Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Arbeitsaufruf an Frauen in Gießen, 16. November 1916

Der „Gießener Anzeiger“ veröffentlicht im November 1916 einen Aufruf an alle Frauen, der dazu anhält, dass diese vermehrt in der Kriegsindustrie arbeiten sollen. Einem Bericht über die Frauenarbeit in der englischen Rüstungsindustrie, die zu einem Arbeiterinnenanteil von zwei Dritteln in britischen Munitionsfabriken und einer erfolgreichen und schnellen Aufrüstung geführt habe, folgt ein direkter Appell an die deutschen Frauen:

Es ist vaterländische Pflicht jeder deutschen Frau, ob verheiratet oder nicht, sich ernstlich die Frage vorzulegen, ob sie nicht auch ihre Kräfte im allgemeinen Interesse nutzbar machen kann, sofern das ihre häuslichen und gesundheitlichen Verhältnisse irgendwie zulassen. Besonders fehlt es an jungen, kräftigen Frauen für die Kriegsindustrie, und gerade hier wurde manchmal die bedauerliche Beobachtung gemacht, dass namentlich jüngere, kriegsgetraute Frauen, welche bisher für die Rüstungsindustrie arbeiteten, es als „Kriegerfrauen“ nicht mehr nötig zu haben glauben, weiter zu arbeiten! [...] Manche Frau hält es unter ihrer Würde, „in die Fabrik“ zu gehen, obwohl Arbeiter und Arbeiterinnen in der Fabrik oft genauso wichtig für unseren Sieg sind wie der Soldat draußen im Felde. Darum auf, ihr deutschen Frauen, die ihr gesunde Arme und Hände habt!1

Die Ausweitung der Frauenarbeit während des Ersten Weltkriegs ist dabei ein durchaus kontrovers diskutiertes Thema. Der Mittelrheinische Verband evangelischer Arbeitervereine etwa stellt im gleichen Jahr einen Antrag zur Einschränkung der Frauenarbeit auf das wirklich Notwendige, denn es müsse verhindert werden, dass die allgemeinen Lohnverhältnisse dadurch ungünstig beeinflusst, oder dass nicht militärpflichtige Personen dadurch brotlos würden.2. Auch wird befürchtet, dass die Zusammenarbeit von Frauen „erhöhte sittliche Gefahren3 birgt.

Trotz aller Kontroversen steigt die Zahl der arbeitenden Frauen während der Kriegsjahre enorm, während gleichzeitig die geltenden Arbeitsschutzbestimmungen an Bedeutung verlieren.4
(NT)


  1. Gießener Anzeiger, 16.11.1916: Aus Stadt und Land, ein Aufruf an die Frauen.
  2. Gießener Anzeiger, 15.2.1916: Aus Stadt und Land, Kriegsarbeit in Gießen
  3. Gießener Anzeiger, 15.2.1916: Aus Stadt und Land, Kriegsarbeit in Gießen
  4. Michael Schneider, Streit um Arbeitszeit. Geschichte des Kampfes um Arbeitszeitverkürzung in Deutschland, Köln 1984, S. 90-93.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Arbeitsaufruf an Frauen in Gießen, 16. November 1916“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5477> (Stand: 16.11.2021)
Ereignisse im Oktober 1916 | November 1916 | Dezember 1916
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