötigen Arbeiten für einen mit Sandsteinplatten belegten Baderaum samt Vorraum und Heizeinrichtung. Die Gesamtkosten beliefen sich auf rund 355 Gulden.10 Unklar ist, ob das Bauvorhaben auch realisiert wurde.

Im 20. Jahrhunderts befand sich im Gemeindezentrum am Kirchberg auch eine Kellermikwe.

Schule

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts befand sich die Schule im Gemeindezentrum am Kirchberg. Gleichzeitig besuchten die jüdischen Kinder auch die örtliche Volksschule.

Cemetery

Die Verstorbenen wurden auf dem Friedhof in Altengronau bestattet. Der älteste dort erhaltene Grabstein eines Oberzeller Juden datiert auf den 4. November 1731, der jüngste stammt von 1929.11

Altengronau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Altengronau, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Hessen, Landgrafen von · Rosenbaum, Familie · Hecht, Familie · Goldschmidt, Familie · Oppenheim, Familie · Finsterwald, Familie · Münz, Samuel · Finsterwald, Joseph · Aronsohn, Familie · Rosenbaum, Moses · Hecht, Mardochai

Places

Altengronau · Heubach · Sinntal · Schlüchtern

Sachbegriffe Geschichte

Erster Weltkrieg

Sachbegriffe Ausstattung

Thorarollen · Thoraaufsätze · Schellen · Thoraschilde · Lesefinger · Thoramäntel · Wimpel · Thoravorhänge · Decken · Vorlesepulte · Vorbeterpulte · Ewige Lampen · Leuchter · Chanukkaleuchter · Seelenlichter · Weinbecher · Hawdalah-Garnituren · Trauhimmel · Megillot · Schofarot · Gebetmäntel · Gebetriemen · Gebetbücher · Festgebetbücher · Pentateuch · Aufrufplatten · Etrogbüchsen

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkbauten · Frauenemporen

Fußnoten
  1. HStAM 180 Schlüchtern, 491
  2. HHStAW 365, 682
  3. Kühlthau, 2017, o.S.
  4. Kühlthau, 2017, o.S.
  5. Kühlthau, 2017, o.S.
  6. HStAM 86, 8534
  7. Kühlthau, 2017, o.S.
  8. Bergwinkel Bote, 1989, o.S.
  9. HHStAW 518, 1175
  10. HStAM 190 Schlüchtern, 101
  11. Kühlthau, 2017, o.S.
Recommended Citation
„Oberzell (Main-Kinzig-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/321> (Stand: 25.8.2022)