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Finanzamt Rüdesheim als letzter Separatistenstützpunkt geräumt, 4. Februar 1924

Mit dem Finanzamt in Rüdesheim (Rheinstraße) wird der letzte Stützpunkt der zur Farce gewordenen Separatistenherrschaft im Rheingau geräumt. Die Finanzbehörde war am 25. Oktober 1923 besetzt worden, nachdem die Separatisten unter Führung des sich als „Bezirkskommissar“ der Putschisten bezeichnenden französischen Kreisdelegierten der Interalliierten Rheinklandkommission („Hoher Ausschuss für die Rheinlande“, IRKO) Armand tags zuvor bereits das Rüdesheimer Kreishaus gestürmt hatten. Auf dem Weg dorthin von Angehörigen des französischen Sipahi-Regiments („Spahis“) und französischen Gendarmen eskortiert, rief man die „Rheinische Republik“ aus, verschaffte sich ungehindert Zugang zum Gebäude und hisste auf dem Dach die rot-weiß-grüne Separatistenfahne. Von dem zur „Kommandozentrale“ des separatistischen Umsturzversuches erklärten Finanzamt aus war in den vergangenen Wochen und Monaten eine wahre Flut von Gesetzen und Bestimmungen erlassen worden. Die selbsternannte Regierung der „Rheinischen Autonomie des Rheingaues“ ließ sämtliche Steuereinnahmen und Gemeindekassen beschlagnahmen, entfernte alle den separatistischen Bestrebungen im Wege stehenden Beamten, entließ den Kreistag und den Kreisauschuss und verbot alle Rheingauer Zeitungen, die sich geschlossen weigerten, sich der zensierenden Kontrolle durch die neuen „Machthaber“ zu unterwerfen. Ferner setzte man eine Zwangsbewirtschaftung der Lebensmittelversorgung durch und ahndete Verstöße gegen die strengen Vorschriften mit drakonischen Strafen. Separatistische Ortskommissare in den Rheingau-Gemeinden fungierten als Mittelsmänner, die der separatistischen Leitung unter Bezirkskommissar Armand jeden Verdacht auf „Gegenaktionen“ zu melden hatten. Der Versuch eines separatistischen Umsturzes in Rüdesheim scheiterte schließlich an mangelnder Unterstützung in der Bevölkerung und fehlenden finanziellen Mitteln, die für eine längere Fortsetzung des Putsches fehlen.

Formiert hatte sich die Bewegung zur Ablösung des Rheinlandes mit dem Ende des deutschen Monarchismus und der Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann (1865–1939). Gemäß den Vereinbarungen des Wiener Kongresses vom 8. Februar 1815 in den Herrschaftsbereich Preußens einbezogen, stand besonders der katholische Bevölkerungsteil in der Rheinprovinz und Westfalen bereits im 19. Jahrhundert der Oberherrschaft der „preußisch-protestantischen Eliten“ ablehnend gegenüber. Die Vision eines von Preußen unabhängigen „rheinischen Weststaates“ hatten entsprechend früh Wurzeln schlagen können und traten unmittelbar nach der Gründung der Republik von Weimar offen an den Tag.

Die Bestrebungen zur Ausrufung einer „Rheinischen Republik“ kulminierten schließlich am 1. Juni 1919 mit dem gescheiterten Versuch des ehemaligen preußischen Staatsanwalt Hans Adam Dorten (1880–1963), von Wiesbaden aus einen (dem Deutschen Reich angehörenden) rheinischen Bundesstaat zu proklamieren und im Herbst 1923, als mehrere separatistische Gruppierungen von Aachen ausgehend versuchten, gewaltsam eine Trennung der von ihnen ausgerufenen „Rheinischen Republik“ vom übrigen Deutschland herbeizuführen. Die Loslösungsbestrebungen wurden durch die Besatzungsmächte Frankreich und Belgien diskret unterstützt, da man großes Interesse an der Errichtung einer Pufferzone an der Grenze nach Deutschland hatte. Wie auch in Rüdesheim war den Unternehmungen jedoch nur kurzfristiger Erfolg beschieden. Sie scheiterten nach räumlich sehr begrenzten Erfolgen genauso wie die Rüdesheimer Separatisten unter Armand an der mangelnden Unterstützung durch die Bevölkerung, der trotz aller Sympathien insgesamt zurückhaltenden Position der beiden Besatzungsmächte sowie eklatanten personellen und finanziellen Problemen der Putschisten.
(KU)

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Weiterführende Informationen
Hebis-Schlagwort
Rheinland ; Separatismus ; Geschichte 1919-1923 ; Rheinlandabkommen ; Geschichte 1918 - 1924
Empfohlene Zitierweise
„Finanzamt Rüdesheim als letzter Separatistenstützpunkt geräumt, 4. Februar 1924“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/582> (Stand: 22.9.2020)
Ereignisse im Januar 1924 | Februar 1924 | März 1924
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