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Unterzeichnung eines Reparationsabkommens in Wiesbaden, 6. - 8. Oktober 1921

In Wiesbaden wird ein bereits im Sommer ausgehandeltes deutsch-französisches Abkommen zur Regelung von Reparationsfragen unterzeichnet. Die fortan als „Wiesbadener Abkommen“ bekannte vertragliche Vereinbarung hat die Realisierung von Reparationszahlungen und eine Reduzierung der deutschen Kohlelieferungen zum Gegenstand und wurde beginnend mit einem ersten Treffen am 12. und 13. Juni 1921 bei mehreren Zusammenkünften der beiden Minister für Wiederaufbau in Deutschland und Frankreich, Walther Rathenau (1867–1922; Deutsche Demokratische Partei) und Louis Loucheur (1872–1931) verhandelt. An den Treffen, die genauso wie die heutige Vertragsunterzeichnung ebenfalls in Wiesbaden stattfanden, nahmen zahlreiche führende deutsche Wirtschaftspolitiker teil, darunter Carl Bergmann (1874–1935), Emil Guggenheimer (1860–1925), Julius Hirsch (1882–1961) und August Müller (1873–1946). Der Vertrag sieht vor, dass die deutsche Privatwirtschaft innerhalb von vier Jahren Sachlieferungen im Wert von rund sieben Milliarden Goldmark zu erbringen hat. Das aufgrund seiner Höhe als ein Zugeständnis an Frankreich erscheinende Reparationspaket ermöglicht es dem Deutschen Reich jedoch, im vereinbarten Zahlungszeitraum die Devisenzahlungen an Frankreich aussetzen.

Hintergrund des Abkommens sind die von den Alliierten an das Deutsche Reich gestellten Reparationsforderungen, die die Siegermächte im Frühling 1921 auf 132 Milliarden Goldmark bezifferten. Reichskanzler Joseph Wirth (1879–1956) sagte im Zuge eines spöttisch als „Erfüllungspolitik“ bezeichneten Entgegenkommens diese Entschädigungssumme zu. Walther Rathenau, von Wirth zum Wiederaufbauminister ernannt, beabsichtigte daraufhin, einen Teil der Entschädigungszahlungen in Form von Sachlieferungen zu erbringen und bemühte sich um ein entsprechendes Einlenken der Alliierten. Da die französische Regierung sehr an einer schnellen Einigung interessiert war, sagte man Verhandlungen zu.

Das Wiesbadener Abkommen stößt nach seiner Unterzeichnung in Deutschland auf harsche Kritik. So wird Walther Rathenau als verantwortlichem Verhandlungsführer der Vorwurf gemacht, er liefere die deutsche Wirtschaft dem französischen Staat aus und richte damit das deutsche Volk „zugrunde“. Bei seinen Abmachungen mit den Franzosen sei er weit über das hinausgegangen, was der Vertrag von Versailles Deutschland als Verpflichtungen auferlege. Zusätzlich sorgt das bilaterale Abkommen für Irritationen auf Seiten der übrigen Siegermächte.1

Der deutsch-jüdischen Industrielle und liberale Politiker Walther Rathenau wird am 24. Juni 1922 in Berlin-Grunewald von Mitgliedern der nationalistischen Terrororganisation „Organisation Consul“ (O.C.) ermordet.
(KU)


  1. Rathenau berichtet am 7. März 1922 in einer Rede vor dem Hauptausschuß des Reichstags, man habe ihm zum Vorwurf gemacht, insbesondere das deutsche Verhältnis zu England tief gespalten zu haben. Tatsächlich aber habe er von englischer Seite Bestätigung für das Abkommen erfahren: es bilde ein Muster für die Vereinbarung weiterer Zahlungspläne und habe die Voraussetzungen für weitere Verhandlungen bis zur Konferenz von Cannes (6. bis 13. Januar 1922) geschaffen. Vgl. HeBIS Rathenau, Walther: Cannes und Genua: Vier Reden zum Reparationsproblem; mit einem Anhang, [6. bis 10. Aufl.], Berlin 1922, S. 22. Vgl. dazu auch: Bundesarchiv: Edition „Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik“: Die Kabinette Wirth I/II, Band 1: Dokumente: Nr. 107 Kabinettssitzung vom 3. Oktober 1921, 2. Wiesbadener Abkommen (eingesehen am 7.10.2013). Ein Grund für die englischen Vorbehalte ist in dem Umstand zu sehen, dass die deutschen Kohlelieferungen an Frankreich den Absatz der englischen Kohle dort schwer beeinträchtigen, und man nun fürchtet, dass bei einer Ausweitung der an Frankreich gelieferten Sachreparationen auch andere englische Produkte auf diesem Markt stark ins Hintertreffen geraten.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Unterzeichnung eines Reparationsabkommens in Wiesbaden, 6. - 8. Oktober 1921“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/547> (Stand: 26.11.2022)
Ereignisse im September 1921 | Oktober 1921 | November 1921
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