Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Wilhelm Neuhaus, Landsturm-Infanterie-Bataillon Hersfeld, 1914-1915

Abschnitt 9: Wach-, Kontroll- und Restriktionstätigkeiten in Audenarde und der näheren Umgebung

[Teil II, S. 7-13] [10-11] Der Dienst wollte uns recht anstrengend erscheinen, da wir – abgesehen von einigen Tagen am Beginn und am Schluß unserer Audenarder Zeit – jeden zweiten Tag auf Wache zogen. Seit Gent wissen wir aber erst, wie gut wir es hatten, da wir jetzt das Doppelte leisten müssen. Wir hatten die zahlreichen Scheldebrücken der Stadt, und die Posten am Rathaus und der Kommandantur zu besetzen und dadurch die Etappenwege zu sichern, und übernahmen dazu den Schutz der Bahnhofsanlagen und der Bahnlinie bis nach Eename, einem Dorfe etwa 3 Kilometer östlich von Audenarde, wo unsere 2. Kompagnie anschloß. Es waren immer über 90 Mann auf Wache. Zwei Patrouillen überzeugten sich jeden Abend davon, daß der Verkehr der Bürger auf den Straßen vorschriftsmäßig um 9 Uhr eingestellt und die Wirtschaften geschlossen waren. Daneben erwuchsen der Kompagnie noch manche Nebenaufgaben, z. B. Haussuchungen nach Waffen, Requisitionen und Transport von Pferden, Verhaftung und Einlieferung von Personen, die sich irgendwelcher Vergehen schuldig gemacht hatten u. a. m. Besonders interessant da sie uns mit Land und Leuten in nähere Verbindung brachten, wenn auch anstrengend, waren die Beitreibungen an Hafer, Weizen, Roggen und Heu, die wir einige Tage lang für die Armee in der Umgegend von Audenarde ausführen mußten. Auf ernsthaften Widerstand stießen wir nirgends, wohl aber auf mancherlei Ausflüchte und Vorwände. Schließlich machte man aber doch gute Miene zum bösen Spiel und lieferte das Verlangte, froh, einige Zentner von dem anfänglich festgesetzten Quantum abgezwackt zu haben. An Heu, das allerdings von schlechter Qualität war, fehlte es nirgends, dagegen scheint es allmählich an Körnerfrucht zu mangeln, zumal noch vieles ungedroschen ist. Es sind eben keine Kohlen für die Dreschmaschinen vorhanden. Der Kohlenmangel wird überall in Hütte und Schloß bitter empfunden, zumal bei dem frühen Winter, denn der Holzreichtum ist nicht groß und die Oefen nicht für Holzfeuerung eingerichtet. „Er macht Kohlen", sagte mir eine alte Frau mit trüber Sorgenmiene, indem sie auf ihren etwas Kistenholz hackenden Mann deutete. Bei diesen Requisitionen waren [S. 11] unsere Leute, vor allem die im Hause selbst Landwirtschaft haben, so recht in ihrem Elemente. Mit Feuereifer stürzten sie sich auf das herbeigeschaffte. Da wurden Säcke gewogen, zugebunden und aufgeladen, das Heu sachgemäß gebündelt u. s. w. Es war eine Lust zuzusehen, und wir haben es nur bedauert, daß dieses Stückchen Landsturmarbeit auf der Landstraße nicht im Bilde festgehalten werden konnte. Nach getaner Arbeit gab es dann aber auch schöne Stunden, so vor allem in Petegem1, wo wir in einem der schönen großen Herrensitze an denen das vlämische Belgien reich ist, einquartiert waren, und nach einem von Lakaien servierten, vielgängigen Mahl mit der gnädigen Frau und dem Herrn Baron an dem großen gemütlichen Kamin mit etwas Französisch und Vlämisch und recht viel Deutsch plaudern konnten. Aber so gut trafen wir es natürlich nicht immer und konnte es nicht jeder haben, aber eins der üblichen zweischläferigen Betten hat wohl jeder erwischt. Wenn nur die Belgier auch unsere schönen Federbetten hätten, die einfachen wollenen Decken sind doch reichlich dünn. So werden uns diese Requisitionstage in bester Erinnerung stehen und daß sie nicht erfolglos blieben, davon zeugte die lange Wagenreihe, die Frucht und Heu in die Speicher von Audenarde führte. Unterwegs traf uns der Befehl, daß die Requisitionen abgebrochen werden sollten, da die Kompagnie ihr Standquartier in Audenarde verlassen und nach Gent abrücken müsse.


  1. 4 km westlich von Audenarde.

Personen: Neuhaus, Wilhelm
Orte: Eename · Gent · Hersfeld · Oudenaarde · Petegem
Sachbegriffe: Herrenhaus · Kontrolle · Landsturm · Requisitionen · Rohstoffversorgung
Empfohlene Zitierweise: „Wilhelm Neuhaus, Landsturm-Infanterie-Bataillon Hersfeld, 1914-1915, Abschnitt 50: Wach-, Kontroll- und Restriktionstätigkeiten in Audenarde und der näheren Umgebung“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/21-9> (aufgerufen am 02.05.2024)