Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe
4. Reichsparteitag der Zentrumspartei in Kassel, 16.–17. November 1925
In Kassel findet der 4. Reichsparteitag der Deutschen Zentrumspartei statt. In einer Entschließung bekennt sich das Zentrum erstmalig zur Weimarer Reichsverfassung und zur Republik, nachdem die Festlegung auf eine bestimmte Staatsform innerhalb der Partei bislang stets umstritten blieb und eine Rückkehr zur Monarchie nicht kategorisch ausgeschlossen wurde.1
Einer der Hauptredner auf dem Parteitag, der ehemalige Reichskanzler Karl Joseph Wirth (1879–1956) war zuvor aus der Reichstagsfraktion ausgetreten, nachdem die Zentrumspartei bei der Regierungsbildung zum Kabinett Luther I im Januar 1925 eine Koalition mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) eingegangen war. Wirths Rücktritt löst eine kontroverse Debatte um die Frage aus, ob das Zentrum eine Rechts- oder Linkspartei sei. Die damit verbundene Frage der Ausrichtung der Koalitionspolitik bestimmt auch den Kasseler Parteitag. Noch vor der eigentlichen Delegiertenversammlung findet am 15. November eine Sitzung des Reichsparteiausschusses zu organisatorischen Fragen und zur finanziellen Lage des Zentrums statt.
Am 16. November eröffnet der Parteivorsitzende Wilhelm Marx (1863–1946) den Parteitag offiziell mit einer Rede über „Das Wesen und die politischen Aufgaben der Deutschen Zentrumspartei in der deutschen Politik“. Wirth bekräftigt erneut seine Ablehnung der Zusammenarbeit mit den verfassungsfeindlichen Deutschnationalen (die DNVP zog sich zuletzt im Oktober 1925 frühzeitig aus der Koalitionsregierung zurück, da sie die Ratifizierung der Locarno-Verträge ablehnte). Zugleich kritisiert er den Zustand der Reichstagsfraktion: sie sei autoritär geführt, mangelhaft koordiniert und in wichtigen Fragen ohne einheitliche Linie. Adam Stegerwald (1874–1945), Spitzenfunktionär des christlich-national orientierten Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB, 1919–1933) und zahlreiche Parteirechte erwidern daraufhin, dass die konservativ-monarchistischen Kräfte auch nach Ausrufung der Republik 1918 in Staat und Gesellschaft immer noch führend seien und integriert werden müssten. Demzufolge entstehe dem Zentrum die Verpflichtung, einem Prinzip koalitionärer Offenheit treu zu bleiben. Der republikanische Parteiflügel kritisiert seinerseits, dass eben diese koalitionspolitische Offenheit der Partei sie als konzeptlos erscheinen lasse. Vielmehr solle das Zentrum zu einer unabhängigen und gestalterischen Kraft im Sinne einer christlichen Demokratie erstarken und sich offen zur Weimarer Republik zu bekennen.
(KU)
- In diesem Sinne galt die Republik innerhalb der Zentrumspartei bisher als „Station auf dem Weg“ und die Weimarer Reichsverfassung als temporärer „Stabilisierungsfaktor“, vgl. Reinhard Richter, Nationales Denken im Katholizismus der Weimarer Republik, 2000, S. 111. ↑
- Belege
- Reinhard Richter, Nationales Denken im Katholizismus der Weimarer Republik, Münster u. a. 2000
- Reichsgeneralsekretariat der Deutschen Zentrumspartei (hrsg. Körperschaft): Offizieller Bericht des vierten Reichsparteitages der Deutschen Zentrumspartei. Tagung zu Cassel am 16. und 17. November 1925, Berlin o. J.
- Chronik deutscher Zeitgeschichte 1, S. 266.
- Weiterführende Informationen
- HeBIS Ruppert, Karsten, Im Dienst am Staat von Weimar. Das Zentrum als regierende Partei in der Weimarer Demokratie 1923–1930 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; 96), Düsseldorf 1992, S. 160-171
- Zentrum – Partei der Mitte, aus: Offizieller Bericht des 4. Reichsparteitages der deutschen Zentrumspartei, Tagung zu Kassel am 16. und 17. November 1925, S. 84-85 (eingesehen am 16.11.2012)
- Empfohlene Zitierweise
- „4. Reichsparteitag der Zentrumspartei in Kassel, 16.–17. November 1925“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1958> (Stand: 1.12.2020)