Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Briefwechsel des Roßdorfer Musketiers Joseph Preis mit seiner Mutter, 1914-1915

Abschnitt 23: 24.5.1915: Brief eines Neffen an Anna Gertrud Preis

Liebe Tante !

Soeben erfahre ich durch meine Frau und Schwester Mina, daß Ihr durch das Elend dieses Krieges sehr schwer heimgesucht seit. Da Euern einzigen Sohn Joseph auch den ehrenvollen Tod für das Vaterland gestorben ist. Es sind ja, liebe Tante, schon schwere Zeiten in den letzten Jahren an Euch heran getreten. Durch den Tod Eures lieben Gatten, denn stirbt Euch Georg auch in den schönsten Jünglings Jahren, wo man sich doch die Welt jeden Tag der Zukunft etwas Neues erfreuen kann. Franz an dem Ziel seines Strebens angekommen zu sein. Alle Prüfungen und Examen blickte Franz ruhig entgegen, weil er von Gott in seinem Geistigen Talent dazu ausgestattet war. Franz strengte sich an und lies seine Geistesgaben nicht ausgenutzt liegen. Ich kam viel nach Marburg und Franz begegnete mir sehr oft; wo ich Ihn traf war er ein sehr anständiger junger Mensch und wurde sicher nach meiner Überzeugung ein sehr brauchbares Mitglied der Menschlichengesellschaft. Es freude mich sehr, wo er sich dem Fach der Rechtswissenschaft widmete, denn man hatte doch auf spätere Zeiten einen Mann in der Verwandtschaft, welcher in allen Fragen der Juristik Auskunft erteilen konnte. Die schönsten Tugenden hatte Franz; er war nähmlich sehr Bescheiden in seinen Reden, ein sehr liebenswürdiger Kamerad gegen seine Mitschüler, und vor allem war er nicht eingebildet auf sein großes Wissen und Können. Wo doch heute die Jugend sehr dran leidet, wie oft vergessen sich so hoch studierende Söhne an Ihren Eltern, wenn Ihr Vater und Mutter einfache Landleute sind, welche durch Ihren Schweiß und so mühsam ersparte Marken Ihren Sohn zu einem hohen Studium bringen. Aber dieses hatte Franz nicht vergessen sondern er achtete Vater und Mutter wie ein recht denkender Mensch, und wie es Ihn die Gebote Gottes lehrten.
Aber liebe Tante, es war von Gottesvorsehung Franz nicht vergönnt, sein Studium zu beenden und Euch, liebe Tante, als seiner Mutter Euch bis zum Tod zur Seiten zu stehen. Nun, wir dürfen es nicht als eine Strafe Gottes ansehen, sonst versündigen wir uns gegen die Vorsehung Gottes. Der liebe Gott, unser Vater, richtet alles zum Besten ein für seine Geschöpfe und für seine Kinder.
Nun, liebe Tante, stand Eure ganze Hoffnung der Zukunft, wo Euer liebe Gatte und Eure beiden Söhne der liebe Gott in ein besseres Jenseits abgerufen hat, auf Eurem Joseph. Jetzt kam das große Ereignis, wo alles in der Welt, jede Nation sich gegen Deutschlands Kultur sich innerlich über die Höhe ärgerte, und uns mißbrauchten unsere Feinde Österreich indirekt zum Krieg, aber der ganze Haß war auf Umwege an Deutschland zu kommen. Es war nun voraussichtlich, daß der Krieg viele Opfer fordern würde, aber an ein solches Menschenschlachten war nicht zu denken. So forderte auch nun der Kaiser Euere letzte und einzige Hoffnung, Euern lieben Sohn Joseph, zuerst zur Ausbildung, dann zum selbständigen Mitwirken in der Westfront bei Ypern als Vaterlandsverteidiger an der großen Frage Deutschlands, um ein Deutschsein und Nichtsein, mitzukämpfen.
Joseph war ein sehr frommer und anständiger Mensch; man kann sagen, wie man ein jungen Mann gern sieht und einem Freude machte, wenn ich Ihm begegnet bin. Er hatte beten gelernt und hat es auch sicher in diesen schweren Stunden nicht vergessen. Aber der liebe Gott hat Ihn nicht für diese Welt bestimmt, daß er vielleicht an den Wollüsten dieser Welt zugrunde [S. 18] gehen solle. Denn, liebe Tante, wenn jemand in einer solcher gerechten Sache den Heldentod stirbt, den wird der liebe Gott dafür ewig belohnen.
Unser Religion nach stirbt doch jeder nach recht vollbrachter Lebenszeit zur ewigen Glückseligkeit. Und beten tut jeder deutsche Soldat, der im Feld steht, und jeder hat das einzige Bestreben, mit reinem Gewissen vor den Richterstuhl zu treten. Deshalb ist auch das Glück der deutschen Armee unbeschreiblich.
Aber, liebe Tante, es ist ja sehr schwer zu sehen, wie Eurer liebe Gatte, Georg, Franz und nun noch Joseph von Euch weggerissen wird. Nun, dieser Schmerz für ein treue liebende Gattin und Mutter ist doch fast unerträglich. Aber, liebe Tante, wie hat es der Mutter Gottes gegangen, wo Sie sieht Ihren einzigen Sohn hinrichten, trotzdem ... [Hier endet der unvollständige Brief]


Personen: Preis, Joseph · Preis, Anna
Empfohlene Zitierweise: „Briefwechsel des Roßdorfer Musketiers Joseph Preis mit seiner Mutter, 1914-1915, Abschnitt 23: 24.5.1915: Brief eines Neffen an Anna Gertrud Preis“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/74-23> (aufgerufen am 20.05.2024)