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Hessische Biografie

Portrait

Rudolf Keller
(1878–1960)

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Keller, Rudolf [ID = 12933]

* 9.9.1878 Lövenich Kr. Erkelenz, † 28.1.1960 Frankfurt am Main, evangelisch
Dr. phil. – Gymnasiallehrer, Schulleiter, Oberschulrat, Schuldezernent, NS-Schul- und Kulturdezernent
Biografischer Text

Rudolf Keller wurde 1878 geboren. Nach einer humanistischen Schulbildung und einem geisteswissenschaftlich-philologischen Studium wurde er mit einer historischen Arbeit promoviert und erhielt mit bestandener Staatsprüfung die Lehrbefähigung. Unterbrochen von Militär- und Kriegsdienst wirkte er als Gymnasiallehrer und später Schulleiter in Köln und Essen. 1926 wurde er Oberschulrat im Provinzialschulkollegium in Berlin und 1927 von der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung zum hauptamtlichen Stadtrat für die Schulen gewählt. Parteipolitisch war er von 1918 bis 1926 in der DDP und von 1930 bis März 1933 in der Deutschen Staatspartei aktiv. Er trat am 29. April 1933 der NSDAP bei, jedoch wurde seine Aufnahme abgelehnt. Er erklärte sich rückhaltlos bereit, auf dem Boden der nationalsozialistischen Staats- und Weltauffassung mitzuwirken. Keller wechselte von der Republik in den totalitären NS-Staat mit kurzfristigen Schwierigkeiten und zwölf Jahre später problemlos in die Nachkriegsgesellschaft. Nachdem im März 1933 der Kulturdezernent von den Nationalsozialisten aus dem Amt vertrieben worden war, bekam er von diesen noch dieses Dezernat hinzu: Während des „Dritten Reiches“ füllte er in den meinungsbildenden Arbeitsgebieten Bildung und Kunst als hauptamtlicher Stadtrat in Frankfurt am Main eine systemstabilisierende Funktion aus. Er war ein eifriger politischer Beamter, der sich für die Anliegen des Frankfurter Oberbürgermeisters und „Alten Kämpfers“ Friedrich Krebs (1894–1961) in den NSDAP-internen Auseinandersetzungen mit dem Gauleiter Jakob Sprenger (1884–1945) engagierte. Keller war vielfältig und vielschichtig in den NS-Unrechtsstaat involviert resp. über Verbrechen informiert. Dies betraf insbesondere die sozialrassistische Politik der Stadt. Er wirkte mit an Arisierungen von Immobilien, an der Ausplünderung jüdischen Kunstbesitzes in Frankfurt wie auch durch Ankäufe in Europa, zudem an der Verfolgung jüdischer sowie Sinti- und Roma-Kinder, ebenso an der Schließung konfessioneller Schulen. Er trug die lokale Verantwortung für die Umwandlung des Schulwesens und -unterrichts im NS-Sinne, zum Beispiel die Einführung von Boxen und Kleinkaliberschießen; die HJ erhielt Räume und sogar Schulgebäude. Seine Nachkriegsbehauptung, er habe die Einverleibung städtischer Kindergärten durch die NSV verhindert, ist unzutreffend; dies geschah durch den Reichsinnenminister Wilhelm Frick (1877–1946). Unter seiner Leitung gab es rassistische Überprüfungen städtischer Mitarbeiter und ihrer Angehörigen, wurden Bibliotheken von missliebigen Büchern gesäubert und antisemitische Stücke in den Städtischen Bühnen aufgeführt. Er hielt allem Anschein nach Reden mit Hitlerzitaten und NS-Ideologemen, so wie es von ihm erwartet wurde. Ein halbes Jahr, bevor im Oktober 1941 die Deportation von über 10.000 Frankfurter Juden in den Osten begann, erfuhr er in einer Beratung von Stadträten vom Plan des Oberbürgermeisters, dadurch das Wohnungsproblem zu beheben. Er profitierte persönlich durch das Einkommen, das Ansehen, die Macht als Stadtrat wie auch durch einen PKW und sogar eine Zwangsarbeiterin im eigenen Haushalt. Weil er kein NSDAP-Mitglied gewesen war, wurde er am 12. September 1945 für weitere zwölf Jahre Stadtrat. Aufgrund der neuen hessischen Gemeindeordnung und der Altersgrenze bei der Magistratswahl am 25. Juli 1946 schied er aus. Nach dem Krieg hatte er hohe Ehrenämter wie den Vorsitz im Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks inne; er war Vorsitzender der Städeladministration und saß im Verwaltungsausschuss des Freien Deutschen Hochstifts, in der Deputation für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, im Vorstand der Frankfurter Museums-Gesellschaft und war Mitglied des Großen Rates und des Kuratorium der Goethe-Universität. Keller wurde für seine „Lebensleistungen“ mit höchsten Ehren gewürdigt, so mit der Goethe-Plakette des Landes Hessen 1954, dem Großen Bundesverdienstkreuz 1958 und vor allem für seine angebliche NS-Opposition mit der Ehrenbürger- sowie Ehrensenatorenwürde der Goethe-Universität 1959. Er verstarb 1960.

Gunter Stemmler


Literatur