Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917

Abschnitt 33: Verwahrlosung der Jugend, polnische Arbeiterinnen

[Nr. 33] Feldbrief vom 20. Februar 1916

Der Krieg übt vielfach auf die Jugend keinen guten Einfluß aus. Die zügelnde Hand des Vaters, der im Felde steht, fehlt. Die Mutter besitzt nicht die nötige Autorität oder wagt nicht, gegen die Unarten der heranwachsenden Kinder aufzutreten, weil diese schon mithelfen Geld verdienen. Und so verwahrlosen die Kinder. Das merkt man auch in Dieburg nicht nur bei den letzten Jahrgängen der Schuljugend, sondern auch bei den bereits aus der Schule Entlassenen. Es ist daher mit Freuden zu begrüßen, daß der kommandierende General verschiedene Verordnungen erlassen hat, die der Verwahrlosung der Jugend entgegenarbeiten. So wurde z. B. am 2. Februar verfügt, daß Kinder unter 17 Jahren Wirtschaften, Cafes, Automaten-Restaurants und Konditoreien nicht besuchen dürfen. Dasselbe gilt auch von dem Besuche der Kinos. Auch wurde verboten, daß Jugendliche unter 17 Jahren sich abends nach 8 bzw. 9 Uhr auf Straßen und öffentlichen Plätzen aufhalten. Ebenso ist ihnen das Rauchen an öffentlichen Orten untersagt. Diese Verfügungen, die im Interesse der körperlichen und geistigen Gesundheit unserer Jugend erlassen wurden, werden gewiß bei allen Erziehern Beifall finden. Erforderliche Ausnahmen, die den Bedürfnissen und Wünschen der Eltern Rechnung tragen, sind vorgesehen. Wir hoffen, daß diese wohlgemeinten Verordnungen auch nach Beendigung des Krieges nicht aufgehoben werden. Heute morgen habe ich dieselben auch aus der Kanzel verkündigt.

Jetzt find aus den uns feindlichen Reichen in Dieburg drei Nationen vertreten. Außer Russen und Franzosen befinden sich zur Zeit auch Polen hier. Letzte Woche kamen als Zivilgefangene drei Mädchen von 16, 18 und 20 Jahren hier an, die aus der Gegend von Czenstochau stammen. Sie wurden im Arbeitshaus untergebracht und finden dort vorläufig Beschäftigung. Wie ich erfuhr, sollen noch einige Polinnen hierher überwiesen werden.

Was ich am letzten Sonntag vom Bauernverein melden konnte, daß er wächst, blüht und gedeiht, kann ich von den übrigen Vereinen Dieburgs nicht sagen. Die Gesangvereine singen nicht, die Turnvereine turnen nicht — kurz alle Vereine, die viele Mitglieder im Felde haben, vegetieren jetzt nur so weiter. Nach dem Krieg soll neu begonnen werden.

Herr Prof. Malsy wurde zum Leutnant befördert.

Auf dem Felde der Ehre fiel Johann Röder, R. i. p.


Personen: Ebersmann, Jakob
Empfohlene Zitierweise: „Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917, Abschnitt 33: Verwahrlosung der Jugend, polnische Arbeiterinnen“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/19-33> (aufgerufen am 01.05.2024)