Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Briefwechsel des Roßdorfer Musketiers Joseph Preis mit seiner Mutter, 1914-1915

Abschnitt 22: 5.5.1915: Brief der Mutter an Joseph Preis

Roßdorf den 5ten Mai 1915

Mein innigstgeliebtes Kind!

Ich will Dir wieder mal paar Zeilen schreiben. Ich habe seit dem 26ten Aprill nichts mehr von Dir gehört, da lebt man immer in Unruhe, da auch die Kunde durchdrang, der Heinrich Fischer von Mardorf sei am 24ten April bei Ypern gefallen, und Franz Jüngst von Amöneburg sei verwundet. So hat es 8 Tage geheißen; nun hat er gestern Abend eine Karte geschrieben, er wäre noch munter und wohlauf. Und der Jüngst hat auch geschrieben; nun ist Beides nicht wahr, was uns wieder ein klein wenig tröstet. [S. 16]
Mein lieber Josef! Gestern war ich in Marburg bei Frau Operbrückler, die sagt, Ihr Mann sei auch bei Ypern; der wäre den 21ten Aprill dahingekommen; erst war er im Argonnenwald. Der ist bei den 1 llger. In Kirchhain war ich auch, da sagten mir Seiberts, der Karl wäre nicht mehr bei Dir, der wäre Pionier - Bataillon No. 15. Dann hast Du ja gar keinen Bekannten mehr bei Dir. Ach mein lieber Josef! Wenn ich doch erst wieder mal eine Karte von Dir hätte, dann hätte ich doch wieder ein paar Tage Ruhe. Ach, mein geliebtes Kind! Tag und Nacht bist Du mein einziger Gedanke; ach, wenn doch der Krieg ein Ende nähme; bei den Russen sollen ja wieder 30 000 gefangen sein. Die liebe Mutter Gottes wird schon helfen, bis Ihr schöner Maimonat zu Ende geht.
Heute morgen war ein Amt für Dich zu Ehren des hl. Josef und morgen zu Ehren des hl. Antonius. Auf Christi Himmelfahrt hob ich ein Amt gegeben zu Ehren des hl. Aloysius für alle Krieger im Feld; das hob ich dem Herrn Kaplan heute morgen gegeben, der besuchte mich mal; er sagte auch, daß er eine Karte von Dir erhalten hätte.
Mein liebes Kind! Verzage nicht und vertraue auf den lieben Gott, der wird schon Mittel und Wege finden, wie er uns wieder zusammenführen will, denn bei Ihm ist nichts unmöglich. Thue nach jeder Seite hin Deine Pflicht und habe ein festes Gottvertrauen, das belohnt sicher der liebe Gott.
Gewiß mußt Du viel erdulden, mein geliebtes Kind, ich thäte Dich gerne trösten, wie ich Deine Brüder in Ihrer Krankheit tröstete, und thäte Dir manchmal gern Dein Herzenleid lindern, denn ich weiß, es wird Dir gehen wie mir; manchmal bin ich ganz stark, dann kann ich Alles tragen; aber manchmal kommt so ein heimlicher Schmerz an mich; ich glaube, das ist Heimweh, da könnte ich fast vergehen; besonders des Abends, wenn ich allein bin, dann kann ich so über Alles nachdenken.
Aber wir können nichts dran ändern; der liebe Gott hat uns das Kreuz aufgelegt, er wird es auch tragen helfen, denn je mehr Geduld wir üben, desto größere Belohnung haben wir zu erwarten. Darum wollen wir uns in Gottes Willen ergeben, und er wird uns ein frohes Wiedersehen bereiten.
Mein lieber Josef! Ich habe Dir heute ein Paketchen geschickt mit Wurst und Schokolade und eins mit geräuchert Fleisch. Schreib mal, ob die Butter noch gut ist, wenn Du sie bekommst; es wird nun schon warm, dann läuft die gleich.
Ich will nun schließen. Sei herzlich gegrüßt, im Geiste umarmt und geküßt von Deinem dich ewigliebenden Mütterchen.

[Randbeschriftung]: Es liegt auch eine Mark im Brief. Ich habe die Mark wieder rausgenommen. Auf Wiedersehen. Mein lieber Josef, sollte Dir etwas zustoßen, laß mirs gleich mittheilen. Auf ein frohes Wiedersehen.


Personen: Preis, Joseph · Preis, Anna
Empfohlene Zitierweise: „Briefwechsel des Roßdorfer Musketiers Joseph Preis mit seiner Mutter, 1914-1915, Abschnitt 22: 5.5.1915: Brief der Mutter an Joseph Preis“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/74-22> (aufgerufen am 08.05.2024)